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Daimler will Angriff der Post mit Elektro-Van abwehren Wie der Streetscooter die Autowelt auf den Kopf stellt

Mercedes Vito (l.), Streetscooter der Deutschen Post

Mercedes Vito (l.), Streetscooter der Deutschen Post

Foto: Daimler; PR
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Daimlers neue Elektroauto-Hoffnung ist eine Attrappe. Nur auf den ersten Blick wirkt der silberne Lieferwagen Typ Vito futuristisch. Blau schimmert ein Muster darauf, das das Innenleben einer Lithium-Ionen-Batterie symbolisieren soll.

Wer sich allerdings bückt und unters Heck schaut, sieht einen dicken silbernen Auspuff. Und an der Frontseite, ganz offensichtlich, prangt der Mercedes-Stern auf einem Kühlergrill, wie ihn nur ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor braucht.

Bei Daimler muss jetzt eben alles schnell gehen, sehr schnell. Die Deutsche Post macht schon seit ein paar Jahren Furore mit ihrem eigenen Elektro-Lieferwagen, dem so genannten Streetscooter, da muss der Platzhirsch aus Stuttgart einfach rasch nachziehen.

Ein "maßgeschneidertes Komplettpaket" - das spät kommt

Immerhin 1500 Elektro-Transporter will Daimler bis 2020 an das Logistik-Unternehmen Hermes liefern. Doch mangels eines verfügbaren Prototypen muss bei der feierlichen Vertragsunterzeichnung in Hamburg ein ganz normaler Vito herhalten, überzogen mit einer Klebefolie.

"Der Zeitpunkt ist der richtige", sagt Daimler-Manager Volker Mornhinweg. "Zunehmend hören wir, dass die Kunden Elektroauto-Lösungen wollen - und zwar als maßgeschneidertes Komplettpaket." Die Partnerschaft mit der Tochter des Otto-Konzerns umfasse automatische Laderaumsysteme, die das Be- und Entladen beschleunigen können oder IT-Lösungen, die das Flottenmanagement optimieren.

Doch Daimler hinkt faktisch hinterher, wie so viele andere etablierte Fahrzeughersteller. Während die Deutsche Post bereits 2750 Streetscooter auf die Straße gebracht und externe Kunden für den 32.000-Euro-Wagen gefunden hat , soll der Vito erst im kommenden Jahr im Rahmen einiger Pilotprojekte auf die Straße kommen. Dann will die Post bereits jährlich 10.000 ihrer Elektro-Fahrzeuge von den Bändern rollen lassen.

Wie konnte es dazu kommen, das der ehemalige Staatskonzern die klassischen Autohersteller mit dem Streetscooter derart überrollt?

Die Post selbst hat dazu oft die These verbreitet, dass Volkswagen , Daimler , Renault  und Co. das Elektroauto-Thema lange Zeit schlicht nicht ernst genug genommen haben. Als der Logistik-Riese vor fünf, sechs Jahren nach Batteriefahrzeugen Ausschau hielt, hätten die Autohersteller faktisch nur mit den Schultern gezuckt.

Vergleich von Streetscooter und E-Vito zeigt zwei völlig unterschiedliche Philosophien

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"Wir haben gefragt, ob wir ein Elektroauto bekommen können, das für unsere Anforderungen optimiert ist", sagt ein Post-Sprecher gegenüber manager-magazin.de. Doch es seien keine attraktiven Angebote gekommen. Daraufhin bandelte der Konzern mit dem Aachener Start-up Streetscooter an, das er schließlich 2014 übernahm.

Wahr ist allerdings auch, das beispielsweise Daimler bereits 2011 einen elektrischen Vito in der Angebotspalette hatte und ihn testweise auch der Post zur Verfügung stellte. Doch dieses und andere Fahrzeuge waren der Post offenbar zu teuer und womöglich überdimensioniert.

Die Post dagegen wollte die neuen Möglichkeiten der Batterie-Technik gezielt dazu nutzen, ihre Fahrzeuge radikal zu vereinfachen und von überflüssigen Features zu befreien. "Im Streetscooter findet sich kein großer Schnickschnack, wir verzichten beispielsweise auf Klimaanlage und Radio", sagt der Post-Sprecher.

Konsequente Abspeck-Strategie zahlt sich für Post aus

Deutlich kleiner als beim alten Elektro-Vito ist beispielsweise die Batterie. Mercedes wartete mit einem 36-Kilowattstunden-Akku auf. Der Streetscooter begnügt sich mit 20,4 Kilowattstunden. Das reduziert die Batteriekosten potenziell um fast die Hälfte.

Dass der kastenförmige Post-Wagen trotzdem fast genauso weit kommt wie der erste E-Vito, liegt an der konsequenten Abspeck-Strategie von Streetscooter: Der Motor leistet nur 48 statt 60 Kilowatt, das Fahrzeug wiegt ganze 1370 Kilo. Der alte Vito brachte 2200 Kilo auf die Waage. Trotzdem schleppt der Streetscooter fast genau so viel Ladung, das Ladevolumen ist nur wenig kleiner.

