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Operationsfolgen Hirnschäden verraten Sitz der Spiritualität

Ist Glauben Glaubenssache oder etwas, das im Gehirn gesteuert wird? Seit langem suchen Neurobiologen nach dem physischen Prinzip von Religiosität. Jetzt haben italienische Forscher zumindest für spirituelle Empfindungen einen speziellen Ort in der grauen Masse ausfindig gemacht.
Sadhu beim Yoga: Meister der Meditation

Sadhu beim Yoga: Meister der Meditation

Foto: JITENDRA PRAKASH/ REUTERS

Andrew Newberg hat mit seinen Büchern schon häufig von sich reden gemacht. Der amerikanische Neurobiologe und Radiologe hält jede Erfahrung - und dazu zählt er auch jede religiöse oder spirituelle Erfahrung - für eine Konstruktion des Gehirns.

Für Newberg sitzt Gott im Oberstübchen, genauer gesagt im oberen Scheitellappen. Seit über einer Dekade untersucht der Autor von vier populärwissenschaftlichen Büchern, darunter das im vergangenen Jahr erschienene Werk "How God changes your brain" ("Wie Gott dein Gehirn verändert"), welche Bereiche im Gehirn die menschliche Spiritualität verarbeiten.

So fand Newberg zum Beispiel heraus, dass beim Beten die vorderen Stirnlappen die Führung übernehmen. Diese Bereiche steuern auch die Konzentrationsfähigkeit des Menschen. Ist der dagegen sehr tief in ein Gebet versunken oder gibt er sich der Meditation hin, drosseln manche Gehirnareale ihre Aktivität stark, fand der Hirnforscher heraus. Sind die hinteren Scheitellappen besonders inaktiv, so die Ergebnisse von Newberg, kann es zur Selbsttranszendenz kommen: dem Gefühl, das eigene Ich zu verlassen, die irdische Verankerung zu verlieren und sich mehr als Teil des gesamten Universums zu verstehen.

Jetzt haben italienische Wissenschaftler neue Kenntnisse über die komplexen Vorgänge von Spiritualität im Gehirn gewonnen. Und sie scheinen Newbergs Annahmen zu bestätigen. Doch die Forscher um Cosimo Urgesi und Franco Fabbro von der Università di Udine verfolgten einen anderen Ansatz als Newberg: Anstatt die Hirnaktivität meditierender Probanden mit Hilfe der funktionalen Kernspintomografie (fMRT) zu beobachten, untersuchten die Forscher das Gefühl der Selbsttranszendenz bei Krebskranken.

Mehr Spiritualität nach der OP

Die insgesamt 68 Patienten hatten alle bestimmte Tumoren, sogenannte Gliome oder Meningeome, im Gehirn, berichten die Urgesi und Kollegen im Fachmagazin "Neuron" . Bei ihnen untersuchten die Wissenschaftler das Gefühl der Selbsttranszendenz - und zwar sowohl vor als auch nach der Hirnoperation, bei der die Tumore entfernt wurden.

Wie stark die Fähigkeit zur Selbsttranszendenz war, ermittelten die Forscher anhand eines standardisierten Tests. Gleichzeitig analysierten die Wissenschaftler mit bildgebenden Verfahren, welche Hirnregionen durch die Operation genau geschädigt worden waren. "Dieses Vorgehen erlaubt uns, die durch bestimmte Hirnverletzungen verursachten Veränderungen der Selbsttranszendenz und den Anteil der Stirn-, Schläfen- und Scheitelareale zu erforschen", erklärt Urgesi.

Die Forscher stellten fest: Vor allem eine Verletzung der Großhirnrinde im hinteren Scheitellappen brachte die Patienten dazu, sich in einem transzendenteren Umfeld zu sehen. Demnach bestätigen sie Newbergs Erkenntnisse, dass die hinteren Scheitellappen die Spiritualität eines Menschen stark beeinflussen kann.

cib/apn

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