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Feinstaub Benziner sind die neuen Diesel

Vom Umweltsünder Diesel flüchten Autokäufer zu Benzinmotoren. Die aber verpesten die Luft mit gefährlichem Feinstaub. Nun drohen auch hier Fahrverbote.
Feinstaubalarm in Stuttgart

Feinstaubalarm in Stuttgart

Foto: Lino Mirgeler/ dpa

Nicht einmal zehn Tage ist das neue Jahr alt, da muss Stuttgart Alarm schlagen. Erneut steigen die Feinstaubwerte, Autofahrer sollen ihre Wagen stehen lassen.

In vielen deutschen Städten drohen Fahrverbote. Dieselautos stehen seit Monaten angesichts ihres hohen Stickoxidausstoßes in Verruf. Der belastet, ebenso wie Feinstaub, die Luft in den Städten. Autokäufer suchen deswegen ihr Heil im Kauf von Benzinern - im Glauben, dass diese von möglichen Fahrverboten ausgenommen wären. Doch das könnte ein teurer Irrtum sein.

Ein Problem rollt hier auf die Autobranche zu, das den Imageschaden durch dubiose Tierversuche bei Weitem in den Schatten stellen dürfte. Seit der VW-Dieselaffäre steigt der Anteil von Benzinern am Neuwagenverkauf in Deutschland. Stolz präsentieren die Autohersteller ihre besonders sparsamen und umweltfreundlichen Ottomotoren, bei denen der Kraftstoff bei hohem Druck direkt in den Motorraum gespritzt wird. Der Großteil heute neu zugelassener Benziner sind solche Direkteinspritzer - und damit tatsächlich gefährliche Dreckschleudern.

Die hocheffiziente Einspritztechnik spart bis zu 15 Prozent Kraftstoff und damit schädliches CO2. Durch den besonderen Verbrennungsprozess aber entstehen zugleich sehr kleine Feinstaubpartikel. Gerade dieser Ultrafeinstaub, so warnen Experten, ist besonders gesundheitsgefährdend.

Werden auch Benziner aus Städten verbannt?

Spät hat die Politik reagiert, wieder einmal. Erst seit September 2017 müssen Hersteller von Direkteinspritzern strengere Grenzwerte einhalten, und das auch nur bei der Einführung neuer Fahrzeugtypen. Ab September dieses Jahres gilt die Feinstaubgrenze auch für alle neu zugelassenen Benziner mit Direkteinspritzung.

Alle bis dahin auf den Straßen fahrenden Benziner dürfen laut Gesetz weiter den gefährlichen Feinstaub in die Luft pusten. Das könnte sich für die Besitzer rächen: Ähnlich wie die Städte Dieselfahrzeuge wegen ihres Stickoxidausstoßes vermutlich mit Fahrverboten, Plaketten und Umweltzonen in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken müssen, könnte es die Benziner wegen des Feinstaubausstoßes ereilen. Andernfalls drohen den Städten drastische Strafzahlungen wegen des Verstoßes gegen die EU-Grenzwerte.

Umweltexperten hoffen auf einen Wandel in der aktuellen Diskussion um eine "blaue Plakette". Sie bezieht sich bisher nur auf Dieselautos - doch sie könnte künftig auf Benziner mit Direkteinspritzung ausgeweitet werden. Sollte die "blaue Plakette" wirklich kommen, wären laut ADAC neben etwa 13 Millionen Dieselautos auch gut drei Millionen Benziner von Fahrverboten bedroht.

Schadstoffprobleme der Benziner lange ignoriert

Im Gegensatz zu bereits verkauften Benzinern dürfen neue Autos mit direkteinspritzendem Ottomotor nach den neuen Regeln lediglich ein Zehntel der bisher erlaubten Partikel ausstoßen - sie liegen damit gleichauf mit den Vorgaben für Diesel, bei denen die sogenannten Partikelfilter schon seit Jahren vorgeschrieben sind. Die immense Differenz zum zuvor jahrelang geduldeten Feinstaubausstoß demonstriert erneut die Ignoranz der Bundesverkehrsminister. Sie sahen über alle früheren Warnungen hinweg.

"Die meisten Menschen in Europa denken bei Feinstaubemissionen an Dieselfahrzeuge. Aktuell sind jedoch die direkteinspritzenden Benziner das weitaus größere Problem. Es wurde bisher nicht ausreichend angegangen", sagt Norbert Heeb. Der Chemiker und Projektleiter untersucht am Schweizer Forschungsinstitut Empa seit Jahren Direkteinspritzer. "Angesichts der Stickoxidprobleme beim Diesel erleben wir eine Rückkehr zum Benzinmotor. Das verschärft das Ultrafeinstaubproblem", warnt der Wissenschaftler und fordert Partikelfilter für alle Benziner.

