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Börsenprofi Carsten Mumm erklärt Warum der Ölpreis uns nicht mehr schocken kann

Von Carsten Mumm
Foto: Antara Foto Agency/ REUTERS

Der Ölpreis hängt von vielen Faktoren ab, neben Angebot und Nachfrage zum Beispiel auch von Liefermengen und -beschränkungen, Lagerkosten, Währungsrelationen, Embargos, Naturkatastrophen sowie den zeitabhängigen Preisstrukturen an den Warenterminbörsen.

Für Europa mit der führenden Nordsee-Ölsorte Brent ist die marktbeherrschende OPEC (Organisation ölexportierender Staaten, circa 40 Prozent Marktanteil) über vereinbarte Fördergrenzen der Wächter über die Angebotsmenge, bei der US-Sorte WTI (West Texas Intermediate) sind es die Produzenten in den USA und Kanada. Brent  gilt als leichter zu verarbeiten und ist daher in der Regel etwas teurer als WTI .

Carsten Mumm
Foto: Donner & Reuschel

Carsten Mumm, Chefvolkswirt und Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Privatbank Donner & Reuschel.

Im Sommer 2017 gab es bei WTI einige Produktionsausfälle aufgrund von Streiks und Wirbelstürmen, wie zum Beispiel Hurrikan Harvey im mexikanischen Golf. Viele küstennahe US-Raffinerien mussten vorübergehend schließen. In kürzester Zeit waren die Lagerbestände an Ölprodukten im Süden der USA wie leergefegt. Obwohl primär US-Förderanlagen betroffen waren, stiegen auch die Brent-Preise, weil sich die ölverarbeitenden Unternehmen am Weltmarkt anderweitig versorgen mussten. Auch die in Tankern zwischengelagerten Produktionsüberschüsse verringerten sich vorübergehend, wodurch die Spot-Preise nach dem Frühsommer-Tief deutlich anzogen.

Ein Wunsch-Szenario für die Opec, denn der große Konkurrent aus den USA war nicht zu liefern imstande und das Kartell konnte die Angebotsmenge somit selbst steuern. Die aktuelle Faktenlage verwundert allerdings schon: So hat die Opec im Herbst laut Reuters täglich 25,9 Millionen Barrel Rohöl exportiert. Damit lagen die Exporte rund 2 Prozent höher als im Jahresschnitt, gegenüber dem Vorjahr sind sie sogar um 1,8 Millionen Barrel beziehungsweise 7,7 Prozent gestiegen. Das klingt auf den ersten Blick nicht nach Förderbeschränkungen, die angeblich seit Januar 2017 verhandelt sind und jüngst in Wien bis Ende 2018 verlängert wurden.

Ebenso wurde bekannt, dass die US-Ölproduktion trotz teilweiser Produktionsausfälle in der Hurrikan-Zeit weiter gestiegen und die Rohölexporte (in WTI) mit rund 2 Millionen Barrel einen neuen Rekord seit 2014 erreicht haben.

Eine dritte Interessengruppe befindet sich in Russland: Hier möchte man den Preis schon lange in viel höhere Regionen bewegen, denn immerhin werden 50 Prozent des russischen Staatshaushalts über Rohstoffexporte bestritten. Russland fördert Öl aber überwiegend aus großer Tiefe und gefrorenen Böden (Sibirien) und liegt mit den Kosten weltweit eher im oberen Bereich. Alles in allem erkennt man, dass sektorale Produktionsausfälle sofort durch Ausdehnung an anderer Stelle kompensiert werden können, das klingt so gar nicht nach Knappheit - warum also steigende Preise erwarten?

Foto: manager magazin online

Die USA werden zum Exporteur

Schieferöl - Starke Produktionsausdehnung in den USA

Die US-Ölindustrie kümmert sich nicht um den Weltmarkt, denn moderne Förder-Technologien befähigen immer mehr Produzenten auch bei Preisen um oder unter 50 US-Dollar profitabel zu wirtschaften. Mithilfe der umstrittenen Fracking-Methode, bei der Erdöl durch den Einsatz von Chemikalien aus festen Gesteinsschichten tief unter der Erdoberfläche gewonnen wird, konnten die USA ihre Rohöl-Produktion und -Exporte in den letzten Jahren kontinuierlich erhöhen. Schon heute sind die Vereinigten Staaten mit circa 9,8 Millionen Barrel am Tag hinter Russland und Saudi-Arabien der drittgrößte Ölproduzent der Welt - Tendenz steigend.

Steigt diese Fördermenge weiter an, traut man der größten Volkswirtschaft der Welt sogar einen Selbstversorgerstatus ab dem Jahr 2020 zu. In Anbetracht der gewaltigen, noch vorhandenen Reserven ist offensichtlich, dass die gewünschte Bereinigung des Ölmarktes von den dauerhaften Überschüssen bei weitem noch nicht erreicht ist. Die Opec und vor allem Russland wollen weiterhin nicht einsehen, dass ihre Strategie einer künstlichen Verknappung nicht zum Erfolg führt und vor allem der US-Schieferölindustrie nutzt.

