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Streit über Autobahnprivatisierung Warum der Ausbau der A1 vor Gericht gelandet ist

Die öffentlich-private Partnerschaft zum Ausbau der A1 galt einst als Vorzeigeprojekt. Inzwischen sieht sich der Autobahnbetreiber von der Pleite bedroht - und hat die Bundesregierung verklagt. Wie konnte es so weit kommen?
Stau auf der A1 (Archiv)

Stau auf der A1 (Archiv)

Foto: Ingo Wagner/ picture alliance / dpa

Vor dem Landgericht Hannover wird seit diesem Freitag ein öffentlich-privates Debakel verhandelt. Der private Autobahnbetreiber A1 Mobil hat die Bundesrepublik, vertreten durch das Land Niedersachsen, auf Zahlung von 778 Millionen Euro verklagt. Die Gesellschaft sieht nur so eine Chance, die Insolvenz zu verhindern. Eine Schlichtung ist bereits gescheitert. Nun hat das Gericht gleich am ersten Verhandlungstag einen Vergleich vorgeschlagen.

Das müssen Sie über den Fall wissen:

Worum geht es in dem Streit?

Das Konsortium A1 Mobil betreibt einen 65,5 Kilometer langen Abschnitt der A1 zwischen Hamburg und Bremen. Die Konzession gilt für eine Strecke von 72,5 Kilometer. Auf dieser Länge wurde der Abschnitt zwischen 2008 und 2012 sechsspurig ausgebaut. Die rasche Fertigstellung galt damals als Werbung für öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP).

Das Gesamtprojektvolumen beläuft sich auf 1,3 Milliarden Euro, wovon damals etwa 515 Millionen Euro auf den Ausbau der Autobahn entfielen. Das private Konsortium übernahm die Kosten und verpflichtete sich über 30 Jahre zum Betrieb der Strecke. Der Ausbau wurde hauptsächlich über Kredite finanziert.

Dem Vertrag zufolge behält der Bund eine festgeschriebenen Summe aus den Einnahmen der Lkw-Maut auf der Strecke und gibt an A1 Mobil nur die darüberhinausgehenden Beträge weiter. Die Höhe kann dabei variieren.

Im August 2017 verklagte die Betreibergesellschaft die Bundesrepublik. A1 Mobil sah eine "existenzbedrohende Situation" und forderte zusätzliche Finanzmittel.

Nach Darstellung der Gesellschaft sind die Mauteinnahmen wesentlich geringer ausgefallen, als erwartet. Das Unternehmen machte dafür die damalige Finanz- und Wirtschaftskrise verantwortlich.

Der Lastwagenverkehr sei zwischenzeitlich um mehr als 20 Prozent eingebrochen. Das Vergütungsmodell mit dem Bund setze aber ein Wachstum des Verkehrs voraus, sagte A1-Mobil-Geschäftsführer Ralf Schmitz der Nachrichtenagentur dpa. Der Rückgang der Mauteinnahmen wirkte sich laut Unternehmensangaben allein zu Lasten der privaten Betreibergesellschaft aus.

Kritiker werfen der Betreibergesellschaft vor, bewusst zu optimistisch kalkuliert zu haben, um sich den Auftrag zu sichern und den Vertrag später noch zu ihren Gunsten nachzuverhandeln.

Wer steckt hinter A1 Mobil?

Gegründet wurde das Konsortium A1 Mobil von der Baugesellschaft Bilfinger Berger, dem britischen Infrastrukturfonds John Laing und dem mittelständischen Bauunternehmen Johann Bunte. Bilfinger Berger hat sich bereits 2014 aus dem Projekt zurückgezogen. Die 42,5-prozentige Beteiligung wurde komplett abgeschrieben.

Was sagt die Bundesregierung?

Das damals von Alexander Dobrindt (CSU) geführte Bundesverkehrsministerium wies die Vorwürfe schon im vergangenen Jahr zurück. Dobrindt ging davon aus, dass A1 Mobil sich verkalkuliert hat: "Die Prognosen der Verkehre wurden ja von den Betreibern selbst gewählt. Daraus haben sie ja selbst ihr Risiko und damit auch ihre Vergütung berechnet", sagte er.

Wie ist die finanzielle Situation des Konsortiums heute?

Nur ein Stillhalteabkommen mit den Gläubigerbanken verhindere die Insolvenz von A1 Mobil, sagt Konsortiumsgeschäftsführer Schmitz. Zins und Tilgung würden von den Banken gestundet. So könne er die Einnahmen nutzen, um die Kosten zu begleichen und den Betrieb der Autobahn zu gewährleisten, sagte er mit Blick etwa auf den Einsatz von Streufahrzeugen.

