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Wölfe in Deutschland: Jäger und Gejagte

Foto: imago/alimdi

Streit um Wölfe in Deutschland Auf der Abschussliste

40 Schafe hat ein Wolf kürzlich getötet. Wegen solcher Vorfälle fordern Landwirte und Jäger, die Raubtiere zum Abschuss freizugeben. Realistisch ist das nicht. Die Fakten zum Wolf in Deutschland.

Der Wolf ist zurück in Deutschland. Tierschützer jubeln, Landwirte fürchten um ihr Vieh. Anfang Mai hatte ein Exemplar im Schwarzwald gleich 40 Schafe auf einmal gerissen. Jäger und manche Landwirte fordern auch wegen solcher Vorfälle, die Tiere zum Abschuss freizugeben. Tierschützer sind dagegen.

Wann dürfen Wölfe in Deutschland erschossen werden? Und wie gehen andere EU-Staaten mit der Rückkehr der Raubtiere um? Die wichtigsten Fakten zum Zusammenleben von Mensch und Wolf.

Wie viele Wölfe gibt es und wo?

Sicher nachgewiesen sind in Deutschland laut der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW)  60 Rudel, 16 Wolfspaare und 2 Einzeltiere. Fachleute gehen davon aus, dass hierzulande somit 150 bis 160 erwachsene Wölfe leben. Im Monitoringjahr 2016/2017 kamen 218 Welpen hinzu. Zählt man sie mit, gibt es insgesamt ungefähr 370 Wölfe in Deutschland.

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Die meisten Rudel sind in Brandenburg (22) und Sachsen (14) zu finden. Aber auch in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen gibt es 11 beziehungsweise 10 Rudel. Außerdem sind die Raubtiere in kleiner Anzahl in Mecklenburg-Vorpommern und Bayern dokumentiert. In Thüringen ist ein Einzeltier bestätigt. Auf Wanderungen durchstreifen Wölfe auch andere Bundesländer.

Wie kamen die Wölfe nach Deutschland?

Deutschland gehörte ursprünglich zu ihrem Verbreitungsgebiet. Allerdings wurden die Wölfe vor etwa 150 Jahren durch intensive Jagd ausgerottet. Zurück kamen die Tiere im Jahr 2000. Damals wanderte ein Paar aus Polen in die Lausitz ein und bekam Welpen - das erste deutsche Wolfsrudel im 21. Jahrhundert.

Was fressen Wölfe?

Ein Wolfsrudel lebt auf einem Territorium von etwa 200 Quadratkilometern und jagt dort vor allem Rehe. Außerdem reißen Wölfe unter anderem Wildschweine und Rothirsche. Ein Tier braucht laut Naturschutzbund Deutschland (Nabu) im Schnitt zwischen zwei und fünf Kilogramm Fleisch am Tag, muss aber nicht täglich fressen. Derzeit wird der Wildbestand in Deutschland durch die Wölfe nicht gefährdet.

Wenn sich die Möglichkeit bietet, erlegen Wölfe auch Nutztiere - vor allem Schafe und Ziegen. Zwar machen diese insgesamt nur einen Bruchteil der Ernährung aus (siehe Grafik oben). Trotzdem gab es 2016 in Deutschland knapp 300 Übergriffe  . Die Raubtiere töteten oder verletzten dabei mehr als Tausend Nutztiere. 2014 lag die Zahl noch unter 400, 2015 etwas über 700. Landwirte erhalten eine Entschädigung, wenn ein Wolf ihr Vieh trotz Schutzmaßnahmen getötet hat.

Wie gefährlich sind Wölfe für den Menschen?

Wölfe sind grundsätzlich in der Lage, Menschen zu töten. Sie werden auch immer wieder als Killer verdächtigt - so auch 2017 im Fall einer tagelang vermissten britischen Touristin. Das Risiko, tatsächlich von einem Wolf angefallen zu werden, ist jedoch extrem gering. In Europa gab es seit 40 Jahren keinen tödlichen Wolfsangriff auf Menschen , sieht man von einer Attacke im Gehege eines schwedischen Zoos ab, bei dem eine Wärterin starb. Seit wieder Wölfe in Deutschland leben, ist kein Zwischenfall dokumentiert, in dem sich eines der Tiere einem Menschen gegenüber aggressiv gezeigt hat.

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Wölfe in Deutschland: Jäger und Gejagte

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Wölfe sind von Natur aus scheu. Wer dennoch einem Exemplar begegnet, sollte Abstand halten und dem Wolf die Möglichkeit geben, sich zurückzuziehen. Auch lautes Rufen oder Klatschen kann ihn vertreiben. Niemals sollte man Wölfe dagegen mit Futter anlocken.

Video: "Immer Angst, dass hier ein gerissenes Kalb liegt"

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Wie können Landwirte ihr Vieh schützen?

Einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht, allerdings lässt sich das Risiko für Übergriffe durch Herdenschutzhunde und elektrische Zäune verringern. In Ländern, in denen der Wolf nie verschwunden war, gibt es mitunter sogenannte Nachtpferchen, in denen die Tiere bei Dunkelheit sicher stehen können, teils werden sie von Hirten bewacht. Welche Methode am zuverlässigsten schützt, hängt unter anderem von der Weide- und Herdengröße und den landschaftlichen Gegebenheiten ab.

In Deutschland besteht der empfohlene Mindestschutz in den meisten Bundesländern aus einem 90 Zentimeter hohen Elektrozaun mit 2000 Volt Spannung. Aufgrund internationaler Erfahrungen empfiehlt die DBBW allerdings eine Höhe von 1,20 Metern. Auch eine höhere Spannung bis 4000 Volt ist möglich. Weil Wölfe dazu neigen, unter Zäunen hindurch zu schlüpfen, sollten diese nah am Boden verlaufen.

