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Wir sind Österreicher, aber sind wir auch Europäer?

Was dem Österreicher seine Berge sind, was dem Franzosen sein Baguette ist und was der Spanierin ihr Flamenco, das ist dem Deutschen sein Bier. Doch was bitte ist typisch europäisch?

Wir sind Österreicher, aber sind wir auch Europäer?
Wir sind Österreicher, aber sind wir auch Europäer?

Was typisch österreichisch ist? Die Postkartenidylle, die Berge mit schneebedeckten Gipfeln und wedelnden Skifahrern, aber auch Mozart, Mozartkugeln, das Schnitzel, die Wiener Kaffeehäuser und Persönlichkeiten wie Falco, Sisi und Schwarzenegger. "Das ist das Erste, was jungen Europäern zu Österreich einfällt", schreibt Katharina Moser.

Die heute 30-jährige Salzburgerin muss es wissen. Sie hat 120 junge Europäer danach gefragt, was sie für typisch österreichisch halten und die Ergebnisse in ihrem Buch "Servus, Bussi, Baba" (2009, Ueberreuter Verlag) festgehalten.

Diese Idee haben Vincent-Immanuel Herr (25) und Martin Speer (27) nun aufgegriffen, um herauszufinden, was junge Europäer darunter verstehen, europäisch zu sein. Sechs Wochen lang waren die beiden Studenten aus Berlin mit ihren Rücksäcken 13.000 Kilometer quer durch Europa unterwegs und haben in 14 Ländern bei 200 18- bis 36-Jährigen nachgefragt. "Das Ergebnis hat uns selbst überrascht. Wir hätten nie gedacht, dass das Unsicherheitsgefühl so weit verbreitet ist. Selbst junge Menschen im wohlhabenden Schweden sehen ihrer Zukunft mit Skepsis entgegen", erzählt Speer. Auch das fehlende Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sowie die Angst, trotz hervorragender Qualifikation keinen Job zu finden, belaste die befragten jungen Menschen zwischen Madrid und Stockholm, Kiew und Istanbul.Die Jugend ist besser ausgebildet denn jeDabei ist die heutige Jugend besser denn je ausgebildet. "Aber den Leistungsdruck spüren alle und eine gewisse Machtlosigkeit, das politische System verändern zu können", sagt Speer. Das führe bei vielen zu einem Rückzug ins Private und Digitale. Die Bereitschaft, eine Onlinepetition zu unterzeichnen, hätten viele - aber mehr? Speer erzählt von einer Spanierin, die ihm gegenüber geklagt habe, dass sie nicht wisse, wie sie sich engagieren könne, weil sie es nie gelernt habe. Eine Griechin meinte: "Ohne Job und mit knurrendem Magen habe ich nicht viel Zeit, mir viele Gedanken über Politik und die Gesellschaft zu machen."

Die jungen Europäer, auf die er und sein Kompagnon Herr trafen, lebten "mehr denn je als wahrhafte Europäer." Für die meisten sei es selbstverständlich, viel herumzureisen, länger im Ausland zu leben und mehrere Fremdsprachen, allen voran Englisch, zu sprechen. "Aber kaum jemand bringt das mit Europa und der EU in Verbindung", so Speer. Das Fehlen einer gemeinsamen IdentitätDie Kulturwissenschafterin Monika Mokre von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat eine Erklärung dafür. Sie meint, es mangle an einer gemeinsamen Identität, die jedoch der Grundstein jeder Demokratie sei. "Nur wer sich mit der regierenden Mehrheit identifiziert, kann deren politische Entscheidungen akzeptieren", sagt sie. Das gelte auch für die EU, als deren "stärkste Identitätsmarker" Mokre den "Roten Pass und den Euro" ausmacht, die es jedoch nicht in allen EU-Mitgliedsstaaten gibt. Darüber hinaus berufe man sich in Europa gern auf das kulturelle europäische Erbe - die Römer und Griechen in der Antike, die aber zugleich von den Nationalstaaten Italien und Griechenland vereinnahmt würden.

Die ehemalige EU-Medienbeauftragte im Kosovo und Europa-Expertin Verena Ringler gibt auch den Nationalstaaten die Schuld daran, dass es so schwer ist, das Typische an Europa festzumachen. "Die nationalen Regierungen sind nichts anderes als Lobbys. Sie haben kein Interesse daran, das europäische Gemeinsame herauszustreichen. Das würde nur ihre eigene Position schwächen, die auf Machterhalt und auf Stillstand gerichtet ist", sagt sie. Vieles sei "typisch europäisch"Ringler selbst fällt auf Anhieb vieles ein, was sie für typisch für Europa hält: die Grundrechte, die in Spanien gleichermaßen gelten wie in Schweden. Oder auch das Staatswesen, das die mehr als 500 Millionen europäischen Bürger und ihr Hab und Gut vor Gewaltübergriffen bewahrt. International sei das keine Selbstverständlichkeit. "Ich habe im Kosovo erlebt, was es heißt, wenn das Gemeinwesen darniederliegt", sagt sie.

Als weitere europäische Errungenschaften sieht sie den Zugang zur Bildung, die Schulpflicht, die - zumindest gesetzlich verbriefte - Chancengleichheit und die allgemeine Krankenversicherung sowie den Sozialstaat, den es in den USA in dieser Form nicht gibt. "Das, was uns von anderen Ländern und Kontinenten unterscheidet, ist unser gemeinsamer europäischer Herzschlag", sagt Ringler. Dazu zählt sie auch die gemeinsame Geschichte mit ihren dunklen Flecken - die beiden Weltkriege und den Holocaust im vorigen Jahrhundert.Die gemeinsame VergangenheitDie gemeinsame Vergangenheit nannten auch die jungen Europäer, die die beiden Burschen Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer auf ihrer Reise trafen, als Charakteristikum für Europa - genauso wie den Song Contest, das Studentenaustauschprogramm Erasmus, die Reisefreiheit, den Euro und auch die Wirtschaftskrise.

"Fast alle unsere Gesprächspartner in Südeuropa haben vor, ihre Heimat zu verlassen, weil sie dort keine Perspektive haben", sagt Speer. Er glaubt, dass sich viele von ihnen erst dann, wenn sie woanders leben, als Europäer fühlen werden und nicht mehr als Italiener, Spanier oder Griechen. So sei es ihm und Freund Vincent ebenfalls ergangen, als sie in Illinois in den USA studierten. "Erst in der Außenansicht haben wir verstanden, was es heißt, europäisch zu sein", meint Speer. Seither sei er sich bewusst, dass man sich nirgendwo so frei bewegen und denken könne wie in Europa. Und dass nirgendwo sonst die soziale Verantwortung so groß ist.

Dagegen hätten das die jungen Türken und Ukrainer, die Herr und Speer im Rahmen ihres Projekts befragt hatten, gewusst, ohne je ausgewandert zu sein. Speer glaubt, das liegt daran, weil sie eben (noch) keine EU-Bürger sind. "Sie haben den Mut und die Selbstlosigkeit, für die europäischen Werte zu kämpfen, die wir für selbstverständlich halten", sagt er.

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