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Verdächtiger im Fall Susanna "Er fühlte sich fast unantastbar"

Der Verdächtige im Fall Susanna ist im Irak festgenommen worden. Wie verhielt sich Ali B. in der Wiesbadener Flüchtlingsunterkunft? Vier Bekannte des 20-Jährigen erzählen.
Polizisten in Wiesbaden

Polizisten in Wiesbaden

Foto: THORSTEN WAGNER/ REUTERS

Vier junge Männer aus dem arabischen Raum sitzen in einer kleinen, gemütlichen Wiesbadener Souterrainwohnung und reden sich die Köpfe heiß. Sie reden über ihren Bekannten Ali B. - jenen 20-jährigen Iraker, der dringend tatverdächtig ist, die 14-jährige Susanna F. vergewaltigt und getötet zu haben.

Die vier sind ebenfalls Asylbewerber und mächtig sauer auf B. Sie erzählen davon, dass B. mit Drogen gehandelt habe, dass er großspurig aufgetreten sei und sich unantastbar gefühlt habe. Dass er möglicherweise gar nicht B. mit Nachnamen heißt. Und sie erzählen von ihren Ängsten, der Fall könnte unmittelbare Auswirkungen auf ihr eigenes Leben in Deutschland haben.

Ali B. hatte wenige Tage vor dem Leichenfund mit seiner Familie das Land verlassen. In der Nacht wurde er von kurdischen Sicherheitskräften im Nordirak festgenommen.

Der Fall wühlt Deutschland auf. Im Bundestag provoziert die AfD mit einer Schweigeminute. Politiker debattieren wieder, wie lange Asylverfahren dauern dürfen und wie schnell abgeschoben werden muss - denn auch diese Frage spielt im Wiesbadener Fall eine Rolle: Am 30. Dezember 2016 war Ali B.s Asylantrag abgelehnt worden, aber seine Klage dagegen liegt, zumindest nach Angaben der Wiesbadener Polizei, immer noch als laufendes Verfahren beim Verwaltungsgericht der Stadt.

In Mainz, der Heimatstadt der getöteten Susanna, sind in den kommenden Tagen mehrere Demonstrationen und Mahnwachen angekündigt. Der Rechtsstaat müsse sich die Fragen gefallen lassen, ob die Tat hätte verhindert werden können, sagte Bürgermeister Michael Ebling (SPD).

Der Vater sei sehr krank gewesen

Zwei der vier Männer aus der Souterrainwohnung leben in derselben Asylbewerberunterkunft in Wiesbaden-Erbenheim, in der auch Ali B. mit seinen Eltern und fünf Geschwistern untergebracht war. Die anderen beiden kannten die Familie. Und sie kannten auch Ali, für den sie kaum nette Worte finden.

In der Flüchtlingsunterkunft habe die achtköpfige Familie B. vier benachbarte Zimmer im Erdgeschoss belegt, sagen sie, praktisch den gesamten Flur. Der Vater sei sehr krank gewesen, am halben Körper gelähmt. Die Mutter, seine zweite Frau, freundlich und herzensgut, aber überfordert mit den Kindern. Mehrere von ihnen seien nach ihrer Ankunft in Deutschland im Oktober 2015 zunehmend auf die schiefe Bahn geraten, hätten mit Drogen gehandelt. So auch Ali.

Seit April 2016 lebte die Familie B. in der Wiesbadener Unterkunft. Ali, der älteste Sohn, sei am Anfang sehr still und zurückgezogen aufgetreten, sagen die vier Männer. Er habe nur schlecht deutsch gesprochen, keinen Sprachkurs besucht, nachdem sein Asylantrag abgelehnt worden war.

Dann habe Ali jemanden getroffen, der ihm Zugang zu Drogen verschafft habe. Ali habe angefangen, mit Haschisch und Marihuana zu dealen. Erst ein wenig, dann immer mehr. Schließlich sei er fast täglich auf dem zentralen Platz der Deutschen Einheit in der Wiesbadener Innenstadt unterwegs gewesen, um Drogengeschäfte zu machen, nur wenige Meter vom 1. Wiesbadener Polizeirevier entfernt.

Die Polizei bemerkte nichts davon. Zumindest sei kein Bezug des Verdächtigen zum Drogenhandel aktenkundig geworden, sagt die Wiesbadener Staatsanwaltschaft. Aufgefallen war Ali B. der Polizei wegen anderer Delikte. Mal soll er an einer Schlägerei beteiligt gewesen sein, mal soll er eine Stadtpolizistin bespuckt und tätlich angegriffen haben, einige Tage später soll er einen Mann mit einem Messer bedroht und beraubt haben.

