Grundstücksgrenze seit über 50 Jahren überbaut

15. Juli 2011 13:48 |
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Hauskauf, Immobilien, Grundstücke


Beantwortet von


08:26

Zusammenfassung

Kann eine Beseitigung des Überbaus wegen Gewohnheitsrecht verweigert werden, wenn dieser seit über 50 Jahren besteht?

Ein Überbau geduldet werden, wenn kein Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt und kein Widerspruch erhoben wurde. Bezüglich Hecke und Zaun ist ein Beseitigungsanspruch wahrscheinlich verjährt, aber das Eigentumsrecht ist unverjährbar, daher besteht ein Anspruch auf Herausgabe des überbauten Grundstücks. Ein Gewohnheitsrecht kann nur unter engen Voraussetzungen geltend gemacht werden.

Hallo,

ich habe eine Frage bezüglich Grundstücksrecht.
Wir haben vor ca. einem halben Jahr eine Doppelhaushälfte gekauft (Schleswig Holstein). Da ich seitlich eine Garage anbauen möchte, habe ich die entsprechende Grenze vermessen lassen um die Größe der Garage planen zu können (unser Haus ist in den 90ern gebaut, die angrenzenden 4 Häuser bzw 2 Doppelhäuser stehen schon seit den 50er Jahren).
Bei der Vermessung hat sich nun herausgestellt das alle 4 seitlichen Nachbarn zischen 0,8 und 1,5m (gesamt ca 50qm) auf unserer Seite der Grenze stehen (Hecke/Zaun/Gartenhaus aus Holz). Mit 2 Nachbarn habe ich mich schon einvernehmlich geeinigt, bzw. sie haben es eingesehen, die 3. Partei hat wohl eine Anwältin in der Familie und behauptet nun es würde sich um Gewohnheitsrecht handeln und will einen eventuell geforderten Rückbau nicht hinnehmen.
Die 4. Partei wir das Haus demnächst verkaufen.
Ich gehe mal davon aus das die Nachbarn diesen Überbau wohl nicht absichtlich getätigt haben, sie haben es wohl nicht besser gewußt, war ja schlussendlich auch über 50 Jahre lang eine Wiese...
Meine Frage nun: Kann tatsächlich aufgrund Gewohnheitsrecht ein Rückbau abgelehnt werden und kann ein eventuellrer neue Besitzer des 4. Hauses sich auch auf dieses Recht berufen?

Gruß
15. Juli 2011 | 14:32

Antwort

von


(478)
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Sehr geehrter Fragesteller,

Ihre gestellte Frage beantworte ich wie folgt:

§ 912 BGB regelt die Rechtslage bei einem Überbau mit einem Gebäude. Danach gilt: Hat der Eigentümer eines Grundstücks bei der Errichtung eines Gebäudes über die Grenze gebaut, ohne dass ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, so hat der Nachbar den Überbau zu dulden, es sei denn, dass er vor oder sofort nach der Grenzüberschreitung Widerspruch erhoben hat.

Diese Vorschrift kann zur Folge haben, dass zumindest das Gartenhaus geduldet werden muss, wenn es sich nicht um ein leicht versetzbares Bauwerk handelt. Es kommt auf die konkrete Gestaltung des Gartenhauses an; ein Gebäude ist ein Bauwerk, das Menschen den Eintritt gestattet und durch räumliche Umfriedung gegen äußere Einflüsse Schutz gewährt.

Bei einer Duldungspflicht sollten Sie aber über eine Überbaurente für die Zukunft verhandeln. Die Beträge sind dabei allerdings gering.

Bezüglich Hecke und Zaun ist Ihr Beseitigungsanspruch gem. § 1004 BGB, der grundsätzlich bestehen würde, voraussichtlich verjährt.

Allerdings sind gem. § 902 BGB eingetragene Rechte unverjährbar; dazu zählt auch das Eigentum. Sie haben daher zumindest einen Anspruch auf Herausgabe des überbauten Grundstücks. Inhalt dieses Anspruchs ist, dass Sie den Rückbau der Hecken bzw. des Zaunes zu dulden haben. Ist der Nachbarn nicht zum freiwilligen Rückbau bereit, dürfen Sie diese Gegenstände selbst entfernen, können aber nicht die Beseitigung durch den Nachbarn fordern.

