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Angriff auf Bürgermeister Hollstein Küchenmesser am Hals

Mit einem großen Messer griff Werner S. in einem Imbiss den Bürgermeister von Altena an. Der mutmaßliche Täter lebte in der sauerländischen Kleinstadt ein zurückgezogenes Leben, offenbar verängstigt und frustriert.

Der Fußboden im City Döner in Altena ist wieder sauber. "Hier war alles voller Blut", sagt Ahmet Demir, 27, und zeigt auf die Stelle vor seiner Theke. Der Unterarm des Imbissbesitzers ist voller blauer Flecke und roter Striemen. Es sind Spuren vom Kampf gegen den Angreifer, der am Montagabend Altenas Bürgermeister Andreas Hollstein mit einem Messer am Hals verletzt hat.

Der Angreifer, das ist nach SPIEGEL-Informationen Werner S., 56 Jahre alt, gelernter Maurer, zuletzt arbeitslos. Er wohnte nur wenige Hundert Meter vom Tatort entfernt in einer engen, steilen Gasse, die zur Burg Altena hinaufführt. Alles, was man bis jetzt über ihn weiß, deutet auf ein Leben in prekären Verhältnissen hin, zurückgezogen, von seiner Frau getrennt.

Laut Polizei ist S. zwar Eigentümer der Immobilie, die er bewohnt. Doch es laufe bereits ein Verfahren zur Zwangsvollstreckung, heißt es. Das Wasser im Haus war abgestellt worden - vermutlich weil er seine Rechnungen nicht bezahlt hat. Bankunterlagen zeigen nach SPIEGEL-Informationen, dass S. mit seinem Konto derzeit knapp 2000 Euro im Minus ist. Um Sozialleistungen, so die Ermittler, habe S. sich nicht gekümmert.

Ahmet und Abdullah Demir

Ahmet und Abdullah Demir

Foto: Martin Meissner/ AP

Der Angriff auf den Bürgermeister war vermutlich eine spontane Tat mit fremdenfeindlichem Hintergrund. S. habe den Angriff "ausdrücklich" damit gerechtfertigt, dass der Bürgermeister "200 Asylanten in die Stadt" geholt habe, sagt der Hagener Oberstaatsanwalt Gerhard Pauli.

Am Tag danach ist den Betroffenen das Erlebte noch deutlich anzumerken. "Ich habe um mein Leben gefürchtet", sagt Hollstein. "Er nahm den Bürgermeister plötzlich in den Schwitzkasten und versuchte, ihm die Kehle aufzuschneiden", so Ahmet Demir. Die Staatsanwaltschaft geht von versuchtem Mord aus, sie sieht ein "Motiv auf niedrigster sittlicher Stufe".

Die Ermittlungen stehen zwar noch am Anfang. Doch in Gesprächen mit Polizisten, mit Nachbarn, mit den Helfern aus dem Dönerimbiss ergibt sich ein erstes Bild. Das Bild eines frustrierten, verängstigten Mannes, der eine fatale Wut auf Asylbewerber entwickelte und diese Wut gegen einen Kommunalpolitiker richtete, der sich für ebenjene Asylbewerber einsetzt.

Ahmet Demir

Ahmet Demir

Foto: HUFNAGEL/ EPA-EFE/ REX/ Shutterstock

Die Tat

Am Montag gegen 20 Uhr betritt Bürgermeister Andreas Hollstein den Imbiss, er ist dort Stammkunde. Er bestellt einen großen Dönerteller für sich und einen kleinen für seine Frau. Alles zum Mitnehmen. Als er auf sein Essen wartet, kommt Werner S. in den Imbiss. Auch er hat schon mehrmals dort gegessen, wie die Betreiber erzählen.

Was dann passiert, lässt sich aus den Angaben der Ermittler, des Bürgermeisters und der Imbissbesitzer folgendermaßen rekonstruieren: Werner S. bestellt ebenfalls einen Döner, dann spricht er Hollstein an: "Sind Sie der Bürgermeister?" Hollstein nickt, daraufhin wird S. laut und aggressiv, er schimpft: "Sie lassen mich verdursten und holen 200 Flüchtlinge nach Altena."

Dann zieht S. unvermittelt ein großes Messer. Er packt Hollstein von hinten und hält das Küchenmesser an seinen Hals. Der Bürgermeister greift dem Angreifer an den Arm, Ahmet Demir kommt zu Hilfe, es kommt zu einer Rangelei. Selbst zu zweit können sie den gelernten Maurer nicht überwältigen. Der Besitzer ruft nach seinen Eltern, die in der Küche Essen zubereiten.

Mutmaßliche Tatwaffe

Mutmaßliche Tatwaffe

Foto: DPA/ Polizei Hagen

Der Vater des Besitzers schlägt dem Angreifer das Messer aus der Hand, dabei schneidet er sich die Hand auf. Demirs Mutter rennt zur Polizei, die Wache liegt nur einige Meter vom City Döner entfernt. Als die Beamten mit gezogener Waffe eintreffen, haben Hollstein und die Demirs den Mann bereits fixiert.

