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Urteil zu Rundfunkbeitrag Nicht an zwei Orten zugleich

Das Bundesverfassungsgericht hat die an die Wohnung geknüpfte Abgabenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestätigt. Nur ein bestimmter Personenkreis muss entlastet werden.
Ein Blick in den Regieraum einer ARD-Sendung

Ein Blick in den Regieraum einer ARD-Sendung

Foto: Achim Keller/ picture alliance / dpa

Als das Urteil gesprochen war, konnte der Mainzer Rundfunkrechtler Dieter Dörr sein Glück kaum fassen. "Das hätte ich nicht zu hoffen gewagt," bekannte Juraprofessor Dörr, Direktor des Mainzer Medieninstituts, gegenüber Beamten der Bundesländer, die er in dem Streit um den neuen Rundfunkbeitrag in Karlsruhe vertreten hat.

Die Bundesländer sind verantwortlich für den Rundfunkstaatsvertrag und damit das neue Finanzierungsmodell, das 2011 die alte Rundfunkgebühr abgelöst hat. Bis auf einen Punkt, die Beitragspflicht für Zweit- und noch weitere Wohnungen, hat das Bundesverfassungsgericht die Abgabe bestätigt, und zwar sowohl prinzipiell als auch im Detail. Mehr noch: En passant haben die Verfassungsrichter dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den mittlerweile Generationen von Verfassungsrichtern geprägt und mitgestaltet haben, ein weiteres Mal eine Bestandsgarantie ausgesprochen.

Und die geht sogar über alle bisherigen Begründungen hinaus: Man könnte nämlich inzwischen durchaus Zweifel anmelden an dem Argument, dass man den öffentlich-rechtlichen, durch Abgaben finanzierten Rundfunk braucht, weil es angesichts der damit verbundenen hohen Kosten sonst kein ausreichendes Angebot gäbe. Denn heutzutage lassen sich im Internet auch mit relativ geringem Aufwand wirkungsvoll Informationen verbreiten.

Keine prinzipiellen Bedenken gegen die Gebührenfinanzierung

Die Verfassungsrichter nutzen das aber zu einem "Jetzt erst recht"-Satz: "Die Gefahr, dass - auch mit Hilfe von Algorithmen - Inhalte gezielt auf Interessen und Neigungen der Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten werden, was wiederum zur Verstärkung gleichgerichteter Meinungen führt". Verfassungsgerichts-Vizepräsident Ferdinand Kirchhof sprach an dieser Stelle sogar von "Echokammern", denen die Nutzer im Internet ausgesetzt seien - ein Begriff, der sich im schriftlichen Urteil nicht findet, der aber zeigt, wie wichtig Kirchhof dieses Argument war.

Zudem träten im Internet "verstärkt nicht-publizistische Anbieter ohne journalistische Zwischenaufbereitung auf." Damit werde es für die Nutzer immer schwieriger, "zwischen Fakten und Meinung, Inhalt und Werbung" zu trennen und zu erkennen, welche "Quellen und Wertungen" glaubwürdig sind und welche nicht. Angesichts dessen wachse sogar noch "die Bedeutung" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dem die Aufgabe zukomme, "durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen" ein "vielfaltssicherendes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden".

Urteilsverkündung

Urteilsverkündung

Foto: Uli Deck/ picture alliance/dpa

Kein Wunder, dass die Verfassungsrichter keine prinzipiellen Bedenken gegen die Gebührenfinanzierung hatten. Selbst dann nicht, wenn jemand gar keinen Rundfunk nutzen will - denn der mit dem Rundfunkprogramm angebotene Nutzen bestehe unabhängig davon, ob der Wohnungsinhaber oder ein anderer Mitbewohner davon Gebrauch macht oder nicht.

Allerdings ist an mehreren Stellen zu spüren, dass sich offenbar nicht alle Verfassungsrichter mit der Wohnungsabgabe ohne weiteres anfreunden konnten, die unabhängig davon zu entrichten ist, wie viele Personen in einer Wohnung leben. So heißt es an einer Stelle, es wäre "auch ein anderer, insbesondere ein Pro-Kopf-Maßstab, verfassungsrechtlich zulässig gewesen, der jede und jeden in Deutschland Wohnhaften zu einem vollen Beitrag herangezogen hätte" - außer bei Vorliegen besonderer sozialer Gründe.

