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Griechischer Außenminister Kotzias "Die Türken verhalten sich übermütig, arrogant und unsicher"

Der Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland droht erneut zu eskalieren. Außenminister Kotzias macht den türkischen Staatschef und seine Hegemonieträume dafür verantwortlich.
Griechenlands Außenminister Nikos Kotzias

Griechenlands Außenminister Nikos Kotzias

Foto: Costas Baltas/ REUTERS

SPIEGEL ONLINE: Ihre Regierung stationiert Tausende Soldaten an der Grenze. Vorbereitungen für einen möglichen Krieg?

Kotzias: Nein, nein. Es gibt keine Alternative zum Frieden; wir müssen unsere Probleme durch Diplomatie lösen, friedlich und in Übereinstimmung mit internationalen Gesetzen. Das heißt aber nicht, dass wir das Verhalten unserer Nachbarn nicht aufmerksam verfolgen. Die Türkei zündelt gern.

SPIEGEL ONLINE: Anfang März hat die Türkei zwei griechische Soldaten festgenommen, die die Grenze wohl versehentlich überquerten. War das eine Provokation?

Kotzias: So etwas ist jedenfalls kein Verhalten unter Nato-Partnern. Die beiden Soldaten haben die Grenze um einige Meter überschritten. Zum ersten Mal wird so ein Fall zur Eskalation einer Krise benutzt. Jahrzehntelang haben wir in solchen Situationen die Soldaten einfach ausgetauscht. Ich habe in meinem Büro Dokumente über Hunderte ähnlicher Fälle, sogar Berichte über die Rückkehr türkischer Soldaten aus Griechenland - ohne jede Eskalation. Es ist nicht gut, dass die Türkei von dieser Praxis jetzt abweicht. Denn auch ihre eigenen Soldaten werden sich irgendwann verirren, wie es in der Vergangenheit bereits gelegentlich passiert ist.

SPIEGEL ONLINE: Im Dezember war Präsident Recep Tayyip Erdogan in Athen, ein historischer Besuch. Hat das Treffen geholfen?

Kotzias: Es ist nun wichtig, alle diplomatischen Kanäle offen zu halten. Die Einladung hatte damals das Ziel, die Spannungen abzubauen und unsere Probleme zu diskutieren. Präsident Recep Tayyip Erdogan ist hoch nervös; die Türken verhalten sich widersprüchlich, sie sind zugleich übermütig, arrogant und unsicher. Wir versuchen, sie davon zu überzeugen, dass wir keine bösen Absichten hegen. Von all ihren Nachbarn ist Griechenland der beste. Doch Erdogan hat entschieden, sogar guten Nachbarn wie uns Probleme zu bereiten.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?

Kotzias: Grundsätzlich interessiert er sich sehr dafür, den türkischen Zugriff auf Erdgasvorkommen im Mittelmeer sicherzustellen, egal ob mit legalen oder illegalen Methoden.

SPIEGEL ONLINE: Will die Türkei also die Grenzen zu Griechenland neu ziehen?

Kotzias: Es gibt keine Chance, dass das passiert.

SPIEGEL ONLINE: Weil Griechenland militärisch ausreichend vorbereitet ist?

Kotzias: Das internationale Recht ist auf unserer Seite. Erdogan kann nicht ernsthaft Europas Grenzen verändern wollen. Er hat bisher nicht angedeutet, dass ihm so etwas vorschwebt. Aber er hat Vorfälle provoziert, die zeigen, dass er die griechische Souveränität anzweifelt und dadurch indirekt auch die der EU, im Mittelmeer wie anderswo.

SPIEGEL ONLINE: Was hat Erdogan Ihrer Ansicht nach vor?

Kotzias: Ich glaube, dass Erdogan Einfluss auf die Nachbarstaaten ausüben will, wie eine Hegemonialmacht. Aber Griechenland ist Teil der EU, und wir wollen, dass die Türkei ein stabiler Staat ist, der sich zur EU bekennt. Wir wollen eine Europäisierung der Türkei, aber manchmal scheint es so, dass Erdogan Europa "türkifizieren" will. Das können wir nicht akzeptieren.

SPIEGEL ONLINE: Wie macht Erdogan das?

Kotzias: Er nimmt eine harte Haltung gegenüber seinen Verbündeten ein, lässt deutsche Journalisten verhaften. Dieses Vorgehen stimmt nicht mit den Werten Europas überein.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben Erdogan getroffen und nach eigenen Angaben offen mit ihm gesprochen. Was haben Sie ihm gesagt?

Kotzias: Ich habe Erdogan gesagt: "Allah hat entschieden, dass unsere Länder nebeneinander liegen. Und er beobachtet Ihr Tun und erwartet, dass Sie vernünftig und moralisch handeln." Wir können die geografische Lage der Länder nicht verändern. Wir sind Nachbarn. Niemand zweifelt an Erdogans Qualitäten und seinem Einfluss. Aber sein Verhalten als Führer ist nicht so, wie wir uns das vorstellen.

SPIEGEL ONLINE: Wie sieht das langfristige Ziel der Türkei aus, wenn es nicht um Grenzverschiebungen geht?

Kotzias: Die Türkei will uns ihren Willen aufzwingen. Das können wir nicht hinnehmen. Ich antworte nur selten auf die scharfe Rhetorik der Türkei, sonst spielen wir nur ihr Spiel.

SPIEGEL ONLINE: Wie ernst nehmen Sie die Drohungen?

Kotzias: Die Türkei sagt, sie wolle mit uns am Verhandlungstisch über Dinge reden, die sie nach internationalem Recht nichts angehen. Aber darauf werden wir nicht eingehen. Erdogan exportiert innenpolitische Probleme; er versucht, die Rechtsnationalisten vor den Wahlen nächstes Jahr zu mobilisieren. Aber Griechenland ist nicht Syrien oder der Irak. Das sage ich mit allem Respekt gegenüber diesen Ländern. Wir sind ein organisierter Staat mit größeren Möglichkeiten. Wir sind Teil des Westens und nicht allein.

Außenminister Nikos Kotzias im Interview mit SPIEGEL-Reporter Giorgos Christides

Außenminister Nikos Kotzias im Interview mit SPIEGEL-Reporter Giorgos Christides

Foto: Giorgos Christides

SPIEGEL ONLINE: Aber auch Ihr Land provoziert: Der griechische Verteidigungsminister sagte, Erdogan sei "verrückt" geworden und kündigte an, 7000 Soldaten an die Grenze zur Türkei zu verlegen.

Kotzias: Ministerien verhalten sich unterschiedlich, das zeigt schon der Blick in die Geschichte. Ich bin Anhänger eines ruhigen Weges.

SPIEGEL ONLINE: Erwarten Sie Unterstützung vom Westen im Konflikt mit der Türkei?

Kotzias: Meine Freunde in der Türkei sollten unbedingt verstehen, dass unsere Reaktion auf Provokation, auch auf solche militärischer Art, nicht als Schwäche ausgelegt werden sollte.

SPIEGEL ONLINE: Und was erwarten Sie von der EU?

Kotzias: Die EU kann nicht eingreifen, das ist in ihrer Struktur so angelegt. Aber sie kann präventiv wirken - außerdem gibt es andere Kräfte in der Region - Iran, Russland, die Mehrheit in der arabischen Welt -, die alle unterschiedlich Beziehungen zur Türkei unterhalten. Ich kann Ankara nur ermahnen, nichts Unüberlegtes zu versuchen.


Anmerkung: Dies ist die Langfassung des Interviews, das im aktuellen SPIEGEL erschienen ist.

Übersetzung: Max Holscher