Zum Inhalt springen

Romanautor Karan Mahajan "Ich sehe Terrorismus als menschliche Ausdrucksform"

"In Gesellschaft kleiner Bomben" heißt der Roman: Autor Karan Mahajan erzählt von einem Anschlag auf einen Marktplatz in Delhi - aus Sicht der Opfer wie der Täter. Hier spricht er über Terror, Männer und die USA.
Nach einem Bombenanschlag in Delhi (2008)

Nach einem Bombenanschlag in Delhi (2008)

Foto: Vijay Mathur/ REUTERS
Zur Person
Foto: imago/ Hindustan Times

Karan Mahajan, 33, wurde in Stamford, Connecticut, geboren, wuchs aber im indischen Delhi auf. Als Student kehrte er in die USA zurück. Sein erster Roman, der unter dem Titel "Das Universum der Familie Ahuja" 2010 auch auf Deutsch erschien, drehte sich um einen Minister für Stadtentwicklung. Sein zweiter Roman, "In Gesellschaft kleiner Bomben", wurde nach seiner Veröffentlichung in den USA weithin gefeiert und für den National Book Award nominiert. Mahajan lebt derzeit in Austin, Texas.

SPIEGEL ONLINE: Herr Mahajan, wie findet man den richtigen Ton, um über einen Terroranschlag zu schreiben? Erst recht in einem Roman mit unterschiedlichen Perspektiven?

Mahajan: Das dauerte lange. Am Anfang habe ich mit zu viel Sympathie für die Opfer geschrieben, hundert Seiten über die Trauer des Ehepaars Khurana, das seine Kinder bei dem Bombenanschlag verliert. Aber so richtig erschloss sich mir die Geschichte erst, als ich einen etwas kälteren Ton anschlug, um den Terror und den Bombenanschlag so klar wie möglich zu sehen. Dazu musste ich alle anderen sozialen Konstrukte, die auf so ein Ereignis gebaut werden, beiseiteräumen - damit ich den Anschlag ganz unbarmherzig als eine weitere menschliche Erfahrung sehen konnte und Terrorismus, so hart das klingt, als eine menschliche Ausdrucksform. Das Thema selbst würde beim Leser Mitgefühl erzeugen, das war mir klar, deswegen durfte ich nicht übertreiben und zu mitfühlend schreiben.

SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie von vornherein geplant, auch die Sichtweise der Bombenleger für das Buch in den Blick zu nehmen?

Mahajan: Nein, am Anfang standen die Bilder vor meinem Auge, aus denen die ersten zwei Seiten des Romans wurden. Da geht es um die Opfer, das Paar, das seine Kinder verliert. Aber ich versuche, auch sie mit Klarheit zu sehen, sie nicht als Engel zu zeigen. Der Terrorist legt eine Bombe und tötet eine Anzahl von Leuten - und für die Opfer ist das die größte, schlimmste Sache. Aber der Bombenleger hat sie nicht notwendigerweise gesehen oder sich gar mit ihnen unterhalten. Es ist kein persönliches Verbrechen. Viele Terroristen sehen sich selbst auch als Opfer, in diesem Fall der indischen Besetzung Kaschmirs. Das war für mich die intellektuelle Verbindung zwischen Tätern und Opfern, durch die ich über beide schreiben konnte.

SPIEGEL ONLINE: Ein Unterschied zwischen der indischen und den westlichen Gesellschaften ist, dass es in Indien häufiger diese kleinen Anschläge gibt, von denen Sie einen im Roman beschreiben. Gehören Bombenanschläge dadurch dort beinahe zum Alltag?

Mahajan: Nein, dass die Menschen in Indien anders auf Anschläge reagieren, liegt an der schieren Zahl anderer Tragödien, die dort geschehen. Jeden Tag gibt es Berichte von Bussen, die sich überschlagen oder Zugunglücken oder Bränden. Es gibt also einen viel stärkeren Wettbewerb um den geistigen Raum, der für Tragödien reserviert ist.

SPIEGEL ONLINE: Wirkt sich das auf die mediale Berichterstattung aus?

Mahajan: Über Anschläge wird von den indischen Medien auf dieselbe Weise wie im Westen berichtet: ständige Wiederholungen der Szene, Expertendiskussionen, die Frage, warum das geschehen ist. Aber sie werden schneller aus dem Bewusstsein verbannt, weil schon das nächste, ebenso grässliche Ereignis kommt. Das ist einerseits schlecht, weil die Opfer bald ignoriert werden. Andererseits ist Vergessen vielleicht der einzige Weg, wie man mit Terrorattacken umgehen kann, um weiterzumachen und als Gesellschaft nicht komplett durch sie matt gesetzt zu sein. Denn das wäre die schlimmste Folge eines terroristischen Angriffs, das ist ja, was die Terroristen wollen.

SPIEGEL ONLINE: Eine beinahe komische Szene beschreiben Sie, als der Bombenattentäter in seine Basis zurückkehrt und man ihm dort zu 200 Opfern gratuliert, obwohl es doch in Wirklichkeit weniger waren. Glauben Sie, es gibt so eine Art professionellen Wettstreit unter Terroristen tatsächlich?

Mahajan: Ich kann es nicht sicher sagen. Aber in Armeen wird so etwas ständig gemacht, deshalb scheint es mir wahrscheinlich. Aus meinen Recherchen weiß ich, dass Terroristen sehr gern die Zeitungsberichte über ihre Taten lesen. Auf der anderen Seite haben Terrorgruppen ihre eigenen Propagandamedien und neigen dazu, solche Zahlen aufzublasen. Was mir erst auffiel, als ich das Buch zu Ende geschrieben habe: Es passt sehr gut zu einem weltweiten Trend: Wir alle messen unseren Erfolg immer mehr mithilfe von Zahlen, seien es Likes bei Facebook oder Erwähnungen bei Twitter.

