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Open-Access-Bewegung Journale akzeptieren anstandslos gefälschte Forschungsergebnisse

Der Begriff "Open Access" steht für freien Zugang zu Studienergebnissen und die Demokratisierung der Wissenschaft. Viele derartiger Zeitschriften verzichten aber offenbar auf die Kontrolle der eingereichten Artikel. Eine frei erfundene Studie wäre zigfach abgedruckt worden.
Große Verlage vs. kostenfreie Papers: "Open Access ist schwer beschädigt"

Große Verlage vs. kostenfreie Papers: "Open Access ist schwer beschädigt"

Mehr als 300 Studien hat John Bohannon im vergangenen Jahr bei wissenschaftlichen Verlagen eingereicht, mehr als die Hälfte hätte seine Arbeit auch abdruckt. Letztlich erschienen ist aber keine einzige: Der Wissenschaftsjournalist hat sich die Studien ausgedacht und absichtlich mit Fehlern versehen. Er wollte zeigen, dass bei vielen Open-Access-Zeitschriften eingereichte Arbeiten nicht richtig geprüft werden.

Und er hatte Erfolg: Zwar wurden 98 der gefälschten Studien abgelehnt, 157 Journale aber akzeptierten das Fake-Papier. Seine Ergebnisse präsentiert Bohannon nun im renommierten Fachmagazin "Science" . Dessen Inhalt ist kostenpflichtig, der Verlag steht der Open-Access-Bewegung kritisch gegenüber und dürfte von diesem Ergebnis finanziell profitieren. Das interaktive Feature dürfte die Diskussion um die Vor- und Nachteile der Open-Access-Bewegung wieder befeuern.

Open Access meint den freien, unentgeltlichen Zugang zu digitalen wissenschaftlichen Inhalten und Informationen, also auch zu wissenschaftlicher Literatur und Daten, und die unentgeltliche Nutzung unter korrekter Angabe der Urheberschaft. Mehr als 10.000 Open-Access-Journale soll es mittlerweile geben.

Die Journals, die die Fälschung nicht bemerkt haben, tragen durchaus plausibel klingende Namen wie "American Journal of Medical and Dental Sciences" oder "European Journal of Chemistry", doch sie sitzen in Indien oder Nigeria, wer sie leitet, ist unklar. Sie treten seriös auf, doch es sind betrügerische Publikationen, die auf die Gebühr aus sind, die Wissenschaftler bei Veröffentlichung ihrer Arbeiten zahlen müssen.

Krebsrettende Wirkung erfunden, Ortsangaben ausgedacht

Jeffrey Beall beobachtet die Entwicklung seit Jahren. Der Bibliothekar an der University of Colorado in Denver führt auf seiner Website eine wachsende Liste mit solchen betrügerischen Journals. Das Gegenteil versucht das Directory of Open Access Journals (DOAJ),  das nur seriöse Fachblätter aufnehmen will. Bohannon wählte für sein Experiment 304 Journals aus, 121 stammten aus der Liste von Beall , 167 aus dem DOAJ. 15 waren bei beiden vertreten. Dann schrieb der promovierte Molekularbiologe ein Paper über die angeblich krebshemmende Wirkung von Stoffen, die aus Flechten extrahiert wurden.

Bohannon baute bewusst offensichtliche Fehler ein. In einem Experiment beschreibt er, dass der Flechtenextrakt zusammen mit Röntgenstrahlung Zellwachstum hemmt. Doch die Zellen, die als Vergleich dienen sollen, wurden gar nicht bestrahlt.

Da Bohannon vermutete, dass hinter einigen der Journals dieselben Verantwortlichen stecken, fertigte er verschiedene Versionen der Studie an. Durch ein Computerprogramm ließ er den Namen der extrahierten Substanz, der Flechtenart und der getesteten Zelllinie austauschen. Ähnlich ging der Journalist auch bei den ausgedachten Autorennamen vor. Er entschied sich für fiktive Autoren aus Afrika, weil es bei ihnen nach seinen Angaben am wenigsten auffallen würde, wenn sie nicht im Internet zu finden sind.

Gefälschte Studien wurden durchgewunken

Viele der gesammelten Daten, auch Original-E-Mails mit Redakteuren, hat Bohannon zur Verfügung gestellt. "Ich habe auf Open Access bestanden", sagt der Journalist. Wenn die Antwort des Journals positiv ausfiel, gab es selten eine echte wissenschaftliche Begutachtung. Oft wurden die Studien einfach durchgereicht, am ehesten sollte bei der Formatierung nachgebessert werden. Nachdem Bohannon eine Zusage bekam und um die Überweisung der Gebühr gebeten wurde, zog er das Paper zurück mit der Begründung, er habe Fehler darin entdeckt.

"Die Ergebnisse bestätigen, was ich schon seit Jahren beobachte", sagt Bibliothekar Beall. "Open Access ist schwer beschädigt." Er sieht das Problem darin, dass diese Publikationsform den Journalen einen Anreiz gebe, so viel wie möglich zu publizieren. Solange es diese Publikationsform gibt, bleibt das Problem bestehen, glaubt Beall. Den renommierten Verlagen dürfte die Studie Bohannons viel Material für Kritik liefern - sie sind qua Geschäftsmodell automatisch gegen die kostenfreie Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten per Open Access.

Der Genetikprofessor Michael Eisen sieht dagegen das Problem nicht nur bei Open Access. "Viele konventionelle Journals wollen auch so viel wie möglich publizieren, um Bibliotheken zu einem Abonnement zu bewegen", sagt der Forscher der University of California in Berkeley.

Eisen ist ein prominenter Fürsprecher von Open Access, vor ein paar Tagen machte er von sich reden, als er Studien über die Nasa-Marsmission auf seiner Homepage veröffentlichte . Im Journal "Science" waren sie hinter einer Bezahlschranke versteckt, doch nach Eisens Argumentation sollten sie allen zugänglich sein.

Schlechte Veröffentlichungen mit toxischen Effekt

"Das wahre Problem ist, dass wir es den Journals überlassen, zwischen guten und schlechten Studien zu unterscheiden", sagt Eisen. Der Mitgründer des Open-Access-Verlags "Public Library of Science" sieht eine Lösung darin, Ergebnisse frei zu veröffentlichen und erst danach von der Forschergemeinde begutachten zu lassen.

Schlechte Veröffentlichungen hätten einen toxischen Effekt, sagt dagegen Bernd Pulverer. "Es wird heutzutage so viel publiziert, dass es für einen einzelnen Forscher äußerst schwierig geworden ist, relevante Studien zu bewerten", sagt der Leiter der Abteilung Scientific Publications der European Molecular Biology Organisation (EMBO). Er habe sich von Bohannons Recherche einen Vergleich mit konventionellen Journals gewünscht, sei aber besorgt über die hohe Fehlerquote von Journals, die bei DOAJ geführt werden.

Dabei ist DOAJ ein Gütesiegel in der Branche. Die DFG beispielsweise verweist in einem Merkblatt bei der Frage , bei welchen Journals die Publikationskosten erstattet werden, auf die Datenbank. Die Liste sei nicht bindend, sagt Christoph Kümmel von der Abteilung Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme bei der DFG. Vielmehr fordere die Forschungsgesellschaft, dass bei den Journalen "anerkannte, strenge Qualitätssicherungsverfahren" herrschten. Die Verantwortung liege letztlich bei den Universitäten. Sie müssen also dafür sorgen, dass öffentliche Gelder nicht an Betrüger fließen.