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Todesschwadronen im Irak Die Killer von Bagdad

In Bagdad beginnt der Bürgerkrieg: Schiitische Killerkommandos machen immer häufiger Jagd auf Sunniten, um sich für Terroranschläge zu rächen. Die Polizei ist machtlos. Für den Irak scheint es keinen Ausweg aus der Ära der Angst zu geben.
Von Erwin Decker

Bagdad - Wenn die Autos mit den schwarzen Männern in seine Straße einbiegen, ruft Ali Hasan al-Mahawisch nach seinen spielenden Kindern. Sofort sollen sie ins Haus kommen. Die Tür wird verriegelt. Mahawisch hat Angst. Dieses Mal könnte es seine Familie treffen. Die schwarzgekleideten Männer halten ihre Waffen in den Händen, rollen im Schritttempo durch die Straßen. Offensichtlich wissen sie ganz genau in welchen Häusern Sunniten wohnen. Der Ingenieur Mahawisch ist einer von ihnen, ein potentielles Ziel der Todesschwadronen.

In Stadtteilen, in denen überwiegend Schiiten wohnen, werden die Todesschwadronen immer mehr zum normalen Bestandteil des Straßenbildes. Die Sunniten, die im Bagdader Stadtteil Kadhamiya wohnen, sind dem Terror Tag für Tag ausgesetzt. Die schwarzen Männer schießen wahllos in ihre Häuser und Innenhöfe. Manchmal geben sie den Bewohnern eines Hauses fünf Minuten, um es mit der Familie zu verlassen und zünden es dann an. Sunniten werden so gezielt aus den Statteilen vertrieben in denen überwiegend Schiiten wohnen. Oder sie werden einfach vor ihren Nachbarn hingerichtet.

Die "ethnische Säuberung" ist laut einem Uno-Bericht bereits weit fortgeschritten in der Sechs-Millionen-Stadt Bagdad. Und 
niemand kann diese Todesschwadronen stoppen. Am allerwenigsten die Polizei. Sechs Stadtteile hat der Terror bereits erfasst. Die Polizei hat man in diesen Sektoren seit Wochen nicht mehr gesehen. Die Sunniten haben vor den Männern in Schwarz inzwischen mehr Angst als vor den täglichen Bombenanschlägen.

Vor Bomben kann man sich schützen indem man das Haus nicht verlässt, aber der Terror in Schwarz kommt in die Häuser. Die schwarzen Männer sagen, sie rächen ihre ermordeten schiitischen Brüder. Und es gibt für die Menschen kein Entrinnen. Besonders auf sunnitische Politiker und Kleriker haben es die sektiererischen Mordkommandos abgesehen. Im westlichen Vorort Abu Ghureib wurde ein sunnitischer Geistlicher vor seiner Moschee erschossen aufgefunden. Augenzeugen haben die schwarzgekleideten Täter als Mitglieder der Todesschwadronen identifiziert.

Ali Hasan al-Mahawisch wohnt ganz nahe an der Aimma-Brücke, die über den Tigris in den schiitische Stadtteil Adhamiya führt. Die Brücke erlangte traurige Berühmtheit, als voriges Jahr während eines Pilgerzuges bei einer Massenpanik über 500 Menschen auf ihr starben. "Mein Haus steht an der Grenze zwischen den Sunniten und den Schiiten. Jeden Tag merke ich, wie sich eine gefährliche Grenze mitten in Bagdad gebildet hat. Es ist jetzt schon eine regelrechte Frontlinie", sagt er.

Seit ein paar Tagen gibt es Unterstände für die schiitischen Milizen aus Sandsäcken am unteren Ende der Brücke. Ab dem Nachmittag sind sie mit Zivilisten besetzt und die Gewehrläufe zeigen in den sunnitischen Stadtteil. Vereinzelt wird geschossen. Ab fünf Uhr fährt kein Auto mehr über die Brücke. "Es ist schlimmer als im Krieg vor drei Jahren", sagt Ali Hasan al-Mahawisch.

Er ist Sunnit und lebte friedlich mit seinen schiitischen Nachbarn zusammen. Das hat sich seit einem halben Jahr geändert. "Plötzlich ist da ein Misstrauen unter meinen Nachbarn. Dies, obwohl sie wissen, dass ich nicht einmal in der Baath-Partei war und unter Saddam Hussein große Repressalien hatte", klagt er. Seit die schwarzgekleideten Männer von der Todesschwadron nachts in die Fenster schießen, wohnt die neunköpfige Familie nur noch im hinteren Teil des Hauses. Dort kann niemand in die Fenster schießen.