SPIEGEL ONLINE: Später im Buch, einige Jahre sind vergangen, vergleicht sich eine Figur mit Mohammed Atta, dem 9/11-Attentäter, der in Hamburg gelebt und Stadtplanung studiert hatte. Atta ist natürlich eine Person, die uns in Deutschland besonders beschäftigt hat. Der junge Mann im Buch spekuliert, ob Atta die Zerstörung des World Trade Center als eine Art Praxistest seiner Studien angesehen haben könnte.

Mahajan: Das ist so ein männlicher Impuls. Ja, es scheint mir ein männlicher Faktor zu sein, mit sehr großspurigen, abstrakten Plänen daherzukommen. Stadtplanung und Terrorismus haben beide etwas davon, deswegen kam es mir zumindest nicht völlig verrückt vor, dass sich jemand vom einen zum anderen bewegen würde. Ich bin da auch ganz persönlich drüber gestolpert, weil mein erster Roman sich um einen Minister für Stadtplanung gedreht hatte, während der zweite von Terrorismus handelt. Da habe ich mich natürlich nach dem Zusammenhang gefragt. Aber ich wünschte, ich hätte noch stärker in diese Hamburg-Geschichte einsteigen können, dieses seltsame, abgeschiedene Leben, dass sie in Deutschland geführt haben.

SPIEGEL ONLINE: Ein Punkt, den Sie sehr klar beschreiben in Ihrem Roman, ist die Arbeitsteilung in der Terrororganisation zwischen den Bombenlegern und den Hintermännern, die die politischen Gewinne aus den Aktionen zu ziehen versuchen. Wollten Sie da Abstufungen zeigen?

Mahajan: Auch wenn man sich IS oder al-Qaida anschaut, gibt es die Ideologen im Hintergrund und diejenigen, die die Taten begehen. Aber Sie denken sicher an Shockie, den Bombenbauer aus dem Buch. Eine der wichtigsten Erkenntnisse für mich war: Wenn man jemand geworden ist, der so etwas tut, der so etwas schon einige Male getan hat, dann ist es logisch, dass man sich auf die Einzelheiten der Tätigkeit konzentriert - das Reisen zum Tatort, das Beschaffen der Bestandteile. Ich wollte die Psychologie von jemandem zeigen, der Menschen tötet, aber nicht über die Opfer nachdenkt. Die Leute fragen immer: Wie kann er das getan haben? Wie kann man 200 Menschen töten? Wie kann so einer noch in den Spiegel schauen? Für mich ist der einfachste Vergleich der: Ich esse Fleisch. Und ich denke nicht darüber nach, dass dafür Tiere getötet wurden. Es ist sehr leicht, von dem Schmerz und dem Leiden anderer zu abstrahieren.

SPIEGEL ONLINE: Der Roman wurde in den USA mehrfach ausgezeichnet, für den National Book Award nominiert. Glauben Sie, dass das auch daran liegt, dass eine andere Kultur darin nähergebracht wird, die indische?

Mahajan: Das glaube ich nicht, um ehrlich zu sein. Die USA hat ja keine besondere Beziehung zu Indien, wie Großbritannien sie hat; ich bezweifle, dass es ein drängendes Bedürfnis gibt, das indische Problem zu verstehen. Ich finde das schade, es sollte nicht so sein. Aber mein Eindruck ist, dass viele indische Romane - 60, 70 Jahre nach unserer Unabhängigkeit - noch immer davon besessen sind, den indischen Nationalstaat zu erklären. Ich denke aber, wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir Indien nutzen sollten, um die Probleme der Welt zu erklären. Natürlich spielt Indien in meinem Buch eine große Rolle, aber ich habe gehofft, dass es gelesen wird wegen seiner Ideen, seines Inhalts. Es hat mir gefallen, dass das passiert ist.

Anzeige
Mahajan, Karan

In Gesellschaft kleiner Bomben: Roman

Verlag: CulturBooks Verlag
Seitenzahl: 376
Für 25,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

07.05.2024 04.12 Uhr

Keine Gewähr

Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier

SPIEGEL ONLINE: In einem Magazinartikel beschreiben Sie die USA als "nach innen gerichteten Staat". Diese Haltung wirke sich aus auf den Umgang mit als fremd wahrgenommenen Menschen, zum Beispiel aus Südasien. Haben Sie den Eindruck, dass sich das verstärkt hat seit der Wahl des Präsidenten Trump?

Mahajan: Ja. Eigentlich sind die USA ein sehr gutes Land für südasiatische Immigranten, und das ist kein Zufall. Denn in der Regel lassen sie nur gut ausgebildete, hochqualifizierte, englisch sprechende Südasiaten herein. Die arbeiten dann mit in der Gesellschaft und haben daher ein positives Image.

SPIEGEL ONLINE: In einem Artikel für die "New York Times"  beschreiben Sie, wie Sie auf einer Künstlerparty in Austin gefragt wurden: "Lass mich raten, du arbeitest in der IT-Branche, oder?"

Mahajan: Genau, als ich diesen Artikel über Rassismus in Austin schrieb, war das aus einem Gefühl des Schocks, denn ich hatte so etwas in New York oder in San Francisco nicht erlebt. Es hat mich sehr interessiert, woher das kommen kann. Und mir sind nur zwei denkbare Gründe eingefallen: a) die wachsende Islamophobie und b) die Gleichsetzung von allen Leuten mit brauner Hautfarbe mit den Muslimen. Das ist beides deutlich schlimmer geworden unter Trump. Aber auch sehr viele sogenannte Liberale in diesem Land haben tiefsitzende Ängste vor dem Islam, die nicht auf wirklichem Wissen basieren.