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Stasi-Methoden beim Discounter Lidl ließ Mitarbeiter systematisch bespitzeln

Versteckte Kameras, seitenlange Protokolle: Lidl hat Mitarbeiter in vielen Filialen überwacht. Notiert wurden private Gespräche, Lebenssituation und Arbeitsweise der Angestellten. Dass die heimliche Bespitzelung illegal ist, schien den Lebensmittel-Discounter wenig zu stören.

Hamburg - Es sind mehrere hundert Seiten an internen Berichten, die dem Nachrichtenmagazin "Stern" vorliegen: Danach hat der Discounter Lidl seine Mitarbeiter im vorigen Jahr systematisch bespitzelt und die Verhaltensweisen der Beschäftigten während der Arbeit detailliert protokolliert. Die Überwachung sei über sogenannte Miniaturkameras in den Filialen erfolgt, die offiziell dem Schutz vor Ladendieben dienten, schreibt das Magazin.

In den Protokollen sei jeweils mit Tag und Uhrzeit notiert, wann und wie häufig Mitarbeiter auf die Toilette gingen, wer mit wem möglicherweise ein Liebesverhältnis habe, wer nach Ansicht der Überwacher unfähig sei oder einfach nur "introvertiert und naiv wirkt". Die meisten dieser Berichte stammten aus Lidl-Filialen in Niedersachsen. Dazu kämen einzelne Abhörberichte aus Rheinland-Pfalz, Berlin und Schleswig-Holstein, schreibt das Blatt.

So banal sich die Aufzeichnungen der Privatdetektive lesen, so tief greifen sie in die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter ein. So heißt es etwa: "Mittwoch, 14.05 Uhr: Frau M. möchte in ihrer Pause ein Telefonat mit ihrem Handy führen, es erfolgt die automatische Ansage, dass das Guthaben auf ihrem Prepaid-Handy nur noch 85 Cent beträgt. Schließlich erreicht sie telefonisch eine Freundin, mit welcher sie heute Abend gerne gemeinsam kochen würde, dieses setzt aber voraus, so Frau M., dass ihr Gehalt bereits gutgeschrieben wurde, da sie ansonsten kein Geld mehr hätte, um einzukaufen."

Bei einer anderen Kollegin vermerkt der Kontrolleur: "Mittwoch, 16.45 Uhr: Obwohl Frau N. bis jetzt im Bereich Non-Food/Aktionsware immer noch nicht allzu viel geschafft hat, macht sie pünktlich ihre Pause. Sie sitzt zusammen mit Frau L. im Pausenraum; die Kräfte unterhalten sich über Gehälter, Zuschläge und bezahlte Überstunden. Frau N. hofft ebenfalls, dass ihr Gehalt bereits heute gutgeschrieben wurde, da sie für heute Abend dringend Geld benötigt (Grund = ?)".

In vielen anderen Protokollen finden sich Anmerkungen über die private Lebenssituation ("Von einer Privatinsolvenz und der damit verbundenen 'Enthaltsamkeit' keine Spur"), das Äußere der Mitarbeiter ("Frau M. ist an beiden Unterarmen tätowiert") und ihr Privatleben ("Ihr Freundeskreis besteht größtenteils aus Drogenabhängigen"). Die Überwachungsprotokolle seien "in höchstem Maß skandalös", weil es nicht um Arbeits-, sondern um Verhaltenskontrolle geht, zitiert der "Stern" den Hamburger Arbeitsrechtler Klaus Müller-Knapp. "Das stellt einen klaren Verstoß gegen Artikel 2 Grundgesetz dar, der die freie Entfaltung der Persönlichkeit schützt."

Besonders krass auch ein Fall aus Tschechien: Dort sei einer Mitarbeiterin schlicht verboten worden, während der Arbeitszeit auf die Toilette zu gehen, schreibt der "Stern": "Ausnahme: Weibliche Mitarbeiter, die gerade ihre Tage haben, dürfen demnach auch zwischendurch auf Toilette. Für dieses Privileg allerdings sollen sie - weithin sichtbar - ein Stirnband tragen." Lidl habe zwar erklärt, dass "der zitierte Vorfall uns in der Realität nicht bekannt ist". Dennoch habe der Konzern weder der Gründerin einer Bürgerrechtsinitiative noch der "Lebensmittelzeitung" juristisch untersagt, den entsprechenden Vorfall weiter zu verbreiten.

Tatsächlich bestätigte Lidl auch die Existenz der Protokolle. Dem Konzern zufolge dienten die Berichte allerdings "nicht der Mitarbeiterüberwachung, sondern der Feststellung eventuellen Fehlverhaltens". Von den detaillierten Protokollen aus der Privatsphäre der Beschäftigten habe sich das Unternehmen distanziert und erklärt, die "Hinweise und Beobachtungen entsprechen weder im Umgangston noch in der Diktion unserem Verständnis vom Umgang miteinander".

Kritik kommt allerdings auch vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Peter Schaar. Er sagte dem Magazin, dass das Protokollieren eines Toilettenbesuchs und ähnliches einen schweren Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz darstelle: "Ich gehe davon aus, dass, wenn solche Vorgänge bekannt werden, die zuständige Datenschutzbehörde tätig wird und Ermittlungen einleitet", sagte er.

sam/ddp