"Was übrigbleibt, reicht nicht einmal für die Zinsen", so Schmitz. "Dadurch werden die Schulden immer höher." Im Schlichtungsverfahren sei der Betreibergesellschaft Recht gegeben worden, der Bund habe sich aber nicht darauf eingelassen: "Dann haben die Vertreter des Bundes die Gespräche abgebrochen." Man hoffe aber "immer noch auf eine Lösung, da das aufwendige Schiedsverfahren für uns sehr positiv ausgegangen ist".

Wie sieht der Vergleich aus, den das Gericht jetzt vorschlägt?

Der Vorsitzende Richter Peter Bordt schlug am Freitag vor, dass statt fester Beträge prozentuale Anteile an den Einnahmen aus der Lkw-Maut an den Bund fließen. Die Finanzierungslücke der Betreibergesellschaft solle aus einer Finanzspritze gedeckt werden, zu der das Konsortium und der Bund je zur Hälfte beitragen sollten.

A1-Mobil-Geschäftsführer Schmitz beurteilte den Vergleichsvorschlag positiv, Vertreter des Bundes reagierten skeptisch. Das Gericht erwartet bis 24. August eine Entscheidung beider Seiten, ob sie den Vergleich akzeptieren.

Ob der Vergleichsvorschlag Fairness für die Betreibergesellschaft bedeute, könne er noch nicht beurteilen, sagte Schmitz. Dies müsse erst durchgerechnet werden.

Was geschieht im Fall einer Insolvenz?

Wenn das Konsortium zahlungsunfähig wird, könnte die Strecke künftig durch den Staat betrieben werden. Das Land Niedersachsen könnte sowohl die Verträge von A1 Mobil übernehmen als auch den Betrieb selbst wieder in die eigene Hand nehmen.

Wie sieht es bei anderen ÖPP-Projekten aus?

Anders als im Fall A1 Mobil zahlt sich die optimistische Kalkulation der Unternehmen bei anderen öffentlich-privaten Partnerschaften offenbar häufig aus: So wurde beim Bau des Warnow-Tunnels in Rostock der Vertrag nachträglich angepasst. Dadurch verlängerte sich die Vertragslaufzeit von 30 auf 50 Jahre. Auch die Mautgebühren wurden erhöht.

Für die öffentliche Hand fällt die Bilanz bisher dagegen weniger rosig aus. Der Bundesrechnungshof kam bereits 2014 nach der Prüfung von sieben ÖPP-Projekten zu dem Schluss, dass "wesentliche Ziele nicht erreicht wurden", darunter eine höhere Wirtschaftlichkeit.

Mitte 2017 schrieb der Bundesrechnungshof: Der ohnehin geringe Kostenvorteil von ÖPP-Kalkulationen basiere "zu einem großen Teil auf allgemeinen, nicht mit Erfahrungswerten unterlegten und damit nicht prüfbaren Annahmen". Die bisherigen Pilotprojekte für ÖPP seien im Schnitt rund ein Viertel teurer für den Staat, als wenn er die Straßen selbst gebaut hätte.

Auch der Europäische Rechnungshof stellte Anfang April 2018 fest, dass ÖPP nicht als "wirtschaftlich tragfähige Option zur Verwirklichung öffentlicher Infrastrukturvorhaben angesehen werden" können. Dazu hatte der Rechnungshof zwölf Projekte in vier EU-Staaten untersucht.

Wie sieht die Zukunft der ÖPP-Projekte aus?

Für ÖPP-Projekte gelten inzwischen andere Bedingungen als beim Abschluss mit A1 Mobil. Die verkehrsabhängige Vergütung über Mauteinnahmen, das sogenannte Ausbau- oder A-Modell, sei nur von 2005 bis 2009 vereinbart worden, teilte das Bundesverkehrsministerium mit. Später wurde es durch ein sogenanntes Verfügbarkeits- oder V-Modell ersetzt: Die Betreiber bekommen ihre Vergütung abhängig von der Verfügbarkeit der Strecke ausbezahlt. Wenn beispielsweise eine Spur gesperrt ist, mindert dies die Einnahmen.

Ab 2021 soll eine Infrastrukturgesellschaft die bisher bei den Ländern liegende Hoheit über Planung, Bau und Betrieb der Fernstraßen übernehmen. Das hatte die damalige Große Koalition im vergangenen Jahr beschlossen. Straßenbauprojekte in öffentlich-privater Partnerschaft sind dann weiter möglich, sollen aber begrenzt bleiben.

brt/dpa