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In Sachen "Spygate": Marcelo Bielsa, Trainer von Leeds United, liefert außergewöhnliche Power-Point-PK ab

Leeds-Coach geht in die Offensive - Lampard überrascht

In Sachen "Spygate": Bielsas außergewöhnliche Power-Point-PK

Überraschte in Leeds am Mittwoch mit einem außergewöhnlichen PK-Vortrag: Marcelo Bielsa.

Überraschte in Leeds am Mittwoch mit einem außergewöhnlichen PK-Vortrag: Marcelo Bielsa. imago

Kurz zum Hintergrund: Am Tag vor dem Championship-Duell am vergangenen Freitag war ein Leeds-Praktikant samt Fernglas nahe des Derby-Trainingsgeländes (aber nicht darauf) erwischt worden. Der englische Fußball steigerte sich schnell in eine überzogene Moraldiskussion hinein. Der Verband kündigte Ermittlungen an, Derby-Coach Frank Lampard beschwerte sich, gar ein Punktabzug für Leeds wurde gefordert - auch wenn keine Regeln, geschweige denn Gesetze gebrochen worden waren.

Bielsa hatte sich schon vor dem Spiel, das Leeds 2:0 gewann, entschuldigt und die volle Verantwortung übernommen. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass es sich um ein Tabu gehandelt habe. Doch die Diskussion schwelte auch nach dem Duell weiter.

Als am Mittwoch in Leeds eine außerplanmäßige Pressekonferenz anberaumt wurde, begann bei den Fans das Zittern: Bielsa ist enorm beliebt. Nicht nur, weil der 63-Jährige den Traditionsklub mit begeisterndem Fußball an die Spitze der Championship geführt hat, sondern auch wegen seiner leidenschaftlichen Art. Würde er über "Spygate" etwa überstürzt zurücktreten, wie schon öfter in seiner Karriere?

Bis ins kleinste Detail: Bielsa seziert Derbys Spiel

Die Sorge war unbegründet. Bielsa hatte nicht vor hinzuschmeißen. Vielmehr lieferte er eine der außergewöhnlichsten Pressekonferenzen der Fußball-Geschichte ab. Der Argentinier gab zu, Derby ausspioniert zu haben - genau wie alle anderen Liga-Kontrahenten. Das sei allerdings nicht illegal, wie er betonte. Danach belegte er eindrucksvoll, wie überflüssig diese Form der Trainings-Spionage eigentlich sei: Mit Hilfe einer umfangreichen Power-Point-Präsentation, die von einem Dolmetscher ins Englische übersetzt wurde, Excel-Sheets, Tabellen und Videoclips nahm er mit ruhiger Stimme nahezu jeden denkbaren Aspekt der Taktik von Derby County bis ins kleinste Detail auseinander.

Der Schatten an der Wand: Marcelo Bielsa hielt den Journalisten einen langen Vortrag. twitter.com/LUFC

Wie oft lief Derby in bestimmten Formationen auf? Welche Spieler bewegten sich wie oft in welchen Bereichen des Spielfelds? Was hat Angreifer Harry Wilson vor, wenn er bei einer Ecke beide Hände hebt? Bielsa spielte den Journalisten ein 41-minütiges Video über Derbys Offensivspiel vor und verriet, dass die Spieler davon immer eine Acht-Minuten-Version erhielten - und ein weiteres Acht-Minuten-Video über die Auffälligkeiten des gegnerischen Defensiv-Spiels.

Das alles sollte zeigen, wie akribisch sich Bielsa und sein Team mit Hilfe von öffentlich zugänglichem Material ohnehin auf jeden Gegner vorbereiten - Dossiers zu den anderen Championship-Klubs lagen zur Ansicht für die Journalisten aus. Welche neuen Erkenntnisse hätte der Praktikant da schon noch mitbringen können?

300 Stunden Analyse-Arbeit für eine Liga-Partie

"Meine Mitarbeiter haben alle 52 Spiele von Derby County in der vergangenen Saison analysiert. Das dauert jeweils vier Stunden. Warum wir das getan haben? Weil wir denken, dass das professionell ist", meinte Bielsa, der die Masse an Informationen immer wieder als "nutzlos" bezeichnete. Fast 300 Arbeitsstunden würden in die Vorbereitung auf ein Spiel investiert werden. "Was ich versucht habe, ist, Sie davon zu überzeugen, dass es (bei der Trainings-Spionage, d.Red.) nicht darum ging, sich einen unfairen Vorteil zu verschaffen. Ich habe bereits alle nötigen Informationen, bevor ich das tue. Ich kann zwar kein Englisch, aber ich kann über alle 24 Teams in der Championship sprechen." Warum dann überhaupt die "Spionage" beim Training? Bielsa: "Weil ich mich schlecht fühlen würde, wenn ich nicht jeden Stein umgedreht hätte. Das nimmt mir auch die Angst und die Aufregung."

Dass ein Trainer Journalisten haarklein seine Vorbereitungs-Methoden offenbart, hatte es bislang noch nicht gegeben. Seinem Spitznamen "El Loco" (der Verrückte) machte Bielsa auf jeden Fall alle Ehre - und in West Yorkshire dürfte man ihn nun noch ein wenig mehr lieben. Ob Bielsas 70-minütiger (!) Vortrag den Zweck erfüllt, den Sturm der "Spygate"-Entrüstung abzuschwächen, wird sich noch zeigen.

Ich habe noch nicht gesehen, dass Guardiola so etwas gemacht hat. Oder Klopp. Oder Pochettino. Die machen das hinter verschlossenen Türen, aber nicht öffentlich. Es hat mich überrascht. Es ist unglaublich.

Frank Lampard, Trainer von Derby County

Lampard reagierte erwartungsgemäß etwas verwundert darauf, dass sein Kollege Derbys Taktik in aller Öffentlichkeit seziert hatte. "Er hat einen Eindruck von sich selbst vermittelt", meinte die Chelsea-Legende, nachdem Derby sich im FA-Cup-Wiederholungsspiel in Southampton im Elfmeterschießen durchgesetzt hatte: "Ich habe noch nicht gesehen, dass Pep Guardiola so etwas gemacht hat. Oder Jürgen Klopp. Oder Pochettino. Die machen so etwas hinter verschlossenen Türen, aber nicht öffentlich. Es hat mich definitiv überrascht. Es ist unglaublich." Generell würde eine derartige Analyse aber niemanden "auch nur im geringsten" überraschen, der im Fußball arbeite: "Das wird überall gemacht." Für die Trainings-Spionage gilt das in England allerdings nicht.

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