Im Fahrbetrieb unter realen Straßenbedingungen stoßen Direkteinspritzer nach den Empa-Analysen fast so viele Feinstaub-Partikel aus wie Dieselautos ohne Partikelfilter vor 15 Jahren - und je nach Fahrbedingungen 100 bis 1000 Mal mehr als heutige Euro-6-Dieselfahrzeuge, die serienmäßig mit Partikelfilter ausgerüstet sind. Auch der deutsche Automobilclub ADAC prangert in Tests die hohen Partikelwerte moderner Benziner seit Jahren an.

Schon verkaufte Fahrzeuge bleiben Dreckschleudern

Erst jetzt passiert etwas. Um die neuen Grenzwerte zu erfüllen, rüsten die Autohersteller nun wie gesetzlich verlangt neu vom Band rollende Direkteinspritzer bis Mitte des Jahres mit Partikelfiltern aus. Man wolle die Umweltverträglichkeit der Fahrzeuge weiter verbessern und plane daher den großflächigen Einsatz von Partikelfiltern für Benziner, heißt es unisono bei den Autokonzernen. Allerdings gilt das eben nicht für bereits verkaufte Autos.

"Die Feinstaubfrage ist gelöst", sagt ein Sprecher des Autolobby-Verbands VDA. Durch die jetzt eingebauten Partikelfilter würden die neuen Vorgaben erreicht und zuvor habe es keine gegeben, an die Hersteller sich hätten halten müssen. "Die Umstellung der Norm für alle Neuzulassungen ist für die Hersteller eine enorme Aufgabe. Sie müssen in die laufende Produktion eingreifen."

Aktuell drängend bleibe nun eher das Stickoxidthema. "Der Beitrag von Ottomotoren zum Feinstaub war bisher schon gering", betont der VDA-Sprecher. Es gibt auch daher keine Pläne, in der Bestandsflotte Partikelfilter einzubauen.

Eine Nachrüstung wäre gar nicht mal teuer

Abgasexperten wie Andreas Mayer sehen das anders. Ihm stößt besonders auf, dass die schon jetzt zugelassenen direkteinspritzenden Autos die Luft weiter verpesten können. "In der bestehenden Benzinerflotte wird nichts passieren, keine Nachrüstung, kein Update. Das ist das Schlimmste", sagt der Schweizer Ingenieur, ein Experte für Rußfiltersysteme, die er seit mehr als 20 Jahren entwickelt. Da nur neue Autos Filter erhalten, werde das Feinstaubproblem noch viele Jahre bleiben. Dabei ließe sich das Problem aus Sicht von Mayer etwa mit einem Vier-Wege-Katalysator lösen, zu Kosten von 300 bis 400 Euro.

Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert, die Bestandsflotten der Benziner mit Filtern für die giftigen Partikel nachzurüsten. Doch schon die bis zu 100 Euro teuren Partikelfilter für Neuwagen waren der Autobranche offensichtlich bislang schon zu kostspielig.

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Die Autohersteller profitierten jahrelang von einem Aufschub für die Ottomotoren. Autolobbyisten hatten bei der EU erreicht, dass die Benzin-Fahrzeuge weit mehr der schädlichen Partikel ausstoßen durften als Diesel.

Auch ein anfänglicher Irrtum gab dem Vorschub: Jahrelang galt die Masse an Feinstaubteilchen als das große Problem. Die ist bei Dieselautos höher als bei Ottomotoren. Daher gelten selbst Politikern noch heute Benziner oft als unbedenklich, was Feinstaub angeht. Tatsächlich - und darauf weisen Experten schon seit langer Zeit hin - sind die viel winzigeren Staubteilchen der direkteinspritzenden Benziner weitaus gefährlicher für die Gesundheit. Die Zahl der ausgestoßenen Feinstaubpartikel wurde jedoch jahrelang nicht in Augenschein genommen.

Auslöser für Krebs, Asthma, Herz-Kreislaufprobleme

Teils weniger als 0,1 Mikrometer groß können diese Teilchen tief in die Lunge eingeatmet werden und passieren sogar die Schranke zum Blutkreislauf. An sie haften sich Schadstoffe beispielsweise aus dem Abgas an, von denen viele als krebserregend gelten.

Studien zeigen, dass die kleinen Partikel auf diesem Weg die Lungenfunktion schwächen und Risiken für Krebs, Asthma und Herz-Kreislaufkrankheiten bis hin zum Herzinfarkt erhöhen. Selbst die Entwicklung von Babys im Mutterleib könne verschlechtert werden, zeigen neue Analysen.