"Die Zeit war 2011 noch nicht reif" für einen elektrischen Transporter, sagt Daimler-Mann Mornhinweg. Der Konzern habe sich nicht ausreichend mit den Bedürfnissen seiner Kundschaft auseinandergesetzt, monieren Kritiker.

Tatsächlich ebbte der Elektro-Hype der Jahre 2009, 2010 bald wieder ab. Auch bei Personenwagen blieben die Verkäufe lange Zeit hinter den Erwartungen zurück. Dabei waren die wichtigsten Argumente für Elektro-Lieferwagen damals so richtig wie heute.

Daimler und Hermes haben Vertrag offenbar mit heißer Nadel gestrickt

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"Der Diesel ist unbrauchbar", sagt der Post-Sprecher mit Blick auf Lieferungen in der Stadt. Das ständige Anlassen, Beschleunigen und Abbremsen beeinträchtige die Lebensdauer der Fahrzeuge. Zudem ist der Spritverbrauch unter den Bedingungen des dichten Verkehrs enorm. Ein Elektroauto beschleunigt dagegen stufenlos und effizient. Beim Bremsen gewinnt es Energie zurück.

Auch die Politik treibt die Nachfrage nach neuen Antrieben an. "Umweltgesetze zwingen Logistikanbieter, nachhaltige Lösungen zu suchen, vor allem in Form von elektrischen Antrieben", urteilen die Logistik-Experten der Unternehmensberatung McKinsey. Mehr als zwei Drittel befragter Logistik-Manager erwarten, dass es bis 2025 Einfahrtsbeschränkungen für Lieferwagen gibt.

Richtig in Fahrt kommt das Geschäft erst jetzt und in Zukunft aber auch, weil Batterien billiger werden. "Es gibt bereits Fälle, in denen sich der Einsatz ökonomisch lohnt", so die McKinsey-Leute.

Das soll auch für den Deal zwischen Daimler und Hermes gelten. Jedenfalls würden die Elektro-Vitos und -Sprinter über ihre Lebenszeit nicht teurer als vergleichbare Diesel-Autos, beteuert Hermes-Manager Hajo Schneider. Über den Preis der Mercedes-Fahrzeuge schweigen sich Daimler und Hermes bisher aus. Doch die Stuttgarter dürften den Liefer-Spezialisten weit entgegen gekommen sein.

Damit die Rechnung aufgeht, hat Daimler unter anderem an der Batterie-Konfiguration gewerkelt. Je nach Kundenbedürfnis lassen sich ein, zwei oder noch mehr Akkus mit jeweils 70 Kilometer Reichweite in die Fahrzeuge einbauen - nicht dass nutzlose, schwere Speicherkapazität durch die Gegend kutschiert wird.

Fragen nach der Elektroauto-Prämie hat offenbar noch keiner gestellt

"Vollelektrische Lieferwagen mit der heutigen Technik sind Diesel-Lieferwagen bereits heute ökonomisch überlegen, wenn die Autos täglich im Schnitt 70 Kilometer weit fahren", heißt es bei McKinsey. Diese Rechnung beziehe bereits die Kosten für Forschung und Entwicklung ein. "Die deutliche Ersparnis bei den Kraftstoffkosten macht die höheren Materialkosten mehr als wett."

Daimler, Volkswagen und Co. werden allerdings weiterhin ihre klassische Verbrenner-Flotte pflegen und genau abwägen, wie viele Geld sie in die alte und wie viel in die neue Technik stecken. Denn für längeren Strecken sind Diesel-Vans noch gefragt. Die Post hingegen kann sich voll auf ihre Spezial-Anwendungen konzentrieren und sich für diese einen Vorteil herausarbeiten.

"Geschwindigkeit ist gut", sagt Daimler-Manager Mornhinweg mit Blick auf die Entwicklung neuer Technologien. Dann komme es aber entscheidend darauf an, die Nachfrage zu beobachten und das eigene Angebot "auszusteuern".

Eine gewisse Hektik kann dabei aber offenbar durchaus aufkommen, wie die Partnerschaft mit Hermes belegt. Die Frage, ob sich der neue E-Vito für die Elektroauto-Prämie der Bundesregierung qualifiziere, konnten bei der Vertragsunterzeichnung jedenfalls weder Hermes noch Daimler beantworten. Dabei geht es immerhin um 4000 Euro pro Fahrzeug, was die Kalkulation des Geschäfts deutlich beeinflussen dürfte. Zumal die Hälfte davon der Hersteller beisteuern muss. Da wurde der Vertrag offenbar mit heißer Nadel gestrickt.

Doch bei Daimler und Co. soll es jetzt eben vor allem schnell gehen. Damit die klassischen Hersteller von der Post nicht dauerhaft die Rücklichter sehen.