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Interview mit Friederike Feldmann & Christian Schwarzwald

2018, also erst vor einem Jahr, lernten sich Friederike Feldmann und Christian Schwarzwald kennen – damals holte Christian Friederike für eine Gastvorlesung an die Akademie der bildenden Künste Wien, wo auch er unterrichtet. Im Gespräch mit- und übereinander wurde ihnen zur eigenen Überraschung bewusst, wie ähnlich sie künstlerische Themen behandeln.

Christian hat Malerei studiert und ist heute in der Zeichnung zu Hause; er schafft aus grafischen Formen dreidimensionale Strukturen. Friederike hat über Bühnenbild und visuelle Kommunikation ihre ganz eigene Nische über die Kernaspekte der Malerei gefunden – unter anderem imitieren ihre großformatigen Werke Handschriften. Beide interessieren sich sehr präsent für die räumliche Wirkung von Kunst. Und vielleicht ist es gerade der antiparallele Werdegang der beiden, der immer wieder für Überschneidungen sorgt und ein besonderes Verständnis für die Disziplin der*des anderen bedingt. Das wird auch in ihrer gemeinsamen Ausstellung Wellen deutlich, die sich über maritime Motive hinaus mit dem titelgebenden Phänomen beschäftigt – als eine Art impulsgebende, fortlaufende Energiequelle.

Christian ist für seine Professur seit eineinhalb Jahren hauptsächlich in Wien anzutreffen, Friederike – ihrerseits Professorin für Malerei an der Kunsthochschule Weißensee – meist in ihrem Berliner Studio im Stadtteil Neukölln. An ihrer Ausstellung arbeiteten die beiden also hauptsächlich mit geografischer Distanz – Fotos und Entwürfe wurden vorab per Mail ausgetauscht. Auch wir erreichten Friederike und Christian unabhängig voneinander, um vorab telefonisch über Wellen zu sprechen.

 

Interview: Hanna Komornitzyk

 
 

 
 

SMAC: Während Friederike Kernaspekte der Malerei wie Gestik, Textur oder Repräsentation behandelt, stehen in Christians Arbeiten grafische Motive im Vordergrund – und doch habt ihr eine ganz ähnliche Herangehensweise an die Kunst. Wo seht ihr Verknüpfungspunkte?

Christian Schwarzwald: Das Interessante an der Verbindung zwischen Friederike und mir ist, dass – obwohl wir uns noch gar nicht so lange kennen – wir im Dialog über unsere Arbeit immer wieder auf Parallelen stoßen. Es mag auch mit der Zeit und dem gesellschaftlichen Kontext zusammenhängen, aber wir scheinen uns schon immer ganz unabhängig voneinander mit ähnlichen Themen befasst haben.

Ich habe Malerei studiert, dann aber schnell gemerkt, dass ich eher grafisch arbeiten möchte. Ich verwende Linien, aus denen in Zusammenhang mit Licht und Schatten Röhrenstrukturen entstehen – um es einfach zu formulieren, ich versuche Linien zu schaffen, die greifbar sind. Das verdeutlicht meine schon etwas ältere Arbeit Spiel aus dem Jahr 2008: Einerseits geht es natürlich um das Spiel – sich ausprobieren, Dinge versuchen, das Leben imitieren. Andererseits werden hier aus Linien erst Röhren und schließlich zu Klettergerüsten oder Schaukeln. Man soll die Linie wortwörtlich greifen und so ins Bild klettern können. Mich interessieren vor allem diese Schnittstellen zwischen Bild und Raum – ich verstehe Kunst als eine Membran, in der digitale und analoge Welt aufeinander treffen. Körperlichkeit spielt dabei eine große Rolle: für mich ist wichtig, dass Kunst auch physisch Raum einnimmt – man muss in ein Bild hineingehen können, es muss eine körperliche Begegnung stattfinden. Ich sehe vor allem hier Parallelen zu der Arbeit von Friederike.

 Friederike Feldmann: Es gibt in der Wandmalerei zwei Möglichkeiten: man kann eine Wand entweder flächig bestätigen oder zusammen mit der Wand Räumlichkeit erzeugen. Ich habe an der UdK Bühnenbild studiert und seit jeher eine Affinität zum Theater – das Interesse für Inszenierungen und Raum rührt wohl daher. Das Verrückte ist, dass Christian und ich dieses Thema nie konkret angesprochen haben. Als wir dann anlässlich eines Vortrags in Wien ein gemeinsames Interview gaben, ist uns ganz plötzlich aufgefallen, wie sehr wir uns in dieser Hinsicht ähneln.

