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Ultras bei PSG: Gefeuerte Kurven

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Fanszene von Bayerns Champions-League-Gegner Wie ein Tod die PSG-Fankultur beendete

Jahrelang war es wild und laut im Pariser Prinzenparkstadion. Dann gab es einen Toten - und die Ultras wurden zum Feindbild Nummer eins. Stille wurde die größte Form der Zuneigung. Bis heute.

Auf der oft besungenen Prachtstraße Champs-Élysées herrscht vor dem unscheinbaren Gebäude mit der Nummer 27 Hochbetrieb. Menschen aus der Bretagne und aus Südfrankreich tummeln sich dort genauso wie zwei ältere Herren aus Malmö, ein Ehepaar aus Braunschweig und eine ganze Busladung Japaner. Der Renner im Fanshop von Paris Saint-Germain sind die Trikots mit "Neymar"-Beflockung, 105 Euro kosten die günstigeren, 140 Euro die aus einem Stoff, der sich "Vapor" nennt.

"Die brauchen uns nicht mehr", sagt ein 35-jähriger Mann, der sich "Jérôme" nennt. "Die" - das sind die Macher des mit Scheich-Milliarden auf Weltklasseniveau gehobenen Hauptstadtklubs PSG. Mit "uns" meint er die Ultras, jahrelang die engagiertesten Fans des französischen Vereins. Bis vor sieben Jahren der Tod eines Fans alles änderte.

Jérôme ging lange Zeit zu PSG, er stand früher auf der vor allem aus Weißen bestehenden "Boulogne"-Kurve. Heute will er mit dem Verein nichts mehr zu tun haben. "Sie haben uns 2010 vor die Tür gesetzt. Uns, die treuesten Fans", sagt er. "Jetzt haben sie das Publikum, das sie wollten."

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Ultras bei PSG: Gefeuerte Kurven

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Die Liebe zum Verein und die Verbitterung, das sind eigentlich die einzigen Dinge, die Jérôme und die "Boulogne"-Kurve der im Prinzenpark nicht nur örtlich gegenüberliegenden "Auteuil"-Kurve vereint. "Viola" stand dort jahrelang: "Wir waren eine Kurve, die das Leben in den Wohnvierteln abgebildet hat. Jeder war willkommen", berichtet er. Von "Boulogne" hält er wenig, dort hätten auch ein "paar völlig Irre aus dem Nazispektrum" gestanden.

Der heute 38 Jahre alte Jurist ist mit seinem Verein überall hingereist, nach Bastia, nach Istanbul, nach Glasgow. In einem Café im elften Arrondissement erzählt Viola, wie ihm der Verein, dem er fast jeden Tag geopfert hatte, seine Kurve wegnahm. "Sie wollten ein cleaneres und reicheres Publikum. Nicht Leute wie uns: Studenten, Azubis, junge Leute am Beginn ihrer Berufslaufbahn."

Ein Toter verändert alles

2010 überfielen Hools und Ultras von "Boulogne" die Kollegen aus "Auteuil", ein "Boulogne"-Fan starb. Ultras, egal, ob friedlich oder gewalttätig, wurden für Polizei und Verein nun zum Feindbild. Ein Gesetz wurde verabschiedet, das Pariser Fans am Auswärts-Spieltag den Aufenthalt in der Stadt des Gegners untersagt, kurz darauf entzog PSG den Dauerkartenkunden das Vorkaufsrecht. Wer dennoch eine ergatterte, bekam für jedes Spiel einen anderen Platz.

Die Ultragruppen wurden auf diese Weise zerschlagen. PSG, das neben Saint-Étienne und Marseille das stimmungsvollste Stadion in Frankreich hatte, war das Publikum in beiden Fankurven losgeworden. Für den Prinzenpark entwickelte sich ein wenig vorteilhaftes Synonym: "le cimetière" - der Friedhof.

"Als wir weg waren, war Stille die größte Form der Zustimmung, bei jedem Fehlpass wurde gepfiffen", sagt Viola. "Unter den neuen Dauerkarteninhabern waren viele früher für Marseille oder Lyon. Und nur plötzlich für den PSG, weil der nun Erfolg hatte."

Stille als größte Form der Zustimmung

Viele seiner Ultra-Kollegen hätten mit dem Verein heute abgeschlossen, sagt Viola: "Sie freuen sich sogar über dessen Niederlagen". Andere gehen seit sieben Jahren zu einem der beiden anderen Klubs der Stadt. Zu Paris FC, oder zum Drittligisten Red Star, der sich als Quartiers-Verein des proletarischen Nordens der Stadt begreift.

Viola kann das nicht verstehen. "Man wechselt doch nicht den Verein, für mich bleibt PSG der Pariser Klub." Doch die Kritik an den Investoren aus Katar, die 2011 bei PSG einstiegen, die teilt auch er. "Viele Ultragruppen boykottieren den Park, weil sie ihr Material nicht mitnehmen dürfen. Und wegen der Preise." Tickets gibt es fast nur noch über Portale wie "Viagogo" oder auf dem Schwarzmarkt, und das selten für unter 200 Euro.

Immerhin: Seit einigen Monaten gibt es wieder Ultras im Park. Kurz nach der EM 2016 hat PSG-Präsident Nasser Al-Khelaïfi Signale ausgesendet, dass sie den Friedhof wieder beleben wollen. Nach dem ersten Spiel, an dem wieder Ultras in den Park durften, sangen die neuen, meist sehr jungen Fans Loblieder auf den katarischen Präsidenten. "Nasser Al-Khelaïfi und die Ultras - eine große Liebe", kommentierte der "Figaro" ironisch.

"Mal Druck machen, mal verhandeln"

Auch die fünf Männer mit Schal vom "Collectif Ultras Paris" sind zu jung, um 2010 schon im Stadion gewesen zu sein. In der Metrolinie 9 fahren sie zum Spiel gegen Lyon, mit der Presse reden wollen sie nicht. Abends werden sie für eine ordentliche Heimspielatmosphäre sorgen, der "Friedhof" lebt also wieder ein bisschen.

Doch für Leute wie Viola gehörte zum Ultra-Sein mehr als ein bisschen Stimmung zu machen. "Wir haben wie eine Gewerkschaft agiert. Mal musste man Druck machen, mal verhandeln. Es ging um den Verein, nicht nur um das nächste Spiel." Die heutigen Ultras können das nicht mehr, Proteste würde sich die Vereinsführung nicht gefallen lassen.

Doch eines ist auch klar, findet Viola: Alles ist besser als der Friedhof, den sie jahrelang aus seinem Stadion gemacht haben.