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Tageskarte Küche Topfenschlagen mit Ötzi

Von mager bis vollfett – in Deutschland fristet Quark ein trauriges Los auf Knäckebrot. In Österreich dagegen nennt er sich Topfen und gilt als Werk der gehobenen Dessert-Kunst. Ein Plädoyer für den Weißkäse.

Nur ignorante Nordlichter denken, in Österreich würde man ein so seltsames Deutsch sprechen, weil die Eingeborenen es dort nie über die Alpen nach Süden geschafft haben. Österreicher finden solche Sprüche naturgemäß "überhaupt's net leiwand" – und erstunken und erlogen ist es obendrein.

Als ich in den Achtzigern in München lebte, waren sie längst da, die Ösis. Auf dem Markt oder bei Tengelmann im Regal mit den ersten feinen Tiroler Spezialitäten jenseits von Mozartkugeln und Stroh-Rum: mit Kareespeck, Bergkäse, Veltliner und Marillenschnaps. Seit dem EU-Beitritt 1995 stehen Austro-Alimentari wie Kaminwurzen oder Kümmelbraten immer selbstverständlicher neben Serrano, Schwarzwälder, Parma oder Katenschinken im Wurstregal, und auch Krensenf, Kürbiskernöl, Sennerbutter, Powidlmus (Zwetschge) oder Heidensterz (Buchweizen) sind nördlich des Inns keine Kolonialwaren mehr. Nur das wichtigste Lebensmittel fehlt auch nach einem Dutzend EU-Jahre in weiten Teilen Deutschlands: der Topfen. Noch nicht einmal der Jodel-Toni vom "Tiroler Bauernstandl" auf meinem Wochenmarkt hat ihn immer dabei.

Die österreichische Küche war immer ein Spiegel der Landesgeschichte, und durch den multikulturellen Austausch mit italienischer Cucina und Balkan/Böhmen-Spezialitäten sogar die erste echte Crossover-Küche Europas der Neuzeit. Doch jenseits von Wiener Schnitzel oder Szegediner Gulasch waren es vor allem die Süßspeisen, die Austrias Ruhm in der globalen Kochwelt mehrten. Kaiserschmarrn, Apfelstrudel, Grenadiermarsch, Palatschinken – und immer wieder Topfen, Topfen, Topfen.

Im Süden Deutschlands kennt man die feinen Unterschiede zwischen Topfen und dem in ähnlichem Verfahren hergestellten Speisequark seit langem. Beides entsteht, indem man Milch Lab (ein Enzym aus dem Kälbermagen) beimengt, das die festeren Bestandteile fermentiert, die dann als Käsebruch aus der Flüssigkeit (Molke) herausgesiebt werden. Das wurde früher oftmals im Topf daheim selber gemacht, deshalb der Name Topfen. Dieser Frischkäse wird anschließend passiert, zum Teil mit Sahne angefettet und kommt als Quark oder Schichtkäse (mit verschiedenen Fettstufen in mehreren Lagen) auf den Markt. Das weiße Kind hat viele Namen: "Glumse" (Ostpreußen), "Matte" (Hessen), "Matz" (Mitteldeutschland), "Bibbeleskäs" (Baden), "Klatschkies" (Rheinland), "Sibbkäs" (Südhessen), "Luggeleskäs" (Württemberg) oder "weißer Käs" (Süddeutschland).

Alles der gleiche breit getretene Quark, könnte man meinen. Und doch liegen zwischen Topfen und Speisequark Welten. Das liegt vor allem am Wasser. Der österreichische Bröseltopfen wird bei der Herstellung zentrifugiert und bekommt dadurch eine fest-bröselige Konsistenz, die sich in der Hand fast trocken anfühlt. Und genau das macht ihn zur Geheimwaffe österreichischer Dessertkunst: Topfen kann bei vielen Rezepten an der Stelle von Mehl benutzt werden, liefert aber ein ungleich schmelzigeres Endergebnis auf der Zunge. Beim Strudel als Füllung, bei herzhafter Quiche als Belag, bei Knödel oder Nocken als Hauptzutat – mit Topfen lassen sich fettarme (unter 10 Prozent Fett), gesunde (Kalzium) und bekömmliche (glutenfrei) Rezepte realisieren. Mit Quark geht das nicht, der ist entweder erhitzt (Ricotta) oder zu stark mit Sahne aufgeschlagen – immer aber viel zu feucht.

Leider ist das Beschaffungsproblem nördlich des Topfenäquators (ganz in der Nähe des Weißwurstwendekreises) so immens, dass sogar Sarah Wiener in ihrem Topfenknödelrezept empfiehlt, notfalls Schichtkäse mit Semmelbrösel anzureichern. Das wird leider ziemlich grisselig im Mund – besser ist es, den Schichtkäse in einem Leintuch mit aller Kraft auszuwringen und über Nacht auf ein trockenes Tuch aufzustreichen und einzupacken.

Nachfolgendes Rezept verbeugt sich vor Österreich – und zugleich vor der Weltoffenheit und Reisefreude seiner Einwohner: Hier feiern Topfennockerln und Pina Colada eine beschwipste Nachtischparty. Leiwand!

Rezept für Pina-Colada-Nocken (Dessert für 4 Personen, für Vegetarier geeignet)

Zubereitungszeit: 45 Minuten

Schwierigkeitsgrad: leicht

Zutaten: 300 g Topfen, 2 El Hartweizengries, 1 El Erdnussöl, 1 Ei, 1 El Zucker, 150 ml Kokosmilch, 200 g Kokosflocken, 2 Baby-Ananas, 1 reife, aber noch feste Mango, 4 cl brauner Rum, Saft von 1/2 Zitrone.

Zubereitung. Ananas-Carpaccio: Ananas schälen, mit Zitronensaft abreiben und für 15 Minuten ins Tiefkühlfach legen. Anschließend mit Aufschnittmaschine in möglichst dünne Scheiben schneiden. Fächerartig auf 4 Teller drapieren, gleichmäßig mit Rum marinieren.

Pina-Colada-Nocken: Topfen, Gries, Öl, Ei und Zucker zu einem glatten Teig verkneten, abdecken und 30 Minuten im Kühlschrank ruhen lassen. Zwischenzeitlich Mango schälen und in 16 rechteckige gleich große, länglich-flache Stücke schneiden. Anschnitte zu ca. 20 feinen Spalten schneiden (für die Deko). Kokosmilch in beschichteter Kasserolle langsam auf ein Drittel einkochen lassen, 50 g Kokosflocken dazu geben, weiterrühren bis ein zäher Brei entstanden ist (Achtung: brennt leicht an!). Kokosbrei auf Teller streichen, im Gefrierschrank 10 Min. abkühlen lassen. Kokosbrei auf 8 Mangostücke verteilen, die restlichen 8 Stücke aufsetzen, leicht andrücken. 5 l leicht gesalzenes Wasser aufkochen lassen, Temperatur auf niedrige Stufe herunter drehen. Teig in 8 gleich große Stücke teilen. Teig in angefeuchtete Handfläche drücken, je 1 Mango/Kokos-Sandwich in die Teigmitte leicht eindrücken. Mit zwei großen Löffeln (oder angefeuchteten Händen) längliche Nocken formen, mit Schaumlöffel vorsichtig in das Wasser gleiten lassen. Nach ca. 10 Minuten sollten die Nocken oben schwimmen und sind fertig.

Anrichten: Nocken mit Schaumlöffel aus dem Wasser heben, gleichmäßig mit den restlichen Kokosflocken panieren. Je 2 Nocken pro Teller (mit Mangospalten und exotischen Blüten garnieren), noch heiß servieren.

Küchen-Klang: Wer im Sommer versäumt hat, sich die gnadenlos sonnig-poppige Compilation "Rhythms Del Mundo-Cuba" (Universal Music) zu besorgen, sollte dies endlich nachholen – und die Karibik-Versionen von Coldplay, U2, Arctic Monkeys oder Franz Ferdinand im Buena-Vista-Style nicht nur zum Kochen hören, sondern die CD gleich den Gästen mitservieren.

Getränketipp: Als Dessertwein folgt der 2004 Chateau Puy-Servain "Terrement" Haut-Montravel dem Süß/Herb-Spiel des Nocken-Rezeptes auf dem Fuß. Interessante Alternative: eine im hohen Grappaglas servierte Mini-Pina-Colada (hälftig eisgekühlter brauner Rum und Ananassaft, darüber mit Zauberstab aufgeschlagener Kokosmilchschaum).

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