 

 
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Ich zeichne gerne – das ist die Basis von allem
 

Außerdem befasst ihr euch beide mit dem Zusammenhang von Handschrift und Autorenschaft. Friederike, du machst deine eigene Handschrift zum Thema deiner Bilder, indem du sie so verzerrst, dass sie unlesbar wird. Welche Bedeutung hat für dich Handschrift im gesellschaftlichen Kontext?

FF: Bereits vor dem Thema Handschrift habe ich mich mit Autorenschaft beschäftigt – meine Arbeit inline von 2009 ahmt beispielsweise Zeichenbewegungen nach. Bereits beim Zeichnen einer Linie wird eine sichtbare Entscheidung getroffen: es wird eine Bewegung erzeugt und so entsteht letztendlich ein Bild – der Zeichnenakt selbst sagt eine Menge aus und genau das versuche ich bei meinen Arbeiten deutlich zu machen.The stamps form the centre of the exhibition — can you share an overview of the other elements, and how they fit together?

Das erinnert mich ein bisschen an die Arbeiten von Roy Lichtenstein aus den 1960ern, in denen er Pinselstriche malerisch festgehalten hat.

FF: Das Beispiel gefällt mir gut, denn das, was Lichtenstein macht, ist ganz ähnlich – er rückt den Pinselstrich selbst in den Vordergrund. Ich mache Bilder von Schrift, in denen die Schrift nicht das tut, was sie normalerweise tut. Sie ist kein Mittel zum Zweck, sondern wird an sich vorgeführt. Autorenschaft liegt in der Schreibbewegung selbst. Interessanterweise fällt das charakteristisch eigene an der Handschrift oft mit dem zusammen, was man ausdrücken will.

Christian, du hast gesagt, dass man erst über das Zeichnen die Welt begreift.

CS: Ja, das beginnt schon in der Schule: man bekommt gesagt, wie man beispielsweise eine Blume zeichnet. Man lernt durch das Zeichnen nicht einfach wie sich etwas darstellt, sondern beim Zeichnen werden Abbilden und Verstehen der Welt eins. Das ist für mich zentral für die Zeichnung und das Arbeiten mit Bildern: Wir alle lernen die Welt begreifen und verstehen, indem wir ausprobieren und zeichnen.

FF: Wenn uns jemand auf der Straße nach dem Weg fragt, dann versuchen wir es meist erst gar nicht mit einer Erklärung, sondern machen oft spontan eine Skizze. Zeichnen ist eben eine ganz schnelle und direkte Art, unser Denken zu veranschaulichen.

 
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Ich bin keine Physikerin, aber Energie und Bewegungen finden in Wellen statt
 

Christian, du beschreibst dich gleichzeitig auch als einen analytisch denkenden Mensch. Wie sieht dein Arbeitsprozess aus? Gibt es da zuerst ein Thema, das dich interessiert und dass du dann zeichnerisch umsetzen möchtest oder ergibt sich die Thematik über das Zeichnen selbst?

CS: Das ist ganz unterschiedlich. Ich zeichne gerne – das ist die Basis von allem – und habe irgendwann begriffen, dass dies der Weg für mich ist, mit der Welt in Kontakt zu treten. Ich mache ständig Skizzen und Notizen. Es geht ja bei der Kunst vor allem um das selber Schauen und Machen. Die Formulierung analytisch bezieht sich vor allem darauf, dass ich meine Arbeit in gewisser Weise als eine Art Übersetzungsprozess verstehe: wie kann ich das, was ich sehe, grafisch umsetzen?

Genau das versuche ich auch an meine Student*innen weiterzugeben. Mir ist wichtig, dass eine Begegnung auf Augenhöhe stattfindet, ein Treffen unter Künstler*innen. Kunst ist ein Werkzeug, um genau hinzuschauen – eine Praxis, bei der man lernt, für sich selbst zu denken. Am Ende muss man über sich hinaus und immer einen Schritt zu weit gehen – der Ausgang sollte in der Kunst offen sein.

Das passt gut zum Titel eurer Ausstellung: Wellen sind ja auch eine offene Form, die, sich immer weiter fortsetzt.

