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Geigen-Mythos Blindtest entzaubert die Stradivari

Die berühmtesten Geigen sind Millionen wert und Jahrhunderte alt. Was ihnen ihren einzigartigen Klang verleiht, haben zahlreiche Forscher untersucht. Nun bringt eine Studie Ernüchterung: Die alten Violinen klingen demnach gar nicht besser als neue Instrumente.
Stradivari im Museum (Archivbild): Viele wollten das Geheimnis ihres Klangs ergründen

Stradivari im Museum (Archivbild): Viele wollten das Geheimnis ihres Klangs ergründen

Foto: PATRICK KOVARIK/ AFP

Hamburg - Sie faszinieren nicht nur Musiker und Musikliebhaber, sondern auch Forscher: die Violinen, die Antonio Stradivari und Guarneri del Gesù in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bauten. Verschiedene Experimente sollten ergründen, woher ihr besonderer Klang stammt. Der Lack, die chemische Vorbehandlung des Holzes oder auch die kleine Eiszeit, die die Bäume beeinflusste, wurden schon zur Erklärung herangezogen.

Doch nun haben französische und US-amerikanische Forscher die Grundidee in Frage gestellt, dass die alten italienischen Geigen modernen Exemplaren überlegen sind. Laut ihrem Test mit 21 Musikern ist dies tatsächlich nicht der Fall, berichtet das Team im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" .

Die Wissenschaftler um Claudia Fritz von der Universität Paris baten während des internationalen Geigenwettbewerbs in Indianapolis ihre Probanden in ein abgedunkeltes Hotelzimmer. Zusätzlich setzten die Musiker eine dunkle Schweißbrille auf, damit sie die Geigen nicht am Aussehen erkennen konnten. Etwas Parfum unter der Kinnstütze verdeckte den Holzgeruch der Instrumente.

Probanden mit Stradivari-Erfahrung

Bei den Testspielern handelte es sich größtenteils um professionelle Musiker, der jüngste Proband war 20, der älteste 65 Jahre alt. Die Teilnehmer spielten seit 15 bis 61 Jahren Violine, ihre eigenen Instrumente hatten einen Wert von 1400 bis 7,7 Millionen Euro - denn unter den Teilnehmern fanden sich auch Musiker mit Stradivari beziehungsweise Guarneri-Violine.

Für den Test hatten die Forscher sechs Geigen bereitgestellt. Drei waren alte italienische Violinen - eine von Guarneri del Gesù, zwei von Antonio Stradivari. Die drei neuen Modelle waren wenige Tage bis Jahre alt. Die Wissenschaftler hatten vor dem Experiment aus einer größeren Sammlung neuer Geigen die drei ausgewählt, die ihrer Meinung nach am eindrucksvollsten klangen und sich dabei klar voneinander unterschieden.

Die drei alten Geigen sind nach Angaben der Forscher zusammen um die zehn Millionen Dollar wert - und damit etwa hundertmal so viel wie die drei neuen Instrumente.

Blindtest: Alt gegen Neu

In einem ersten Experiment erhielten die Musiker je eine neue und eine alte Geige - was die Spieler aber nicht wussten. Auf jedem Instrument durften sie eine Minute spielen. Danach sollten sie sagen, welches ihnen besser gefällt. Die Geiger testeten jedes mögliche Paar aus neu und alt, eines sogar doppelt. Das Ergebnis: Insgesamt entschieden sich die Musiker etwas öfter für eine neue Geige. Dies lag vor allem daran, dass ein Modell besonders selten favorisiert wurde - eine Stradivari, die um das Jahr 1700 gebaut wurde.

Doch war das Urteil der Geiger überhaupt konstant? Je ein Violinen-Paar erhielt jeder Musiker ein zweites Mal während dieses Tests, ohne dies zu wissen. Elf Probanden entschieden für dieselbe Geige wie beim ersten Mal, zehn aber für die andere. Ein Zeichen dafür, dass die Instrumente sich von der Qualität her so wenig unterscheiden, dass die Wahl zufällig getroffen wird - oder dass die Testbedingungen vielleicht nicht optimal waren, merken die Forscher an.

Die Musiker bekamen im zweiten Testteil eine Chance, sich länger mit den sechs Instrumenten auseinanderzusetzen. Nun konnten sie binnen 20 Minuten auf jeder der Geigen so lange spielen, wie sie wollten und auch nach Wahl zwischen den Violinen wechseln. Anschließend sollten die Musiker sagen, welches Instrument sie am liebsten mit nach Hause nehmen würden. Auch sollten sie das beste und das schlechteste Modell in vier Kategorien nennen, die Geiger zur Bewertung von Instrumenten nutzen - Modulationsfähigkeit der Klangfarbe, Ansprache, Spielbarkeit und Tragfähigkeit.

Wieder zeigten sich keine klaren Tendenzen. Jedes Instrument wurde von mindestens einem Teilnehmer als Favorit gewählt. Und bis auf eines landete jedes in den vier Kategorien sowohl vorn als auch hinten. Nur eine der neuen Geigen fand überdurchschnittlich viel Zuspruch. Und die Stradivari, die schon im ersten Durchlauf am wenigsten beliebt war, lag erneut eher hinten.

Am Klang erkannt? Fehlanzeige!

Ob ihr Favorit eine neue Geige war oder ein altes italienisches Modell: Da konnten die Musiker offensichtlich nur raten. Sieben sagten gleich, sie hätten keine Ahnung, sieben rieten - und lagen daneben. Nur drei hatten den richtigen Riecher. Die restlichen vier Teilnehmer haben nicht geantwortet.

Dass die Violinen der italienischen Meister moderne Modelle klar übertrumpfen, lässt sich nach dieser Studie nur noch schwer behaupten. Der Blindtest legt vielmehr nahe, dass ein psychologischer Effekt den altehrwürdigen Geigen zu bleibendem Ruhm verhilft: Wer eine Geige spielt oder hört, die Millionen wert und von einer Aura der Überlegenheit umgeben ist, den begeistert schon dieses besondere Erlebnis so, dass der Klang überirdisch schön wirken muss. So dürfte auch der niederschmetternde Blindtest den Mythos der alten Geigen kaum beenden.

wbr