Der BGH dazu:
Dem Eigentümer verbleiben auch nach der Verjährung des Beseitigungsanspruchs der nicht der Verjährung unterliegende Anspruch auf Herausgabe nach § 985 BGB und die Ansprüche auf die durch den Nachbarn auf Grund des Überbaus gezogenen Nutzungen nach §§ 987, 988 BGB. Er hat lediglich die Ausübung des Wegnahmerechts des Nachbarn nach §§ 997, 258 BGB zu dulden. Der Nachteil für den Eigentümer, der den Anspruch auf Beseitigung des Überbaus nach § 1004 Abs. 1 BGB verjähren lässt, besteht im Wesentlichen darin, dass er, wenn er den überbauten Teil des Grundstücks anders nutzen will und der Nachbar sein Wegnahmerecht nicht ausübt, selbst den auf seinem Grundstück befindlichen Teil des Gebäudes abzureißen hat; vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2011, Az.: V ZR 147/10.

Auf ein wie auch immer geartetes Gewohnheitsrecht können sich die Nachbarn nur unter engen Voraussetzungen berufen. Dann könnte das gesetzlich nicht geregelte Rechtsinstitut der Verwirkung greifen.

Besondere Umstände , die den Eintritt von Verwirkung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, erfordern, dass der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser sein Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde; vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 16.11.1991, Az.: 4 C 4/89.

Derartige besondere Umstände muss der Nachbar in diesem Fall vortragen, wenn er sich wehren möchte (sofern sich nicht gerade der problematische Nachbar 3 oder 4 bzgl. des Gartenhauses auf § 912 BGB berufen können). Allein der Umstand, dass die Lage "schon immer so" war, genügt angesichts der gesetzlichen Wertung, dass der Herausgabeanspruch nicht verjährt und damit den bloßen Zeitablauf überdauert wohl nicht.

Ich hoffe, Ihnen einen ersten hilfreichen Überblick in der Sache verschafft zu haben. Ich weise darauf hin, dass die Beantwortung Ihrer Frage ausschließlich auf Grundlage Ihrer Schilderung erfolgt. Die Antwort dient lediglich einer ersten rechtlichen Einschätzung, die eine persönliche und ausführliche Beratung durch einen Rechtsanwalt in den seltensten Fällen ersetzen kann. Das Weglassen oder Hinzufügen weiterer Sachverhaltsangaben kann möglicherweise zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen. Eine endgültige Einschätzung der Rechtslage ist nur nach umfassender Sachverhaltsermittlung möglich.

Mit freundlichen Grüßen

Matthes
Rechtsanwalt


Rückfrage vom Fragesteller 15. Juli 2011 | 14:59

Hallo,

vielen Dank für die Antwort.
Da ich kein Jurist bin werde ich wohl noch einige Tage für eine Analyse brauchen...
Es wäre jedoch schön wenn sie kurz mein Resümee bestätigen könnten.
1.Ich muss ein Gartenhaus, wenn es denn der Definition nach §912 BGB standhält, dulden.
2.Ich kann das Grundstück um das Gartenhaus zurückfordern muss aber die vorhandene Hecke/Zaun selber beseitigen. Das Gartenhaus steht ca 50cm auf meinem Grundstück, dh, ich ziehe eine neue Heck die dann vom Gartenhaus meines Nachbarn unterbrochen wird? (o:
3.Wenn ich das Grundstück im Bereich der Gartenhäuser bebauen will (was ich nicht beabsichtige) könnte ich das Gebäude selber abreissen.
4.Den Nachbarn, unabhängig ob mit Gartenhaus oder nicht, bleibt die Möglichkeit bezüglich Verwirkung

Danke und Gruß!

Antwort auf die Rückfrage vom Anwalt 18. Juli 2011 | 08:26

Sehr geehrter Fragesteller,

Ihre Zusammenfassung ist weitgehend zurtreffend, allerdings darf das Gartenhaus nicht beseitigt werden, wenn es nach § 912 BGB zu dulden ist.

Mit freundlichen Grüßen

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