CS: Den Titel hat Friederike vorgeschlagen und ich fand ihn sofort sehr passend. Mit Wellen verbindet man immer eine Art Parallelität, eine kontinuierliche Bewegung. Aber sie sind viel mehr als das, dahinter birgt sich ein Weltanschauungssystem. Wenn man davon spricht, dass Bilder aus dem All gesendet werden, dann stimmt das ja eigentlich gar nicht. Zunächst sind es Informationen, die erst durch Wellen in Bilder umgesetzt werden. Es geht um einen Impuls, eine Form von Energie, die weitergeleitet wird. Dieses Thema fasziniert mich seit meiner Kindheit.

FF: Ich bin keine Physikerin, aber Energie und Bewegungen finden in Wellen statt – das Thema und der Titel der Ausstellung war also ganz schnell klar. Ich bin sehr gespannt, wie unsere Arbeiten im Zusammenspiel wirken werden – bei vorherigen Ausstellungen mit anderen Künstler*innen gab es diese Art von thematischen Überschneidungen einfach nicht.How did you go about shooting your subjects originally?

 

 
 
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Kannst du uns etwas zu eurem gemeinsamen Schaffensprozess erzählen, Friederike?

FF: Bisher gibt es nur Entwürfe, die wir uns gegenseitig zuschicken. Interessanterweise ist uns dabei aufgefallen, dass wir beide uns bereits mit maritimen Themen befasst haben: Christian hat mit Fotos von unveröffentlichten Zeichnungen gesendet, auf denen Schiffe zu sehen sind. Ähnliches gibt es von mir.

Was diese Ausstellung von anderen unterscheidet, ist zum einen die Freiheit, die uns von Kuratorin Anne Schwanz gelassen wird – dieses Vertrauen ist nicht selbstverständlich. Zum anderen ist es die gemeinsame Arbeit selbst: normalerweise weiß ich ganz genau, wie ich eine Arbeit für einen bestimmten Raum anlegen will. Wenn man zu zweit arbeitet, ist es aber nicht nur eine Reaktion auf den Raum, sondern immer auch eine Reaktion auf die Reaktion des anderen auf den Raum.

 
 
 
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Die Grenzen von dem, was real und virtuell ist, verschwimmen immer mehr: Was ist Bild und was ist Manipulation?
 

Christian, du hast gesagt, dass durch Smartphones und Tablets ein neuer physischer Kontakt zu Bildern entsteht. Welche Rolle spielt Digitalkultur für deine Arbeit?

CS: Ich glaube, dass wir uns an einer großen Umbruchstelle befinden. Das sehe ich in der Interaktion mit meinen Student*innen immer wieder, die viel mehr noch als die Generation von Friederike und mir in einer digitalen Welt zu Hause ist. Die Grenzen von dem, was real und virtuell ist, verschwimmen immer mehr: Was ist Bild und was ist Manipulation? Diese Fragen werden heute auf einer Ebene bedeutsam, die man sich vor ein paar Jahren noch gar nicht hätte vorstellen können.

Dadurch gewinnen wir viel – Kunst ist gerade durch die digitale Welt heute präsenter denn je – gleichzeitig ist gerade durch digitale Medien wie Facebook und Instagram die Konkurrenz untereinander größer geworden. Man schaut viel öfter nach rechts und links. Kunst sollte aber immer auch autonom funktionieren, man muss seinen eigenen Zugang finden. Digitale Medien können einem diese Freiheit manchmal nehmen. Man sollte immer in sich selbst hineingehen und sich fragen, was bestimmte Bilder auslösen und warum sie das tun. Ohne, dass es zu einer totalen Nabelschau wird, kann man nur über den Blick auf die eigene Biografie in eine künstlerische Handlung gehen. Um auf Smartphones und den direkten Fingerkontakt zum Bild zurückzukommen, muss eben auch immer wieder diese Schnittstelle befragt werden. Welche Art von Kontakt entsteht hier überhaupt?

FF: Touchscreens sind ja in gewisser Weise auch eine Rückbesinnung auf die Handschrift. Durch das Anfassen vergewissern wir uns.

 
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Wenn man zu zweit arbeitet, ist es aber nicht nur eine Reaktion auf den Raum, sondern immer auch eine Reaktion auf die Reaktion des anderen auf den Raum.
 
 
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Interview: Hanna Komornitzyk
Photos: