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Studienbewerber aus Ghana "Sie müssen leider draußen bleiben"

Millionen geben Deutschlands Hochschulen für eine Werbekampagne aus, mit der sie überall auf der Welt die klügsten Studenten ködern wollen. Einser-Student John Okae-Asante aus Ghana würde gern nach Mannheim kommen. Wenn die deutsche Botschaft ihn nur ließe.
Von Florian Klebs

5 Uhr morgens in Ghanas Hauptstadt Accra: Drei Meter Mauer umschließen die deutsche Botschaft. Das Tor ist aus Stahl, die letzten sechs Meter davor überbrückt eine Art Laufsteg im Gitterkäfig - ebenfalls aus Stahl. Darin döst eine Schlange aus Menschen. Die Hemden leuchten gebügelt im Dämmerlicht, die Schuhe glänzen von frischer Politur. Für viele ist es ein bedeutender Tag: Sie stehen an, um ein Visum für Deutschland zu bekommen.

Früh aufstehen heißt es für alle Bewerber. Die meisten kamen noch bei Dunkelheit. 9 Uhr wird es werden, bis sich das Schalterfenster für die Anträge öffnet. Findige Straßenjungs haben daraus ein Verdienst gemacht: Nach vier Stunden Anstehen verkaufen sie ihren Spitzenplatz an betuchte Geschäftsreisende. Andere rösten Rührei auf Kohlekochern und verkaufen sie an die Wartenden.

"Selbstzahler" werden heftig umworben

Dank einer deutschen Behördenlaune macht auch ein Freiluft-Passbild-Fotograf das Geschäft seines Lebens: Seit einigen Wochen akzeptiert Deutschland die typisch ghanaischen Passbilder mit rotem Hintergrund nicht mehr. Ein weißes Leintuch an den Gittern dient nun als Hintergrund für alle, die schnell neue Fotos benötigen.

So ein Lapsus würde Visum-Bewerber John Okae-Asante nicht passieren. Auf das Gespräch in der Botschaft hat er sich seit Wochen vorbereitet, die Vorschriften im Internet studiert. Vier Stunden holperte er von seiner Heimatstadt im Kleinbus durch Schlaglöcher in die Hauptstadt - im Gepäck eine Mappe mit seinen heiligsten Papieren: das Einserzeugnis der polytechnischen Hochschule. Und eine Zulassung für den internationalen Bachelor-Studiengang "Electrical Engineering" der Mannheimer Hochschule für Technik und Gestaltung.

Der angehende Ingenieur gehört zu einer rapide wachsenden Gruppe in Afrika: Studenten, die nach Deutschland wollen - und auch noch bereit sind, die Kosten ohne Stipendium zu tragen. "Im Jahr 2000 hatten wir 50 Anträge für Studentenvisa. 2003 waren es 400 bis 500 Anträge", bestätigt Botschaftsmitarbeiterin Anne Wagner.

Offensives Marketing

"Selbstzahler" heißen solche Bewerber im Botschaftsjargon. Und werden heftig umworben. Jährlich sechs Millionen Euro spendiert Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn den Hochschulen, um weltweit Werbung für den "Bildungsstandort Deutschland" zu machen. Zunächst floss das Geld als Pilotprojekt aus dem Verkaufserlös der UMTS-Lizenzen, seit diesem Jahr ist es regulärer Posten im Bundeshaushalt.

"Dank Marketing ist das Interesse in den letzten fünf Jahren stark gestiegen", weiß Harald Olk. Er leitet das "Information Center" des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes in Ghana - eine der DAAD-Außenstellen mit Studienberatung für Deutschlandinteressierte in 40 Ländern. Gleichzeitig hätten sich Deutschlands Universitäten bemüht, den Bildungsgästen tatsächlich etwas zu bieten, etwa "International Degree Programmes" mit Vorlesungen auf Englisch.

"Für die Hochschulen bedeutet das eine große Kraftanstrengung: Sie müssen Wohnheimplätze, Sprachkurse und Integrationskurse einrichten, kurz, sich um die Leute kümmern. Alles Dinge, die sie für die deutschen Studenten nicht tun mussten", so Olk.

Das hat auch John Okae-Asante überzeugt. "Zuerst wollte ich in die USA", erklärt er und deutet auf eine Infomappe der Franklin-University. "Aber dann hab ich die Studienpläne im Internet verglichen. Da schien mir Mannheim einfach praxisnäher." Und auch die deutsche Hochschule sieht den Ghanaer als Gewinn: "Wir akzeptieren nur die besten zehn Prozent", bestätigt Projektor Klaus Iseborn.