Warum töten Wölfe manchmal mehr Nutztiere als sie fressen können?

Ende April wurde bekannt, dass ein Wolf im Schwarzwald 40 Schafe gerissen hat. Warum gleich so viele? Ganz einfach: Weil er es konnte. Die Gelegenheit, mehrere Beutetiere auf einmal zu erlegen, bietet sich Wölfen fast nur auf eingezäunten Weiden, wo das Vieh nicht flüchten kann. Fachleute gehen davon aus, dass das Überangebot die Tiere in einen Blutrausch versetzt. Ihr Jagdtrieb wird permanent stimuliert.

Aus evolutionärer Sicht ist das sinnvoll, denn Wölfe fressen auch Aas und können sich so einen Nahrungsvorrat anlegen. Allerdings schaffen Landwirte ihr totes Vieh in der Regel weg, bevor der Wolf zurückkehrt.

Wann dürfen Wölfe erschossen werden?

In Deutschland stehen Wölfe auf der roten Liste und gelten als vom Aussterben bedroht. Sie sind streng geschützt und dürfen weder getötet noch eingefangen werden. In Ausnahmefällen können die Umweltministerien der Bundesländer ein Tier allerdings zum Abschuss freigeben.

Ein Beispiel dafür ist Kurti, der 2016 als Problemwolf bekannt wurde, weil er immer wieder Menschen zu nahe kam. Als Ausnahmefall gilt auch, wenn Wölfe sich aggressiv gegenüber Menschen verhalten oder sich bei der Jagd auf Nutztiere spezialisieren, die auf Weiden mit Wolfschutzzäunen stehen.

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Raubtier: Die Wölfe sind zurück

Foto: Bundesforstbetrieb/BImA/Jüttner/ picture alliance / dpa

Laut DBBW sollen auffällige Tiere zunächst mit Sendern versehen und überwacht werden. Wenn sie sich weiterhin Menschen oder Nutztieren nähern, kann man versuchen, sie beispielsweise mit Gummigeschossen zu vergrämen. Erst wenn diese Maßnahmen nicht wirken oder Gefahr im Verzug ist, dürfen Wölfe erschossen werden. Laut DBBW wurden seit 2003 bislang drei Tiere im Rahmen des sogenannten Wolfmanagements getötet (siehe Grafik am Textende).

Wie gehen andere EU-Staaten mit Wölfen um?

Strenger Wolfsschutz gilt für die gesamte EU. Auch die Nicht-EU-Staaten Schweiz und Norwegen haben sich dazu verpflichtet. Allerdings dürfen einzelne Länder Ausnahmeregelungen treffen, wenn diese den Wolfbestand nicht gefährden. Wann das der Fall ist, interpretieren sie sehr unterschiedlich.

Ein paar Beispiele: Norwegen hat zuletzt 42 Wölfe zum Abschuss freigegeben, Schweden vergab 22 Jagdlizenzen. In beiden Staaten leben deutlich weniger Wölfe als in Deutschland (siehe Grafik). Die Praxis ist hoch umstritten. Die EU-Kommission hat Schweden mehrfach dazu aufgefordert , die Jagd zu unterlassen. In Norwegen haben Umweltschützer sie im November 2017 mithilfe einer Klage unterbrochen.

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Auch das französische Umweltministerium hält es für vertretbar, jährlich etwa 10 Prozent der Wolfspopulation erschießen zu lassen. Es hat angekündigt, 2018 40 Wölfe zum Abschuss freizugeben. In Frankreich gibt es ungefähr 52 Rudel, also eine ähnlich große Population wie in Deutschland.

Unter welchen Umständen könnten Wölfe in Deutschland gejagt werden?

Die Hürden sind hoch. Bei einer Anhörung im Bundestags-Umweltausschuss im April 2018 sprach Wolfgang Köck vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung davon, dass es mindestens tausend erwachsene Wölfe geben müsse. Vorher stelle sich die Jagd-Frage nicht.

Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) will sich dagegen gar nicht erst auf eine Zahl festlegen. Die Anzahl der Wölfe allein sei nicht entscheidend, teilte die Behörde auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE mit. Auch das Verbreitungsgebiet, der Zustand des Lebensraums und die Zukunftsaussichten müssten berücksichtigt werden. Alle vier Parameter gelten in Deutschland derzeit als schlecht beziehungsweise unzureichend.

Was ist die häufigste Todesursache von Wölfen?

Die größte Gefahr für den Wolf in Deutschland geht vom Verkehr aus. Seit 2003 (für die Jahre 2000 bis 2002 hat die DBBW keine Daten) wurden laut DBBW 251 tote Wölfe in Deutschland gefunden. 180 davon, also mehr als zwei Drittel, starben bei Verkehrsunfällen.

Die zweithäufigste Todesursache sind illegale Tötungen. 29 Wölfe haben Menschen in den vergangenen 15 Jahren laut Statistik unerlaubt erlegt. Dagegen wurden offiziell drei zum Abschuss freigegeben, etwa weil sie sich zuvor vermehrt Menschen genähert hatten. 39 Wölfe starben eines natürlichen Todes oder die Ursache blieb unklar.

Hinweis: Wir haben diesen Text ergänzt um Verweise auf einen Todesfall in einem schwedischen Tierpark nach einer Wolfsattacke und auf einen tödlichen Angriff auf eine britische Touristin in Griechenland, für den womöglich auch Hunde verantwortlich gewesen sein könnten.