Das Umweltbundesamt führt Zehntausende vorzeitige Todesfälle in Deutschland auf die größeren Feinstaubpartikel zurück - für den noch gefährlicheren Ultrafeinstaub gibt es diese Berechnung bisher noch gar nicht.

Das Helmholtz-Zentrum in München stellte fest, dass das Einatmen ultrafeiner Feinstaubpartikel schon nach wenigen Minuten die Herztätigkeit negativ beeinflusst. Weit gefährlicher als die gefürchteten Stickoxide seien die Rußpartikel, warnt schon lange der Münchner Epidemiologe Erich Wichmann. Sie erhöhten die Sterblichkeit erwiesenermaßen. Laut EU kostet Feinstaub jedes Jahr in Deutschland rund 60.000 Menschenleben, dagegen Stickoxid bis zu 10.000.

Ein Problem: Noch immer wird der Feinstaub bei Messdaten in Deutschland nach dem Gewicht bemessen - und die Belastung sinkt. Doch die Zahl der Partikel, das eigentlich Entscheidende, wird außer Acht gelassen.

Das Umweltbundesamt zeigt sich besorgt angesichts der ultrafeinen Staubteilchen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt nur halb so hohe Konzentrationen in der Luft, wie sie die EU erlaubt, an deren Werten sich Städte wie Stuttgart bei Fahrverboten orientieren.

Keine harten Kontrollen für Benziner

Lehren aus dem Debakel um die missglückten Kontrollen bei Schadstoffen von Dieselautos sind im Bundesverkehrsministerium trotz der erwiesenen Gesundheitsgefahr nicht sichtbar. Der bisherige Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat zwar die Abgasuntersuchung für alle Fahrzeuge ab diesem Jahr wieder eingeführt. Sie soll Manipulationen und defekte Filter erkennen helfen.

Doch die bisherige Messtechnik ist zu ungenau, kann zudem gerade einmal das Partikelgewicht messen. Geräte, mit denen sich die viel bedeutsamere Anzahl der Feinstaubteilchen messen ließe und damit auch die Menge kleiner Partikel erfasst würde, sind erst ab 2021 geplant.

Selbst dann schließt Dobrindts Richtlinie aber gerade eine Fahrzeuggattung von Messungen der Partikelanzahl aus: sämtliche Benziner. Ihr tatsächlicher Feinstaubausstoß bleibt damit nach der Zulassung unkontrolliert.

Richard Goebelt, Leiter des Geschäftsbereichs Fahrzeug und Mobilität beim Verband der TÜV, fordert ein rasches Umsteuern: "Die Partikelanzahl muss auch für Benziner zukünftig berücksichtigt werden", sagt er. Dort seien schließlich die noch größeren Auswirkungen auf die Gesundheit zu sehen.

"Die Grenzwerte sind zu locker"

Dass angesichts der Bedrohung nicht längst mehr geschieht, ist Ingenieur Mayer ein Rätsel. Bei den Eidgenossen hat der Rußfilterexperte eine in vielen Ländern anerkannte Prüfnorm für Feinstaubfilter entwickelt. "Man weiß schon lange um die Gesundheitsgefahr der Partikel. Ich sehe hier einen gefährlichen Konsens der Industrie mit den Behörden, die zu lange nicht eingegriffen haben", sagt Mayer. "Es ist ein bisschen wie beim Asbest, da waren die Risiken 1936 bekannt und erst ab 1986 gab es erste Vorschriften"

Auch das jetzige Vorgehen in Deutschland sieht er kritisch. Die Direkteinspritzer könnten heute schon weit niedrigere Feinstaubwerte einhalten, als sie der Staat nun fordert. "Die Hersteller filtern nicht so viel raus wie sie könnten, sondern nur so viel, wie sie unbedingt müssen", sagt Mayer. "Die Grenzwerte sind zu locker. Sie könnten um den Faktor 100 schärfer sein, die Technik dafür ist da und bei Dieselmotoren längst erprobt."

Zusammengefasst: Dieselstickoxide sind das Thema in Autobranche und Politik, dabei bergen Benziner eine ebenso große Gefahr: Feinstaub. Jahrelang ignorierte das Verkehrsministerium das Problem. Dabei stoßen die modernen Direkteinspritzer besonders viel des sehr gefährlichen, ultrafeinen Feinstaubs aus. Jetzt sollen die Hersteller Grenzwerte einhalten und bauen Partikelfilter ein - doch nur bei neuen Autos mit Ottomotoren (und selbst da) wird der Ausstoß künftig kaum kontrolliert. Bereits verkaufte Benziner dürfen die Luft weiter verpesten. Und Besitzern drohen Fahrverbote, wenn den Städten das Feinstaubproblem stinkt.