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Ein Leben in Bildern: Mythos Fidel Castro

Foto: CRISTOBAL HERRERA/ AP

Tod von Fidel Castro Der sture Revolutionär

Fidel Castro war weltweit Idol und Hassfigur zugleich. Fast 50 Jahre herrschte der Máximo Líder über Kuba, überlebte zehn US-Präsidenten - und sah der Öffnung seines Landes zähneknirschend zu.

Fidel Castro war dem Tod nahe, lange bevor er starb. Mehr als 600 Attentatsversuche habe es auf ihn gegeben, raunte der kubanische Geheimdienst. Doch eine kugelsichere Weste trage er nicht, erklärte Castro einmal stolz. 1979 war das, auf einem Flug nach New York. Castro nahm die Zigarre aus dem Mund, knöpfte sich das olivgrüne Hemd auf und zeigte seine nackte Brust: "Ich habe eine moralische Weste."

Schon damals war Fidel Castro ein Mythos. Er galt als moderner Revolutionär, der Kuba von der Diktatur befreit hatte und in ganz Lateinamerika zum Vorbild wurde mit seinem Versprechen einer gerechteren Gesellschaft. Doch seine moralische Weste hatte längst Risse bekommen: In seinem Land wurden Dissidenten verfolgt, Bürger bespitzelt, wurde Mangel verwaltet.

Fidel Castro war Held und Hassobjekt zugleich, wenngleich er in den letzten Jahren seines Lebens öffentlich nicht mehr so präsent war. "Es scheint, als sei ich eine seltsame, unwirkliche Figur", hat er in seiner Autobiografie geschrieben. Schon um seinen Geburtstag ranken sich Legenden, viele glauben, die Eltern hätten die Geburtsurkunde gefälscht. Im offiziellen Alter von 90 Jahren ist er nun gestorben.

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Ein Leben in Bildern: Mythos Fidel Castro

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Fidel Castro, hat der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher einmal geschrieben, "ragt wie ein Monument aus einer anderen Zeit in das 21. Jahrhundert hinein". Fast 50 Jahre herrschte Fidel Castro in Kuba, er erlebte zehn US-Präsidenten. Es war auch die Gegnerschaft zu den Vereinigten Staaten, die sein Land und ihn so spektakulär machten. Über den Golf von Mexiko hinweg beteiligte Castro sich an der großen Auseinandersetzung seiner Zeit: Kommunismus gegen Kapitalismus, das kleine Kuba mittendrin. Seiner Ideologie schwor er nie ab, auch wenn sie sein Land zurückwarf.

"Die Geschichte wird mich freisprechen", so lautet einer seiner berühmtesten Sätze, den er schon in jungen Jahren sprach. Castro verteidigte sich 1953 vor Gericht, weil er den Diktator Fulgencio Batista stürzen wollte. Die Revolte wurde blutig niedergeschlagen. Damals betrat Castro erstmals die Weltbühne.

Bärtige Helden aus dem Dschungel

Drei Jahre später brach der promovierte Jurist zum nächsten Feldzug auf, der seinen revolutionären Mythos begründete. Mit 82 jungen Männern landete er mit der Jacht "Granma" an der Ostküste Kubas, nur 21 von ihnen überstanden den Beschuss von Batistas Truppen. Die überlebenden Guerilleros, darunter Fidel Castro, sein Bruder Raúl und der Argentinier Ernesto "Che" Guevara, flüchteten sich in die Wälder der Sierra Maestra.

"Barbudos" wurden die jungen Männer genannt, "Bärtige", Hoffnungsträger für die Armen und Unterdrückten. Mit verwegenen Angriffen setzten sie den Diktator unter Druck. Studenten, Arbeiter und Bauern schlichen sich in die Berge, um sich den Freiheitskämpfern anzuschließen, die Bewohner der Bergdörfer versorgten sie mit Essen.

Als die Rebellen im Januar 1959 siegreich in Havanna einzogen, wurden sie endgültig zum Vorbild für Millionen. Die Menschen säumten die Straßen und jubelten ihnen zu. Castro sah sich als Befreier und Schöpfer eines besseren Kuba. Kinder lernten lesen, schreiben und rechnen. Die Lebenserwartung stieg, die Kindersterblichkeitsrate sank.

Als von Exilkubanern gesteuerte Terroristen 1960 Anschläge in Havanna verübten, rief er: "Wir schlagen zurück. Jede Bombe wird beantwortet mit einem Hospital, jeder Mord mit einer Schule, jedes Attentat mit einem Kindergarten."

Vergiftete Zigarren und verseuchte Taucheranzüge

In der Karibik saßen nicht die sowjetischen Steinzeitkommunisten, so schien es, sondern Sozialisten mit Sex-Appeal. Glamouröser Mittelpunkt war Fidel Castro - er trug Militärkappe, rauchte Cohibas und genoss seine Affären. Europäische Intellektuelle pilgerten in den folgenden Jahren nach Havanna, Schriftsteller bewunderten Castro. Bis zuletzt suchten auch Mächtige die Nähe von Castro.

