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Hetzjagd-Debatte "Es gibt nichts kleinzureden"

Kam es bei den ersten Krawallen in Chemnitz zu Hetzjagden? Die juristische Klärung ist knifflig, die AfD versucht, die Bundesregierung in Bedrängnis zu bringen. Doch Regierungssprecher Seibert wählt weiter deutliche Worte.
Demonstranten der rechten Szene in Chemnitz (Bild vom 27. August 2018)

Demonstranten der rechten Szene in Chemnitz (Bild vom 27. August 2018)

Foto: Jan Woitas/ dpa

Steffen Seibert ist ein Mann, der das diplomatische Wort pflegt. Nach den ersten Ausschreitungen von Chemnitz, die auf die Tötung von Daniel H., mutmaßlich durch einen irakischen und syrischen Täter, folgten, sprach er ungewöhnlich deutliche Worte. "Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin", sagte der Regierungssprecher in der Bundespressekonferenz.

Später folgte die Kanzlerin mit ähnlichem Tenor. Befragt zu den Ausschreitungen in Chemnitz, erklärte sie vor TV-Kameras im Kanzleramt: "Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab, dass es Zusammenrottungen gab, dass es Hass auf der Straße gab, und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun."

Viele Medien, auch der SPIEGEL  , sprachen im Zusammenhang mit den rechten Ausschreitungen nach der Tötung von Daniel H. von einer Hetzjagd. Nun hat sich die rechtspopulistische AfD des Themas bemächtigt und stellt infrage, dass es solche Hetzjagden überhaupt gegeben hat. Der AfD-Vizefraktionschef im Bundestag, Leif-Erik Holm, reichte mittlerweile eine Anfrage an die Bundesregierung ein, ein übliches Mittel im parlamentarischen Alltag. Er wolle wissen, auf welcher Faktenbasis Regierungssprecher Seibert den Begriff verwendet habe. "Bis heute liegen der Öffentlichkeit keine stichhaltigen Fakten vor, dass es in Chemnitz am Sonntag, dem 26. August, zu solchen Vorfällen kam", sagt Holm. Sollte die Bundesregierung keine stichhaltigen Beweise für "Hetzjagden" liefern, hätte sie "Fake News" verbreitet, lautet die Interpretation des früheren Rundfunkmoderators Holm.

Hetzjagd oder Jagdszenen?

Tatsächlich ist die Verwendung des Begriffs strittig. Die AfD kann dabei auf die größte regionale Zeitung in Chemnitz, die "Freie Presse", verweisen. Deren Chefredakteur Torsten Kleditzsch hatte vergangene Woche einen Text verfasst, in dem er den Lesern ausführlich begründete, warum seine Zeitung den Begriff Hetzjagd nicht verwendet. "Es gab aus der Demonstration heraus Angriffe auf Migranten, Linke und Polizisten. So wurde Menschen über kurze Distanz nachgestellt. Insofern wäre der Begriff 'Jagdszene' noch gerechtfertigt. Eine 'Hetzjagd', in dem Sinne, dass Menschen andere Menschen über längere Zeit und Distanz vor sich hertreiben, haben wir aber nicht beobachtet. Wir kennen auch kein Video, das solch eine Szene dokumentiert", so der Chefredakteur. Kleditzsch schrieb aber auch: "Der offen zu Tage getretene Hass, der die Proteste auf den Straßen in Chemnitz am Sonntag begleitet hat, war schrecklich genug. Er bedarf keiner Dramatisierung."

Ausschreitungen in Chemnitz: "Wir sind bepöbelt und bedroht worden"

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Zusätzlich bestärkt fühlt sich die AfD-Bundestagsfraktion durch eine Äußerung des Pressesprechers der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein. Er hatte vergangene Woche in ersten Stellungnahmen erklärt, nach allem seiner Behörde vorliegenden Material "hat es in Chemnitz keine Hetzjagd gegeben".

Seitdem twittert die AfD in den sozialen Medien: "Rechte Hetzjagden waren frei erfunden." Seibert wurde am heutigen Montag in der Bundespressekonferenz mit seiner früheren Aussage und der Aussage der Generalstaatsanwaltschaft Dresden konfrontiert - befragt von einem Journalisten der rechten Wochenzeitung "Junge Freiheit". Seibert nahm das Wort "Hetzjagd" diesmal nicht in den Mund - wollte aber keine "semantische Debatte" über ein Wort führen. Was die Generalstaatsanwaltschaft sage, nehme er natürlich ernst, so Seibert und führte schließlich mit aller Deutlichkeit aus: "Es bleibt aber dabei, dass Filmaufnahmen zeigen, wie Menschen ausländischer Herkunft nachgesetzt wurde und wie sie bedroht wurden. Es bleibt dabei, dass Polizisten und Journalisten bedroht, zum Teil auch angegriffen wurden. Und es bleibt dabei, dass es Äußerungen gab, die bedrohlich waren, nahe am Aufruf zur Selbstjustiz." Abschließend fügte Seibert hinzu: "Es gibt aus meiner Sicht nichts kleinzureden."

Generalstaatsanwaltschaft Dresden: Auswertung noch nicht beendet

Tatsächlich ist die Begriffsklärung nicht einfach. Auf Nachfrage des SPIEGEL verwies Oberstaatsanwalt Klein, Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft in Dresden, in schriftlich freigegebenen Zitaten am Montag zunächst auf die rechtliche Schwierigkeit. Der Begriff "Hetzjagd" sei juristisch nicht definiert, so der Jurist. "Ich verstehe unter einer Hetzjagd etwa mehrere Personen, die einen Menschen durch die Stadt jagen, um diesen zu verprügeln oder körperlich massiv anzugehen." Das, was seine Behörde bislang ausgewertet habe, enthalte keine Hinweise auf derartige Hetzjagden. "Wir sind mit der Auswertung allerdings noch nicht fertig. Es kann theoretisch sein, dass auf weiterem Bild- und Filmmaterial ein solcher Vorgang enthalten ist", fügte Klein hinzu.

Zudem verwies Klein auf die konkrete Aufgabestellung, die die Generalstaatsanwaltschaft Dresden derzeit in Chemnitz untersucht - und die ist begrenzt. "Unsere Ermittlungen beschränken sich auf das unmittelbare Demonstrationsgeschehen am Sonntag und Montag nach der zuvor erfolgten Tat in Chemnitz", so der Sprecher. Alle anderen Ereignisse, die sich möglicherweise an anderen Orten im Stadtgebiet ereignet hätten, seien von der Staatsanwaltschaft Chemnitz und der örtlichen Polizei zu bearbeiten.