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Dieselautos Ist Ihre Stadt auch vom Fahrverbot bedroht?

Das erste Fahrverbot für Dieselautos kommt - in Stuttgart. Doch Umweltschützern und der EU reicht das nicht: Sie fordern Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung auch in 15 weiteren Städten.
Umweltzone

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Foto: Fredrik Von Erichsen/ picture alliance / dpa

Baden-Württembergs Landesregierung sah sich unter Druck gesetzt: Es herrsche "dringender Handlungsbedarf zur Verbesserung der Luftqualität in Stuttgart", räumte die schwarz-grüne Koalition in einer Pressemitteilung ein - weshalb ab 2018 ein Fahrverbot für ältere Dieselautos an bestimmten Tagen verhängt werde. Explizit wurde in der Mitteilung auch genannt, wer mit den Maßnahmen besänftigt werden solle: die Europäischen Kommission und die Deutsche Umwelthilfe (DUH):

  • Die EU hatte bereits 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil in vielen Großstädten und Regionen die erlaubten Stickstoffdioxid-Grenzwerte immer wieder überschritten werden, unter anderem auch in Stuttgart. Da die Politik aber tatenlos blieb, schickte Brüssel vergangene Woche noch mal ein Mahnschreiben: Deutschland müsse in den nächsten zwei Monaten konkrete Schritte zur Verbesserung der Luftqualität vorlegen, sonst drohe eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.
  • Die DUH hatte 2015 beim Verwaltungsgericht Stuttgart ein Gerichtsverfahren gegen das Land Baden-Württemberg erstritten. Die Umweltschützer forderten ebenfalls strengere Maßnahmen, um die Luft sauberer zu halten. Das geplante Diesel-Fahrverbot wurde in der Mitteilung der Landesregierung nun als "wichtiger Baustein" im Verfahren gegen die DUH bezeichnet.

Vor September 2015 hatte wohl kaum jemand ernsthaft damit gerechnet, dass Dieselautos aus deutschen Städten verbannt werden. Aber seit der Abgasbetrug von VW bekannt wurde und Untersuchungen auch viele andere Hersteller in Erklärungsnot gebracht haben, hat der einstmals als sauber geltende Diesel sein Dreckschleuder-Image weg.

Das nun angekündigte Fahrverbot in Stuttgart - immerhin der Inbegriff der deutschen Autostadt - beweist, welche Einschränkungen Besitzern von Fahrzeugen mit Selbstzünder tatsächlich drohen können.

Und es gibt Gründe zur Annahme, dass auch in anderen Städten Restriktionen folgen:

  • In Düsseldorf hatte das Verwaltungsgericht im September 2016 Fahrverbote für Dieselfahrzeuge angeregt. Diese würden sich "aufdrängen", sagten die Richter: Schließlich sei erwiesen, dass die Emissionen von Dieselautos für einen großen Teil der Luftbelastung in Städten verantwortlich sind. Zu dem Urteil war es gekommen, nachdem die DUH die Bezirksregierung Düsseldorf verklagt hatte: Die Umweltschützer forderten vor Gericht von der Behörde Maßnahmen gegen zu hohe Stickstoffdioxidwerte.
  • In München erklärte in der vergangenen Woche der Vorsitzende Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof: "Es führt kein Weg an Verkehrsbeschränkungen für Dieselfahrzeuge vorbei." Auch hier hatte die DUH wegen andauernder Überschreitung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid geklagt.

Nach dem Urteil in Düsseldorf lässt die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen die Rechtslage für Fahrverbote derzeit beim Bundesverwaltungsgericht klären. Es geht dabei um die Frage, inwieweit schon nach jetziger Rechtslage ein Diesel-Fahrverbot durch das Zeichen "Verbot für Kraftwagen" mit entsprechendem Zusatzschild für Diesel angeordnet werden könne. Eine Entscheidung wird für Herbst 2017 erwartet.

DUH-Anwalt Remo Klinger sagte dem SPIEGEL, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auch richtungsweisend für ähnliche Verfahren sei, die die Umwelthilfe in folgenden Städten angestrengt hat.

  • Baden-Württemberg: Reutlingen
  • Berlin
  • NRW: Aachen, Bonn, Essen, Gelsenkirchen und Köln
  • Hessen: Darmstadt, Frankfurt, Limburg, Offenbach und Wiesbaden
  • Rheinland-Pfalz: Mainz

In diesen Städten werden die NO2-Grenzwerte regelmäßig überschritten. Die EU zählt in ihrem Mahnschreiben insgesamt 28 Regionen in Deutschland auf, in denen die Luft zu dreckig ist, unter anderem Hamburg, Köln, Hagen, Münster, Wuppertal sowie die Ballungsräume Mannheim/Heidelberg, Kassel und Rhein-Main.

Die von der Landesregierung Baden-Württemberg für Stuttgart gefundene Regel kritisierte DUH-Anwalt Klinger als "zu kurz gesprungen". Ein nur an einigen Feinstaubalarm-Tagen geltendes Fahrverbot für Dieselautos, die die Euro-6-Norm nicht erfüllen: "Das mag für Feinstaub ausreichen, es wird aber nicht ausreichen, um den Grenzwert für Stickstoffdioxid einzuhalten."

DUH fordert radikalere Maßnahmen

Statt der tagesabhängigen Sperre befürwortet die DUH die Einführung einer Plakette für Dieselautos und der Einrichtung bestimmter Zonen in den Städten, die für Selbstzünder tabu sind. Für die bundesweite Lösung mit einer sogenannten blauen Plakette sprach sich am Dienstag auch noch mal Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann aus: Sie soll Dieselautos mit vergleichsweise geringen Schadstoffemissionen kennzeichnen - in der Regel solche Fahrzeuge, die die Euro-6-Norm erfüllen und damit höchstens 80 Milligramm Stickoxide pro Kilometer ausstoßen. Nur mit diesen Autos soll es erlaubt sein, in Stadtgebiete mit besonders schlechter Luftqualität zu fahren.

Die Einführung der blauen Plakette scheiterte bislang vor allem am Widerstand von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der die Autolobby im Kampf um den Erhalt der Dieselantriebe unterstützt und sich stattdessen dafür ausspricht, dass Fahrzeuge wie Taxen, Busse oder Behördenautos in Städten auf alternative Antriebe umgestellt werden. Gleichzeitig wälzte der Minister die Verantwortung für die bei Industrie und Autofahrern gefürchteten Fahrverbote auf die Länder ab, indem er Städten nahelegte, bei hohen Stickoxidkonzentrationen in der Atemluft Dieselautos auszusperren.

Kommentar zum Fahrverbot: Danke, Herr Dobrindt!

Der von Dobrindt vorgeschlagene rechtliche Kniff würde dabei aber wohl bedeuten, dass nicht nur ältere Diesel, sondern auch moderne Fahrzeuge mit Euro-6-Norm draußen bleiben müssen. Und da wäre er wiederrum auf einer Linie mit der DUH: Die möchte ebenfalls ohne Ausnahme sämtliche Dieselautos verbannen.

Eine bundesweit gültige blaue Plakette könnte da für viele Befürworter des Diesels noch das kleinere Übel sein. Dass eine Lösung für die Luftverschmutzung gefunden werden muss, daran herrscht wohl kein Zweifel: Laut Angaben der EU gibt es jährlich 400.000 vorzeitige Todesfälle als Folge der hohen Schadstoffwerte in der Atemluft. Vor allem Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden dadurch ausgelöst. 40 Prozent der Stickstoffoxidemissionen stammen demnach aus dem Straßenverkehr - und davon rund 80 Prozent von Dieselfahrzeugen.