Er galt als Lieblingsziel der CIA. Der US-Auslandsgeheimdienst experimentierte mit vergifteten Zigarren und bakterienverseuchten Taucheranzügen; auch die exotische Idee, eine mit Sprengstoff gefüllte Muschel gegen den passionierten Taucher einzusetzen, erschien nicht abwegig (mehr dazu lesen Sie hier bei SPIEGEL PLUS). Fidel Castro war sich der Gefahr bewusst: Während eines Aufenthaltes in New York trank er aus Angst kein Leitungswasser. Mit jedem fehlgeschlagenen Attentat wuchs die Legende.

"Jetzt, Fidel, zerstörst du dein eigenes Werk"

Dass Demokratie zur Nebensache wurde, übersahen Bewunderer gerne. Hunderte Kubaner wurden bereits in den ersten Jahren hingerichtet, es waren Widersacher, Kritiker und Anhänger des Batista-Regimes. Castro nannte sie Kriminelle. Die politische Freiheit, die er versprochen hatte, gab er dem Volk nicht. Berüchtigte "Komitees zur Verteidigung der Revolution" sollten Oppositionelle aufspüren, sie bespitzelten Nachbarn und ermöglichten der Regierung die totale Kontrolle. Dissidenten wurden verfolgt, ohne Gerichtsverfahren eingesperrt oder mussten Zwangsarbeit leisten.

Er habe immer gegen die Ungerechtigkeit gekämpft, schrieb Castro in seiner Autobiografie. Doch durch sein Regime erlitten die Kubaner viel Unrecht. Wer kritisch war, lebte gefährlich. Wie viele Tote sein Regime zu verantworten hat, ist schwer zu beziffern. Schätzungen zufolge wurden mehr als 5000 Menschen hingerichtet. Hunderte Kubaner ertranken bei der Flucht übers Meer.

"Jetzt, Fidel, bist du dabei, dein eigenes Werk zu zerstören", hielt ihm sein alter Mistreiter Huber Matos schon 1959 vor, "trag nicht die Revolution zu Grabe."

Zu diesem Zeitpunkt hatte Castro mit sozialistischen Reformen auf Kuba begonnen. Die politische Ideologie war dabei oft stärker als die wirtschaftliche Vernunft. Über Budgets zu grübeln galt "einigen von uns" als lästiges Überbleibsel des Kapitalismus, gestand er später ein. Kuba hing jahrzehntelang am Tropf der Sowjetunion, die das Land jährlich mit Milliarden subventionierte. Den Mangel konnte das nicht lindern. Immer wieder flohen Tausende unzufriedene und hungrige Kubaner aus ihrem Land.

Schuld daran war neben der verfehlten Wirtschaftspolitik auch die Embargo-Politik der USA ab 1960. Der Mythos des Máximo Líder, des obersten Führers, wäre wohl ohne die Vereinigten Staaten nicht so mächtig geworden. Weder die von den USA unterstützte Invasion der Schweinebucht 1961 noch die Wirtschaftsblockade konnten Castro zu Fall bringen. "Fidel, campeón, te comiste el tiburón!" feierten die Menschen in den Straßen Havannas nach der Schweinebucht-Operation, "Fidel, du Held, du hast den Hai gefressen".

Castros Lob für Kennedys Enthusiasmus

Dabei war Castro nicht immer antiamerikanisch eingestellt gewesen. 1940 ging in Washington ein Brief des 14-jährigen Fidel Castro ein, adressiert an US-Präsident Franklin D. Roosevelt ("my good friend Roosevelt"). Der kleine Kubaner bat den großen Amerikaner, ihm einen Dollarschein zu schicken, "denn ich habe noch nie eine grüne amerikanische Zehn-Dollar-Note gesehen". Er erhielt ein Dankesschreiben des Außenministeriums, aber keinen Schein. Castros Interesse an den Dollars erlahmte später ohnehin, stattdessen rief er den Kampf gegen den Kapitalismus aus. Für ihn gab es nur noch "Sozialismus oder Tod".

Die Auseinandersetzung mit dem "Yankee-Imperium" im Norden brachte die Welt an den Rand des Atomkriegs. Als die Sowjetunion 1962 Mittelstreckenraketen auf Kuba stationierte, drängte Castro den sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow zu einer harten Haltung gegenüber US-Präsident John F. Kennedy. Seinen Widersacher in Washington lobte Castro Jahrzehnte später für seinen Enthusiasmus: Kennedy sei ein äußerst fähiger, würdiger Gegner gewesen.

Ein Gegner, den Castro damals freilich mit Nuklearwaffen angreifen wollte. Er drängte Chruschtschow zum atomaren Erstschlag, sollte Washington sein Land angreifen. Doch Chruschtschow zog die Raketen ab. Castro soll geschäumt, gegen die Wände seines Büros getreten und Chruschtschow als "Schwuchtel" beschimpft haben. In den folgenden Monaten, so ist es überliefert, trank der Comandante jede Menge Kaffee und Brandy. Viel aß er nicht mehr, was seine Compañeros verwunderte, denn eigentlich schätzte Castro gutes Essen und guten Wein.

