Siegen. . Die meisten Frühchen in Siegen haben einen kleinen Tintenfisch aus Wolle in ihrem Bettchen liegen. Die Tentakel helfen den Kindern beim Großwerden.

Das erste Kilo ist geschafft. Auf einer bunten Raupe aus Pappe, die an einem Monitor klebt, steht es: 1000 Gramm. Ein Meilenstein für das kleine Mädchen, denn es kam mit etwas mehr als 500 Gramm zur Welt. An der winzigen Nase hängt ein Schlauch, er hilft der Kleinen beim Atmen. Daneben liegt ein lilafarbener Tintenfisch, er hilft der Kleinen auf seine Art beim Großwerden.

In der DRK-Kinderklinik und im Perinatalzentrum am Jung Stillung hat jedes Frühchen so einen Kraken im Bett liegen. Denn seit etwa einem Jahr nehmen die Kliniken an einem Tintenfisch-Projekt teil. „Der Greifreflex bei Frühchen ist schon sehr stark ausgebildet“, erklärt Kinderkrankenschwester Eliane Faber. „Sie ziehen sich dann manchmal den Tubus aus der Nase.“ Das kann gefährlich und schmerzhaft sein. Wenn aber so ein Tintenfisch in Greifnähe liegt, umklammern sie viel lieber die Tentakel des kleinen Meerestiers. „Die sind ähnlich geschwungen wie die Nabelschnur im Bauch der Mutter. Sie ist quasi das erste Spielzeug der Babys.“

100 Kopffüßler aus Wittgenstein

Eliane Faber setzte sich Ende 2014 dafür ein, dass die Tintenfische nach Siegen kommen. Sie lernte die bunten Begleiter und deren beruhigende Wirkung bei einer Intensiv-Fortbildung in den Niederlanden kennen. In ihrer Studienarbeit stellte sie die Kraken vor und fragte bei der Klinikleitung an, ob so etwas auch in Siegen möglich sei. War es, auch die Kollegen waren sofort begeistert und halfen mit bei der Suche nach Freiwilligen oder häkelten gleich selbst mit. Wie zum Beweis hockt auch ein dicker, orangefarbener Krake mit Hut auf dem Empfangstresen in der Station.

Kinderkrankenschwester Eliane Faber mit den kleinen Tintenfischen.
Kinderkrankenschwester Eliane Faber mit den kleinen Tintenfischen. © Ilka Wiese

Eine Kollegin stellte den Kontakt zur Strickgruppe des Dorfvereins in Aue-Wingeshausen her. Die Frauen aus Wittgenstein setzten sich sofort an die Nadeln und haben bislang schon mehr als 100 Tierchen für Frühchen gehäkelt – und zwar nach genauen Anweisungen.

Zum Beispiel darf nur eine Wolle verwendet werden, die nicht fusselt und bei 60 Grad waschbar ist. Die Tentakel dürfen nicht zu lang sein, damit sie sich nicht um den Hals wickeln. Aber auch nicht zu kurz! Und die Maschen müssen fein genug sein, damit sich darin kein winziger Finger verheddert. „Ich habe ganz am Anfang auch welche gehäkelt, weil ich ja wissen musste, was ich den Leuten da zumute. Und danach konnte ich sagen: Das ist wirklich super leicht zu machen“, sagt Eliane Faber.

Glubschaugen und Hütchen

Die Tintenfische sind alle bunt, manche tragen ein Hütchen, andere ein Schleifchen, manche haben auch eine Locke auf dem Kopf oder glotzen aus riesigen Glubschaugen. Ganz individuell, wie die kleinen Empfänger eben auch.

Die ursprüngliche Idee stammt aus Dänemark. Eine Mutter häkelte 2013 für ihr Frühgeborenes eine kleine Krake. Das Kind reagierte sehr positiv darauf. Die Atmung wurde stabiler, die Herzschläge regelmäßiger. „Es gibt dazu aber noch keine wissenschaftlichen Studien“, erklärt Eliane Faber. Dennoch entwickelte sich daraus eine Welle – die auch nach Deutschland schwappte. In Münster startete das erste Projekt, Siegen folgte kurz danach.

Jennifer Venc aus Olpe brachte im Dezember 2014 ihre Zwillinge zur Welt. Hannah wog damals knapp 700 Gramm, Luisa 870. Die Schwestern bekamen die ersten Tintenfische – einer in Regenbogenfarben, der andere in Flieder. „Das hat toll geklappt bei uns. Sie liegen heute noch in den Bettchen“, sagt die Mutter und erzählt von der beruhigenden Wirkung der bunten Kopffüßler.

Und auch auf Eliane Faber hat das Projekt einen nachhaltige Effekt: Neulich beim Kochkurs sollte es Tintenfisch geben. „Das konnte ich nicht“, sagt sie und lacht.

Weitere Info und Anleitungen: www.kleine-tintenfische.de

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