Brent erreichte zwar aufgrund der soliden Nachfrage aus der Wirtschaft und den immerwährenden politischen Auseinandersetzungen (Nahost, Nordkorea) zum Jahresende ein Zweijahreshoch von knapp 66 Dollar je Barrel, ein dauerhafter Anstieg über 70 US-Dollar ist allerdings nicht zu erwarten. Die US-Ölproduktion dürfte in den nächsten Monaten dank der leicht verbesserten Preise für WTI (59 US-Dollar im Dezember) weiter ansteigen. Aufgrund der aktuell hohen Preisdifferenz zwischen Brent und WTI in Höhe von knapp 7 US-Dollar gelangt mehr Rohöl aus den USA auf den Weltmarkt.

Währungseffekte und weltweiter Aufschwung - Steigende Ölpreise voraus?

Wie die meisten Rohstoffe wird auch Öl überwiegend in US-Dollar gehandelt. Verteuert sich der Dollar, fallen die Rohstoffpreise - und umgekehrt, so die historische Faustregel. Die ökonomische Erklärung dafür ist rational ableitbar: Ein stärkerer Dollar macht Rohstoffe für Käufer aus anderen Währungsräumen teurer, was Auswirkungen auf die Nachfrage und die nachgelagerten Produktionskosten in der Verarbeitung hat.

Im Jahr 2017 haben sich die Vorzeichen aber verändert. Die Wahl Donald Trumps gepaart mit einer Vielzahl wohlklingender Versprechungen führte Ende 2017 zu einer kurzzeitigen Dollar-Rally in Richtung Parität zum Euro  (Tief bei 1,04 Dollar/Euro). Gemäß Faustregel hätten die Ölpreise in dieser Zeit nachgeben müssen, doch wegen der aufkeimenden Wachstums-Euphorie stiegen sie sogar leicht an. Die skeptische Präposition vieler Marktteilnehmer zur Wahl Trumps musste somit in den ersten Monaten nach seinem Amtsantritt schmerzlich revidiert werden.

Neben dem US-Dollar gibt es aktuell auch andere Gründe, die für weiter stabile Ölpreise sprechen. Vor allem der erwartete Anstieg der weltweiten Ölnachfrage auf 99 Millionen Barrel in 2018, bei einer aktuellen Produktion von etwa 98,4 Millionen Barrel offenbart ein kleines Versorgungsdefizit. Um diese konjunkturgetriebene Nachfragesteigerung nicht mit einer neuerlichen Marktflutung zu ersticken, ist nun vor allem bei den Opec-Mitgliedern Disziplin gefragt, das bestehende Defizit stabilisierend zu nutzen.

Aktuelle Zahlen bestätigen leider das Gegenteil: Die selbst definierte Obergrenze von 32,5 Millionen Barrel pro Tag wurde zum Jahresende mit zuletzt 32,8 Millionen Barrel leicht übertroffen, obwohl Libyen und Nigeria die Vereinbarung bis Ende 2018 mittragen wollen.

Im Zuge der erwarteten Nachfrageentwicklung hat sich im Süden der USA auch die Anzahl der aktiven Förderanlagen im Dezember auf rund 930 (nach 890 im November) erhöht. Darüber hinaus wird sich der durchschnittliche Produktionspreis bei Schieferöl in 2017 auf ca. 55 US-Dollar und 2018 weiter auf unter 50 US-Dollar reduzieren. Prognosen der EIA (Internationale Energieagentur) zufolge, wird damit die US-Produktion in 2018 ein neues historisches Hoch von über 12 Millionen Barrel am Tag erreichen. Das könnte dann die aktuelle Übernachfrage wieder ausgleichen ohne zu stärkeren Preisanstiegen zu führen, egal wie stark der Opec-Konsens auch gelebt wird.

Wenn wir den leichten Nachfrageüberhang mit den bestehenden Produktionsmöglichkeiten in Einklang bringen, erwarten wir im kommenden Jahr stabile bis leicht steigende Ölpreise. Die hohe Volatilität, die auch schon in 2017 gegeben war, wird allerdings mit jeder Nachrichtenlage neu geschürt. Die tiefsten Preise aus 2016 mit 25 US-Dollar sollten aber ebenso Geschichte sein, wie die Peak-Oil-Szenarien aus dem Jahr 2008 mit erwarteten 200 US-Dollar je Barrel.

Nach Jahren der Fehlbewertung könnten die aktuellen Weltmarktpreise zwischen 60 und 70 US-Dollar im Brent tatsächlich den ökonomischen Realitäten entsprechen. Wir erwarten unter stärkeren Schwankungen gegen Jahresende 2018 einen Stand von 70 US-Dollar. Ein wichtiger Punkt für die Notenbanken zeigt sich schon heute: Die Energiepreise werden die Inflations-Diskussion in 2018 wieder in Gang setzen und Argumente für eine schnellere Zinsanpassung liefern.