Castros Kampf gegen Windmühlen

Unnachgiebig blieb Castro auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Sein Bart wurde grau, seine Haltung blieb starr. Zaghafte Reformen würgte er bald wieder ab, politische Freiheiten gewährte er nicht. Castro wurde zum sturen alten Mann, der die Zeichen der Zeit nicht erkannte, während sein Land tiefer in die Misere rutschte.

So glich er mehr und mehr seinem Lieblingshelden der Literatur: Don Quijote, Windmühlenkämpfer aus der spanischen Provinz. Eine Statue von ihm stand in Castros Büro. In siebenstündigen Reden referierte er weiter über den "unvermeidlichen Fall des Kapitalismus" - während seine Insel zum Kuriosum für Revolutionstouristen wurde. Längst vorbei waren da die Zeiten, als Castro seine Truppen nach Afrika schickte, um dort für das kubanische Modell zu kämpfen.

Castro wurde krank, verschwand jahrelang aus der Öffentlichkeit und wurde mehrmals für tot erklärt. Er erholte sich zwar, an die Macht kehrte er aber nicht zurück. 2008 wurde Bruder Raúl offiziell Präsident des Staats- und Ministerrates; und er leitete die lange versäumten wirtschaftlichen Reformen ein.

Raúl modernisierte das Land und führte es aus der Isolation. Er entrümpelte den Staatsdienst und entließ Hunderttausende Beamte. Der Handel mit Autos und Wohnungen wurde weitgehend freigegeben, Kleinunternehmer und Straßenhändler eroberten ganze Straßenzüge im Zentrum von Havanna. Die Regierung baute den Internet- und Handy-Empfang aus. Jeder Kubaner kann nun einen Pass beantragen, eine Ausreisegenehmigung ist nur in Ausnahmefällen nötig.

Einen historischen Moment erlebte Kuba im Dezember 2014: US-Präsident Barack Obama verkündete, Havanna und Washington würden wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen. Im März 2016 reiste Obama in die kubanische Hauptstadt, es war der erste Besuch eines amerikanischen Staatschefs seit mehr als 90 Jahren. Raúl genoss die diplomatische Aufwertung.

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Obama im Baseballstadion: La Ola für Kuba, Trauer um die Terroropfer

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Fidel dagegen schwieg tagelang. Dann kritisierte er die Annäherung an den Erzfeind in einem Artikel. Dennoch schien er sich in die Einsicht zu fügen, dass seine Zeit vorbei war.

In den vergangenen Jahren hatte Fidel Castro an seinem Bild für die Nachwelt gearbeitet, sich für die Verfolgung von Homosexuellen im revolutionären Kuba entschuldigt und gar den Export des sozialistischen Regierungsmodells für gescheitert erklärt ("Es funktioniert ja nicht einmal auf Kuba") - um allerdings später klarzustellen, er sei missverstanden worden.

Über das Privatleben Fidels, der als schlau, berechnend und extrem fleißig galt, wurde wenig bekannt. Er war zweimal verheiratet, vielleicht auch dreimal. Über 20 Jahre war Genossin Celia Sánchez an seiner Seite, mit der er in der Sierra Maestra gekämpft hatte. "Sie war die rechte Hand, die linke Hand, beide Füße und der Bart Fidels", so beschreibt sie Castros Schwester Juanita, die sonst wenig Gutes über ihren Bruder zu berichten weiß.

Castro hinterlässt acht Kinder, darunter die Söhne mit den Namen Antonio, Alejandro, Alexis, Alex und Angel, die er mit seiner letzten Frau Dalia Soto del Valle hat. Dass die Namen alle mit "A" begannen, entsprang Castros Bewunderung für den Feldherrn Alexander den Großen. Seine uneheliche Tochter Alina wetterte gern aus dem Exil in Miami über ihren machtbesessenen Vater, der unfähig zu Liebe und ein Gewaltherrscher geblieben sei.

Der hochbetagte Revolutionär verbrachte seine Zeit zuletzt mit Lesen und Gymnastik. Einen amerikanischen Journalisten lud Fidel einmal zur Delfin-Show im Aquarium von Havanna ein, auch die Tochter seines legendären Kampfgenossen Che Guevara war dabei.

Che ist längst zur Pop-Ikone geworden, zum Konsumartikel. Für Fidel Castro wäre das wohl die größte Strafe. Wie er in Erinnerung bleiben möchte, hat er im hohen Alter einmal preisgegeben: "Am Ende müssen die Menschen einsehen, dass wir standhaft gewesen sind, unsere Überzeugungen und Unabhängigkeit verteidigt haben, Gerechtigkeit üben wollten und rebellisch gewesen sind."

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