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Verschwundener Bürgermeister Zufallsopfer am tschechischen Straßenstrich

Zwei Tage nach seiner Wiederwahl mit 98 Prozent war ein mittelfränkischer Bürgermeister spurlos verschwunden. Jetzt herrscht Klarheit über sein Schicksal: Erich Kunder ist im tschechischen Rotlichtmilieu in eine tödliche Falle gegangen.

Röckingen/Prag - Drei Monate nach dem mysteriösen Verschwinden des 51-Jährigen nahm die Polizei am Mittwoch zwei Tschechen unter Mordverdacht fest: Eine 31 Jahre alte Prostituierte und einen 29-jährigen Mann. Ein weiterer Mittäter sitzt bereits wegen eines anderen Gewaltverbrechens in Nürnberg in Haft.

Der Prager Sprecher der Ermittlungsgruppe, der maskiert zu der Pressekonferenz erschien, schloss weitere Festnahmen in dem Fall nicht aus. Die Haupttäter seien allerdings gefasst. Kunder sei bereits am Tag seines Verschwindens am 5. März ermordet worden.

Offenbar wurde der Kommunalpolitiker ein Zufallsopfer des Rotlichtmilieus im tschechisch-deutschen Grenzgebiet: Kurz nach dem Grenzübergang Waldsassen verwandelt sich die Landstraße 214 nach Cheb in einen Straßenstrich, links und rechts gesäumt von pink angemalten Sexclubs. Viele Deutsche aus dem Grenzland machen sich auf den Weg nach Cheb, um billig auf Vietnamesen-Schwarzmärkten einzukaufen oder an zahlreichen Großtankstellen billigen Sprit zu tanken.

In der Nähe des westböhmischen Dörfchens Plesna, 20 Kilometer von Eger entfernt, führte einer der Tatverdächtigen die Polizei am Mittwoch zum Grab des Bürgermeisters, wie tschechische Medien berichteten. Ein tschechisches Sondereinsatzkommando hatte die Frau und den 29-Jährigen bereits am Dienstag überwältigt. Mit weiteren Informationen hielten sich die tschechischen Ermittler am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Prag noch zurück.

Wie es aber hieß, hätten die Beamten die Verdächtigen anhand der Aufnahmen einer Überwachungskamera identifizieren können, als sie mit Kunders gestohlener EC-Karte Geld an einem Automaten in Cheb abgehoben hatten.

Der Beamte bestätigte zumindest den Tatablauf: Demnach wurde Kunder Opfer eines hinterhältigen Raubmordes: Der Elektro-Großhandelskaufmann war auf dem Rückweg von einer Geschäftsreise nach Feuchtwangen. Doch statt direkt nach Hause zu fahren, machte er einen Abstecher in das tschechische Grenzland und bandelte dort mit einer Prostituierten an. Die lockte den Freier in eine Wohnung, wo ihn die beiden Männer bereits erwartet hatten. Sie schlugen den Bürgermeister mit einem Holzknüppel bewusstlos, erdrosselten ihn mit einem Draht und rollten die Leiche in einen Teppich. Danach verscharrten sie ihr Opfer in dem Wald im Unterholz. Seine Kreditkarten, das Handy und den C-Klasse-Mercedes behielten die Täter.

In Röckingen weht die Fahne auf halbmast. "Das sind wir dem Bürgermeister einfach schuldig", sagt Gemeinderat Friedrich Weberdörfer. "Dabei haben wir immer noch auf ein Lebenszeichen von ihm gehofft", fügt er hinzu. Man hatte Kunder zunächst auf einer längeren Dienstfahrt vermutet, ein freiwilliges Abtauchen schien ausgeschlossen: Erst zwei Tage vor dem Verschwinden fuhr der Bürgermeister zum dritten Mal ein sensationelles Wahlergebnis ein, nachdem er erneut auf einer Liste der Freien Wähler kandiert hatte.

Kunder war einer, der sich trotz seines aufreibenden Vertreterberufs aufopferte. Wie auch am Tag seines Verschwindens: Noch vor Sonnenaufgang hatte Kunder an diesem Dienstag eine Straße abgenommen, mit der Polizei die Umsetzung von Verkehrsschildern besprochen und schließlich mit seinem Stellvertreter über eine Privatnutzung des Rathaussaales diskutiert. Kurz darauf ließ Kunder in seinem silbergrauen Dienstwagen Röckingen für immer hinter sich.

Nachdem der Vertreter seine zwei Termine in Baden-Württemberg erledigt hatte, rief Kunder bei seinem Chef in Ansbach an. Er kündigt ihm noch eine große Feier anlässlich seines überwältigenden Wahlsieges an. "Dabei hörte er sich eher fröhlich als niedergeschlagen an", erinnert sich der Mann später. Gegen 15 Uhr hört auch Ilse Kunder zum letzten Mal von ihrem Mann. "Es wird spät heute Abend", sagt er ihr. Und dass er gegen 17 Uhr noch einen Termin habe.

Auto nach Weißrussland gebracht

Doch zu diesem Zeitpunkt, so rekonstruiert später die Sonderkommission, hatte Kunder bereits den Grenzübergang Waldsassen nach Tschechien passiert. Dann verlor sich die Spur, bis sich wenige Tage später herausstellte, dass die beiden damals Unbekannten noch am Tatabend mit Kunders EC-Karte Geld abgehoben hatten. Insgesamt neunmal wurde die Karte benutzt, sechsmal mit Erfolg. Kurz darauf, am 9. März, wie sich ebenfalls rekonstruieren ließ, überquerte ein Komplize der mutmaßlichen Mörder in Kunders Mercedes die Grenze nach Weißrussland. Sicherheitskräfte stoppten den Wagen. Am Steuer saß ein Tscheche, der angab, er habe das Fahrzeug nach Weißrussland schaffen sollen. Mehr wisse er nicht.

In der am Donnerstag wie ausgestorben daliegenden Gemeinde Röckingen ringen die Bürger um Fassung. Ein Gemeinderat: "Das Leben geht weiter, aber anders."