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Wiesbaden: Der Fall Susanna

Foto: THORSTEN WAGNER/ REUTERS

Mitte Mai wurden der Polizei Vorwürfe eines 11-jährigen Mädchens aus der Erbenheimer Unterkunft bekannt: Ein Ali habe sie einige Wochen zuvor vergewaltigt. Doch die Ermittlungen verliefen im Sande, sagt die Polizei. Es gab vier Alis in der Unterkunft, und beim Versuch einer Befragung wurde das Mädchen offenbar nicht konkret. Wahrscheinlich aus Scham, vermuten die vier Bekannten der Familie B. in der Wiesbadener Wohnung. Der Vorfall sei in der Unterkunft viel diskutiert worden.

Ali B. habe sich mit der Zeit offenbar "fast unantastbar" gefühlt, meinen die vier Bekannten. Er sei immer großspuriger aufgetreten, habe teure Markenklamotten gekauft und Sportschuhe für mehr als hundert Euro. Das Geld habe er mit dem Drogenhandel verdient.

Ali B. habe über Monate eine Freundin gehabt, aber immer wieder auch andere junge Mädchen auf der Straße angesprochen, auch sehr junge wie Susanna F. Die soll nach den Ermittlungen der Polizei eigentlich an einem jüngeren Bruder von Ali B. interessiert gewesen sein, doch der habe die Zuneigung nicht erwidert.

Susanna F. galt seit dem 22. Mai als vermisst. Ein 13-jähriger Flüchtling soll der Polizei am 3. Juni mitgeteilt haben, dass Ali B. das Mädchen vergewaltigt und getötet habe - das habe ihm B. selbst gesagt. Der 13-Jährige sagte der Polizei auch, wo die Vergewaltigung stattgefunden haben soll. Drei Tage später fanden die Ermittler die Leiche, nicht weit von der Flüchtlingsunterkunft entfernt.

Ein Obduktionsergebnis liegt noch nicht vor. Die Behörden erhoffen sich davon weitere Hinweise auf den Täter. Ein Problem ist die lange Zeit zwischen Tod und Auffinden der Leiche. Durch die lange Liegedauer ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft unklar, ob mögliche DNA-Spuren noch aussagekräftig sind.

"Wir wollen nicht, dass Leute wie Ali uns das alles kaputt machen"

Die vier Männer in der Souterrainwohnung glauben zu wissen, was jetzt folgt. Einer zeigt die E-Mail einer deutschen Bekannten. Die Debatte um Flüchtlinge werde wieder aggressiver werden, fürchtet die Frau. Und auch die vier glauben, dass nun wieder Forderungen sehr laut werden, Leute wie sie schnellstmöglich aus dem Land zu werfen.

Sie seien ganz anders als Ali B., beteuern sie. Sie bemühten sich, die Sprache zu lernen, sich zu integrieren, sie respektierten die Gesetze und Normen des Landes. "Ich habe eine Ausbildung zum Pflegehelfer gemacht", sagt derjenige von ihnen, der die kleine Wohnung gemietet hat und die anderen drei häufig zu sich zum Essen einlädt. Bald will er eine Ausbildung zum Krankenpfleger machen. "Wir wollen nicht, dass Leute wie Ali uns das alles kaputt machen", sagt er.

Ali B. und seine Familie waren von Düsseldorf aus über Istanbul in den kurdischen Teil des Irak gereist - mit Tickets, die auf ganz andere Namen ausgestellt waren als die deutschen Aufenthaltspapiere (mehr dazu lesen Sie hier).

Die vier Männer glauben, dass B. ohnehin nicht der wirkliche Familienname ist, sondern der Vorname des Vaters, der bei der Einreise nach Deutschland kurzerhand zum Familiennamen erklärt worden sei - möglicherweise gar nicht absichtlich, sondern aus einem Versehen der überforderten Asylbehörden.

Wie es jetzt mit Ali B. weitergeht, ist unklar. Einen Strafverfolgungsantrag könne man nicht stellen, weil B. im Irak die Todesstrafe drohe, heißt es bei der Wiesbadener Staatsanwaltschaft. Ob der 20-Jährige ausgeliefert wird, ist schwer abzusehen. "Wir haben wenig Erfahrung, wie sich der Irak in so einer Lage verhält", sagte eine Sprecherin der Ermittlungsbehörde.

Video: Innenminister Seehofer verkündet Fahndungserfolg

SPIEGEL ONLINE
Mit Material der dpa