Harte Kritik

Zumal es in dem Urteil größter Verrenkungen bedurfte, um zu erklären, warum es gerecht sein soll, dass jemand, der alleine in seiner Wohnung lebt, und sei sie noch so klein, den selben Rundfunkbeitrag zahlen soll wie alle Bewohner einer großen Wohnung zusammen. Die Annahme, diese Begünstigung von Wohnungen mit zwei oder mehr Bewohnern würde durch unterschiedliche Nutzungsarten oder -gewohnheiten innerhalb der Wohnung ausgeglichen, könne "weder durch Tatsachen belegt werden noch erscheint sie realitätsgerecht". Härter kann man die Tauglichkeit einer gesetzlichen Differenzierung eigentlich nicht kritisieren.

Dennoch konnten sich die Kritiker, die es auch innerhalb des Ersten Senats des Verfassungsgerichts gegeben haben muss, nicht durchsetzen, denn im nächsten Absatz des Urteils heißt es dann plötzlich, die Bevorteilung von Mehrpersonenwohnungen sei "von ausreichenden Sachgründen getragen und damit verfassungsrechtlich hinnehmbar" - ein für Urteile des Bundesverfassungsgerichts nicht ganz untypischer Bruch in der Argumentation, der darauf schließen lässt, dass die Richter an dieser Stelle besonders hart miteinander gestritten haben.

Die Neuregelung für die Zweitwohnung

Immerhin, in einem Punkt wollte auch die Senatsmehrheit die Ungleichbehandlung der Rundfunknutzer nicht mittragen. Dort, wo jemand auch für eine Zweitwohnung einen zusätzlichen Rundfunkbeitrag bezahlen soll. Denn, so die schlagende Begründung, das Rundfunkangebot kann "von einer Person auch in mehreren Wohnungen zur gleichen Zeit nur einmal genutzt werden". Bis zu einer Neuregelung in diesem Punkt, die es bis spätestens 30. Juni 2020 geben muss, kann deshalb jeder Wohnungsinhaber, der mehr als nur eine Wohnung hat, verlangen, nur mit einem Beitrag belastet zu werden.

Voraussetzung: Man muss einen förmlichen Antrag stellen, und man muss darin nachweisen, dass man bereits für eine Erstwohnung einen Beitrag abführt. Prinzipiell geht das sogar rückwirkend - aber nur, wenn man sich schon in der Vergangenheit gegen die Abgabe gewehrt hat, und der Bescheid noch nicht bestandskräftig geworden ist.

Das auch für die Zukunft verfasssungskonform zu regeln, dürfte relativ leicht fallen. Der Speyrer Staatsrechtler Joachim Wieland, der das ZDF vertreten hat, sprach von einem "minimalinvasiven Eingriff". Allerdings gibt es auch hier Spielraum - weshalb sich die Länder noch gar nicht in der Lage sahen, abzuschätzen, um welche Summen es geht. Denn laut Urteil muss nur sichergestellt sein, dass "dieselbe Person" für die Möglichkeit der privaten Rundfunknutzung "nicht zu insgesamt mehr als einem vollen Beitrag herangezogen" wird. Das gelte aber doch nur , wenn "eine Person zwei Wohnungen alleine nutzt", hieß es nach dem Urteil auf Länderseite.

Anschreiben zu den Rundfunkgebühren

Anschreiben zu den Rundfunkgebühren

Foto: Arno Burgi/ picture alliance / dpa

Wenn aber zum Beispiel ein Ehepaar eine gemeinsame Erst- und Zweitwohnung hat, könnte man auf die Idee kommen, dass doch für beide Wohnungen ein voller Beitrag zu entrichten ist - was in Ordnung wäre, wenn man so rechnet, dass jeder der Ehepartner zweimal einen halben Beitrag zahlt. Zudem ist der Wohnungsinhaber nicht immer mit dem Nutzer identisch - etwa dann nicht, wenn jemand einen oder mehrere Zweitwohnsitze hat, diese aber seinen Kindern überlässt. Auch dann, hört man aus Länderkreisen, müsste wohl für den Zweitwohnsitz ein eigener, voller Beitrag abgeführt werden. Das ließe sich, heißt es, schon über das Formblatt regeln, in dem der Wohnungsinhaber dann angeben müsste, ob außer ihm noch jemand anderes die Wohnung nutzt.

Der ZDF-Prozessvertreter Wieland sieht solchen Überlegungen allerdings auch Grenzen gesetzt: Wer zwei Wohnungen hat, sich aber zumindest eine davon mit anderen teilt, müsse sich nur darauf berufen, dass beide Male der Beitrag voll an ihm hängen bliebe - und damit eine Befreiung für die Zweitwohnung verlangen. Ob das dann wirklich so ist, meint Wieland, "kann niemand prüfen".