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Bandenkriminalität in Deutschland So oft wird in Ihrer Nachbarschaft eingebrochen

Frankreich, Belgien, Deutschland: Professionelle Diebesbanden ziehen quer durch Europa. Die Polizei hierzulande steht ihnen weitgehend machtlos gegenüber. Wie ist die Lage in Ihrer Region? Diese Karte zeigt es.
Von Olaf Sundermeyer

Deutschland ist ein "Paradies für Einbrecher", sagt der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Auch Diebe und Trickbetrüger reisen gezielt an, um sich hierzulande zu bedienen. Seit Öffnung des Schengenraumes gen Osteuropa vor zehn Jahren und dem Wegfall der stationären Grenzkontrollen haben viele Eigentumsdelikte drastisch zugenommen.

In einigen besonders betroffenen Städten und Landkreisen hat sich die Zahl der Einbrüche in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. 2016 registrierte die Polizei in der bundesweiten Kriminalstatistik zwar einen Rückgang auf insgesamt 151.000 Einbrüche - knapp zehn Prozent weniger als im Vorjahr. Allerdings bleiben die Zahlen auf einem sehr hohen Niveau.

Sehen Sie hier die Entwicklung der Einbruchszahlen von 2012 bis 2016 in Ihrer Region (Fahren Sie mit der Maus über den jeweiligen Landkreis; für Mobilnutzer: Tippen Sie auf den jeweiligen Landkreis).

Fachleute der europäischen Polizeibehörde Europol gehen davon aus, dass reisende Banden aus dem Ausland mehr als die Hälfte der Wohnungseinbrüche in Deutschland verüben. Schwerpunkte sind Regionen entlang der 3800 Kilometer langen Landesgrenze, das Ballungszentrum an Rhein und Ruhr, Hamburg und Berlin, wo der Speckgürtel besonders betroffen ist.

Taschendiebstähle unbearbeitet zu den Akten

Strafverfolgung müssen die Banden kaum fürchten, ihre Taten werden selten aufgeklärt. Die meisten ihrer Mitglieder tauchen in Polizeistatistiken gar nicht auf. "Genau diese Intensivtäter sind eben diejenigen, die wir nicht kriegen", sagt ein Analyst des Landeskriminalamtes in Berlin. "Die, die wir kriegen, sind die, die auch einfach zu kriegen sind, in den leicht aufzuklärenden Fällen."

Das sind Täter, die am Ort wohnen und in der eigenen Nachbarschaft zuschlagen, Beschaffungskriminelle, bei denen die Drogensucht das Handeln bestimmt. Die reisenden Banden dagegen verschwinden unbehelligt über die offenen Grenzen - dort enden die Ermittlungen. Auch deshalb hat Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, eine bessere Koordination und grenzüberschreitende Polizeiarbeit gefordert.

Ermittler registrieren auch mehr Diebstähle: Autos, Fahrräder, sogar Kinderwagen werden als Diebesgut massenhaft ins Ausland gebracht. So führte etwa die Staatsanwaltschaft Cottbus im vergangenen Jahr ein Ermittlungsverfahren gegen eine Bande, die unter anderem mehr als 120 Fahrräder nach Polen geschafft haben soll. Viele Taschen- und Ladendiebstähle sind keine gelegentlichen Bagatelldelikte von Einzeltätern. Sondern das Werk organisierter Banden aus Ost- und Südosteuropa.

"Sie spazieren durch ganz Europa. Für sie ist Europa ein Land"

Ihre Mitglieder sind als kriminelle Handlungsreisende unterwegs. Angesichts der Zahl der Delikte kapituliert die Polizei in einigen Großstädten. Die Berliner Polizei etwa legte die meisten der im vergangenen Jahr angezeigten 45.000 Taschendiebstähle unbearbeitet zu den Akten.

Erfahrene Ermittler gehen davon aus, dass die Zahl der nicht angezeigten Diebstähle bis zu zehnmal höher sein könnte als die Zahl der registrierten Fälle: Wegen der Aussichtslosigkeit meiden viele bestohlene Opfer den Aufwand, überhaupt eine Strafanzeige zu stellen - so die Vermutung.

Wenn in Berlin 2016 bei Taschendiebstählen ein Verdächtiger ermittelt wurde, kam er in neun von zehn Fällen aus dem Ausland - ein Rekordwert. Das häufigste Herkunftsland war Rumänien, gefolgt von Bulgarien, Bosnien und den Maghreb-Staaten. Unter den Intensivtätern finden sich inzwischen auch Flüchtlinge, besonders aus Tunesien, Marokko und Libyen, aber auch Zuwanderer aus Georgien, die in eigenen Banden als Einbrecher und organisierte Ladendiebe unterwegs sind.

Viele reisende Banden entstehen aus den Familienstrukturen von Roma-Clans. Der rumänische Staatsanwalt Vasile Chifan hat sich auf kriminelle Großfamilien spezialisiert, die nach ihren Beutezügen immer wieder in ihre Heimat zurückkehren: "Sie spazieren durch ganz Europa. Für sie ist Europa ein Land", sagt er.

Kriminalität als Karriere

Neben Deutschland ist Frankreich besonders betroffen. Die Gendarmerie unterhält dort eine eigene Abteilung für diese Art der Clan-Kriminalität. Oberstleutnant François Deprés spricht von "polykriminellen Gruppen", in denen die Mitglieder aktiv sind: "Der eine begeht Metalldiebstähle, ein anderer Einbrüche oder Taschendiebstähle und so weiter. Alle Leute werden eben 'verwendet'", sagt er - Jugendliche als Taschendiebe, Ältere als Einbrecher und Metalldiebe. "Aber der Clan muss immer neues Bargeld kriegen, komme, was wolle", sagt Deprés.

Dafür reisen die Banden durch den Kontinent. Eine beliebte Route geht durch Frankreich, Belgien und Deutschland. Ein Mitglied eines Roma-Clans aus Rumänien ist oft so unterwegs: "Wir klauen in Deutschland, weil es dort gut geht. Und weil dort viel mehr zu holen ist als hier", heißt es im Gespräch mit einer Gruppe von Kriminellen. "Wenn man uns einen normalen Arbeitsplatz anbieten würde, würden wir Zigeuner nicht mehr stehlen. Aber wir haben halt keine Arbeit."

Sie nennen sich selbst "Tsigani" - Zigeuner, weil sie das abwertende Wort verinnerlicht haben. An den Rand der Gesellschaft gedrängt, sehen sie Kriminalität als legitime Perspektive, als Karriereoption - und schicken auch Kinder und Jugendliche in ganz Europa auf Diebestour.

Dieser Text ist ein bearbeiteter Auszug aus Olaf Sundermeyers Buch "Bandenland. Deutschland im Visier von organisierten Kriminellen".

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27.04.2024 23.46 Uhr

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