Strom und Wasser gibt es bei Ali Hasan al-Mahawisch nur eine Stunde am Tag. In dieser Stunde sitzt die ganze Familie vor dem Fernseher um sich über die aktuelle Lage im Irak zu informieren. "Wenn ich zuverlässige Informationen über mein Land haben möchte, sehe ich ausländische TV-Programme oder gehe in ein Internetcafé", sagt der Ingenieur. Es gibt inzwischen über 170 Zeitungen. Aber keine berichtet unabhängig. Jede Zeitung, jeder Radiosender und TV-Kanal hängt am Tropf einer Partei oder der USA. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Keine Zeitung oder Fernsehstation kritisiert die Besatzer des Landes. In den irakischen Medien ist bisher nichts über die Todesschwadronen zu lesen.

Die Todesschwadronen sind gut organisiert. Möglicherweise handelt es sich bei den Männern teilweise um Truppen des Innenministeriums, die sich verselbständigt haben. Der irakische Ministerialbeamte Kamal Hussein sagte, die Männer in Schwarz handelten nicht auf Befehl des Ministers. Doch Noch-Innenminister Bajan Bakr Solagh hat die Behörde längst nicht mehr unter Kontrolle. Weil nach der Wahl am 15. Dezember immer noch keine neue Regierung gebildet wurde, entstand dadurch in einigen Ministerien ein regelrechtes Machtvakuum. General Raschid Flajih ist Kommandeur der Truppen des von den Schiiten geführten Innenministeriums. Sie sind nach seinen Angaben von der irakischen Armee unabhängig. Die Existenz der schwarzen Todesschwadronen bestreitet er nicht. Er bezeichnet sie sogar euphemistisch als "Field Intelligence Units" - was so viel bedeutet wie "Geheimdienstmitarbeiter im Außeneinsatz".

Sicher ist, dass große Teile der Todesschwadronen von der "Mahdi-Miliz" des Schiitenführers Muktada al-Sadr rekrutiert wurden. Seine Miliz führte 2004 einen mehrere Monate anhaltende Guerilla-Krieg gegen die Amerikaner in der heiligen Stadt Nadschaf. Seine Milizen zogen sich dann sieglos zurück.
Kürzlich fanden die Amerikaner im Stadtteil Neu-Bagdad während einer Fahrzeugkontrolle bei einem Polizeioffizier und einem Mitglied der Mahdi-Milizen von Sadr eine Todesliste mit den Namen mehrerer Ministerialbeamter.

Auf sunnitischer Seite sieht es nicht anders aus. In ihren Stadtteilen wird ebenfalls kräftig aufgerüstet. Nachdem letzte Woche einige ihrer Moscheen zerstört wurden, haben sich die sunnitischen Milizen verstärkt. Meist mit ehemaligen Soldaten. Hilfe und Unterstützung kommt aus den Gebieten um Ramadi und Falludscha. Große Mengen Waffen und Kämpfer sollen schon in Bagdad eingetroffen sein.

Rekruten gibt es reichlich. "Ich werde der Erste sein, der nach Bagdad geht um meinen Glaubensbrüder zu helfen, damit keine weitere sunnitische Moschee angegriffen wird", sagt der 27-jährige Ingenieurstudent Mustafa Adnan aus Falludscha. Sunnitische Geistliche sagten, dass mehr als hundert ihrer Moscheen in Bagdad beschädigt oder zerstört wurden.

Bis zum Sturz Saddam Husseins regierte die sunnitische Minderheit über 30 Jahre den Irak. Nach den Wahlen hat sich das geändert. Die 60 Prozent Schiiten im Irak haben in der Regierung das Sagen. Die US-Streitkräfte und Menschenrechtsorganisationen kritisieren die eklatanten Verstöße gegen die Menschenrechte durch das Innenministerium. Der Irak gerät immer mehr außer Kontrolle. Die Polizei und die Armee ist nach Angaben der Amerikaner komplett von Aufständischen unterwandert. Oft werden deren Mitglieder von Terroristen zur Kooperation gezwungen - in dem beispielsweise ihre Kinder entführt werden.

Und so schwindet die staatliche Autorität immer mehr - jeder nimmt sein eigenes Schicksal selbst in die Hand. Jede Partei und noch so kleine Organisation hat ihre eigene Miliz. Das Gesetz gibt jedem Iraker das Recht, in seinem Haus eine Kalaschnikow zu haben. Selbst der US-Botschafter im Irak, Zalmay Khalilzad, sagte kürzlich: Mit dem Sturz von Saddam Hussein hätten die USA und ihre Verbündete im Irak eine "Büchse der Pandora" geöffnet. Die ethnischen Spannungen könnten nicht nur im Irak einen Bürgerkrieg auslösen sondern in der gesamten Region zu einem Flächenbrand führen.

Ingenieur Mahawisch interessieren die großen Worte von Politikern nicht. Für ihn und seine Familie geht es ums nackte Überleben an der Frontlinie zwischen Sunniten und Schiiten. Ihr Hauptziel haben die schwarzen Männer bereits erreicht. Jeder hat Angst, jeden Tag.