"Der Typ war groß und kräftig. Als wir ihn festgehalten haben, schrie er laut: 'Holt nur die Polizei, die sollen mich gleich erschießen', er wirkte komplett irre dabei", sagt Ahmet Demir. Betrunken habe S. nicht gewirkt. Die Polizei stellt später allerdings 1,2 Promille bei S. fest.

"Heavy Metal oder so was, düsteres Zeug"

An der Haustür des Verdächtigen klebt am Morgen nach der Tat bereits ein Siegel des Polizeipräsidiums Hagen. Blickt man durch die Fenster in das Haus, sieht man eine Kommode mit herausgezogenen Schubladen. Überall liegt Papier herum, an der Wand im Hausflur lehnt eine zerschlissene Matratze.

S. habe "sehr zurückgezogen" gelebt, sagt eine Nachbarin. Sie spricht von "Alkoholproblemen" und einer "Entziehungskur". Der gelernte Maurer habe nachts oft laute Musik gehört. "Heavy Metal oder so was, düsteres Zeug." Die Anwohner hätten sich deswegen häufiger bei der Polizei beschwert. Erst vorgestern soll S. seine Anlage mal wieder richtig aufgedreht haben.

"Ansonsten war er aber freundlich und hat mich auf der Straße gegrüßt", sagt eine andere Nachbarin. Ein weiterer Nachbar von S. stammt aus Griechenland, seit 31 Jahren lebt er in Deutschland. "Ich habe gespürt, dass er ein Problem mit mir hat, auch wenn er das nie gesagt hat", sagt er über S. "Ich vermute, dass das an meiner Herkunft liegt."

Den Verfassungsschutzbehörden ist S. nicht als Extremist bekannt, die Staatsanwaltschaft weiß nichts von Verbindungen zu organisierten Rechtsextremen. Allerdings lief 2013 ein Verfahren wegen Körperverletzung gegen ihn, zudem zwei Verfahren wegen Trunkenheit am Steuer.

Angst, überfallen zu werden

Eigenen Angaben zufolge leidet der Verdächtige an einer Depression. Er nehme Psychopharmaka, sagte S. den Ermittlern. Auf die Frage, warum er ein Messer in seinem Rucksack mit sich geführt habe, antwortete er laut Polizei: Er habe es hin und wieder dabei, weil er sich unsicher fühle. Er habe Angst, überfallen zu werden. Man habe ein psychiatrisches Gutachten zur Prüfung der Schuldfähigkeit angefordert, so Staatsanwalt Pauli.

Oberstaatsanwalt Gerhard Pauli

Oberstaatsanwalt Gerhard Pauli

Foto: Marcel Kusch/ dpa

Es ist dieses Gefühl der Angst, mit dem Populisten spielen. Verfassungs- und Staatsschützer registrieren seit geraumer Zeit mit Sorge, dass die rechte Szene voll auf das Thema Asyl setzt. "Ein Ende des politischen Engagements der rechten Szene ist in diesem Themenfeld derzeit nicht abzusehen", heißt es in einer vertraulichen Analyse.

Der Grund: Es sei geeignet, in dem "ansonsten sehr heterogenen rechtsextremistischen Spektrum einen ideologischen Konsens" zu generieren. Auch im "bürgerlichen Spektrum" eröffneten sich den Rechten mit dem Thema Asyl "zunehmende Mobilisierungsmöglichkeiten". Diese Hetze könne dazu führen, die rechte Szene noch zusätzlich zu emotionalisieren und zu mobilisieren.

SPIEGEL ONLINE

"Wir beobachten, dass Straftaten gegen Entscheidungsträger, Politiker, Betreiber von Flüchtlingsunterkünften und Helfer keine Einzelfälle sind", sagte Bundeskriminalamtschef Holger Münch vor einiger Zeit der Zeitschrift "Deutsche Polizei".

Nach Informationen des SPIEGEL verzeichnete das BKA im Jahr 2016 insgesamt etwa 1800 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger in Deutschland. Während des Bundestagswahlkampfs zählte die Polizei insgesamt sogar 4300 Taten, wobei es sich in etwa drei Viertel der Fälle um Sachbeschädigungs- und Propagandadelikte handelte.

Bereits im Herbst 2015 warnte das BKA, dass sich rechtsextreme Angriffe künftig noch stärker als bislang gegen Menschen richten könnten. Eine gute Woche später stach der frühere Neonazi Frank S. die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker nieder und verletzte sie schwer.

Der Angriff auf Andreas Hollstein geht dagegen vergleichsweise glimpflich aus - auch dank der Hilfe von Ahmet Demir und seinem Vater. Der Bürgermeister kommt mit einer fünf Zentimeter langen Schnittwunde am Hals davon. Er sei ziemlich sicher, so Hollstein, dass er heute nicht mehr am Leben wäre, "wenn ich nicht Hilfe bekommen hätte".