Ein Onkel sparte das Geld zusammen

"Mannheim schlägt US-Universität", könnten Bildungspolitiker sich nun auf die Schulter klopfen. Doch das Beispiel von Okae-Asante zeigt auch, dass ein Teil der Werbemillionen in den Sand gesetzt wird. Trotz Hochschulzulassung habe die Botschaft seinen Antrag abgelehnt, und das erst nach Semesterbeginn per E-Mail begründet, erzählt er: "Sie schrieben, ich habe mein ernsthaftes Studieninteresse nicht glaubhaft im Interview begründen können."

An der Interview-Hürde scheitern Studienbewerber nicht selten. "Wir fragen zum Beispiel, welche Kurse im geplanten Studiengang vorgesehen sind oder was der Antragsteller über die Stadt weiß, in der er studieren will. Da merkt man schnell, ob sich jemand ernsthaft mit Studienplänen auseinander gesetzt hat", sagt Anne Wagner von der deutschen Botschaft. Außerdem müssen Bewerber ein Konto mit mindestens 6000 Euro vorzeigen - als Nachweis, dass sie zumindest die ersten zwei Semester finanziell durchstehen.

Für beides fühlte Okae-Asante sich gewappnet. Schließlich hatte sein Onkel, der in Accra mit Schulheften und Kugelschreibern handelt, versprochen, ihm aus Ersparnissen das Studium im Ausland zu sponsern. "Er hat sein Leben lang gesehen, dass Ausbildung der Schlüssel ist, um weiterzukommen", erklärt Okae-Asante. Er selbst hatte den halben Lehrplan intus. Und recherchiert, dass ihn im deutschen Winter die ersten Minusgrade seines Lebens erwarten. Und sogar gelernt, fünfsilbige Zungenbrecher wie "Baden-Württemberg" auszusprechen.

Betrüger surfen auf der Werbewelle

Wer wissen will, wie viele Studieninteressenten die Interview-Klippe nicht schaffen, beißt in der Botschaft auf Granit. Auch das Auswärtige Amt in Berlin hütet genaue Zahlen wie ein Geheimnis. Manche Hochschulen sehen die weltweite Werbekampagne inzwischen skeptisch, zumal nach Statistiken einiger Akademischer Auslandsämter nur einem kleineren Teil ausländischer Studenten der Abschluss in Deutschland gelingt.

Beunruhigt reagieren die deutschen Hochschulen und Botschaften zudem auf Tricks der Bewerber. So surfen auch an Ghanas Unis professionelle Fälscher auf Deutschlands Werbe-Welle. "Manchmal erhalten wir Anträge, bei denen alle Unterlagen von Geburtsurkunde bis Abschlusszeugnis gefälscht sind", sagt Anne Wagner. "Wir vermuten, dass solche Unterlagen gleich im Paket angeboten werden."

Da genügt ein Blick auf das schwarze Brett in Accras Nobel-Uni, der Legon University of Ghana. "Wenn jemand Hilfe bei Passproblemen verspricht, steckt meist ein Visa-Agent dahinter", weiß Marketingstudent Wilson Dogbatse. Andere seien am Anzug und den teuren Autos zu erkennen, mit denen sie vor der Botschaft stünden. "Oder du fragst einfach herum - irgendwann sagt jemand 'Mr. John kann dir helfen', gibt dir eine Telefonnummer, und du triffst dich, um über den Preis zu verhandeln."

John büffelt für den zweiten Versuch

Bis zu 8000 Euro soll die Ware kosten, zu zahlen im Voraus. Viele Visumsbewerber bekommen den freundlichen Fälscher bei der Geldübergabe das letzte Mal zu Gesicht. So kennt Dogbats gleich vier Kommilitonen, die Visa-Agenten ihr ganzes Familienvermögen übergaben: "Sie sind alle noch hier - nicht einer hat je die Papiere bekommen."

Derweil hat sich John Okae-Asante mit echten Papieren zum zweiten Anlauf entschlossen. Um die Zeit zu überbrücken, absolviert er eine praktische Ingenieursausbildung bei Ashanti Goldfields, einem Bergbaugiganten, der das Land zum zweitgrößten Goldproduzenten des Kontinents machte. In seinem Studienwunsch hat ihn die Zwangspause eher noch bestärkt: "Von allem Gerät, mit dem wir arbeiten, kommen die besten meist aus Deutschland. Dort muss man wirklich etwas von Ingenieurswissenschaften verstehen."

Mit Lehrbuch und Sprach-CD büffelt der Ghanaer nach Dienstschluss zusätzlich Deutsch - obwohl sein Wunschkurs an der FH Mannheim auf Englisch beginnt und offiziell kein Deutsch voraussetzt. Vielleicht, so hofft er, lässt sich der Botschaftsangestellte beim Interview in seiner Muttersprache eher überzeugen.

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