Internet:Die Diktatur der Daten

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Der Facebook-Skandal zeigt: Private Informationen sind im Internet oft nicht sicher. Dennoch fällt es vielen Menschen schwer, sich von den Diensten der Digitalkonzerne zu verabschieden.

Von Sebastian Schoepp

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Sollte man noch auf Facebook sein, nach dem Skandal um die Wahlbeeinflussung in den USA ? Darf man noch ein Uber-Taxi nehmen, nachdem ein selbstfahrendes Auto eine Frau umgefahren hat? Sollte man seine Bankdaten weiter dem Handy anvertrauen und dadurch möglicherweise Hackern ausliefern?

Für viele Menschen gäbe es derzeit allerhand Gründe, sich dem Allmachtsanspruch der Digitalindustrie zu entziehen. Umfragen in den USA und in Deutschland zeigen, dass eine Mehrheit der Bürger ihre Daten bei Facebook für ungenügend geschützt hält, ja sogar Schäden für die Demokratie befürchtet. Ihr Verhalten ändern die meisten der weltweit zwei Milliarden Nutzer deshalb noch lange nicht.

Auf Facebook verzichten, das können sich viele vorstellen - aber höchstens, um nach Alternativen Ausschau zu halten. Das "Internet der Dinge", also das bis hin zum Toaster vernetzte Smart-Home und die Smart-City, stößt auf breiteste Akzeptanz, nicht nur bei Technik-Nerds. Dass Menschen in großer Zahl die Datengesellschaft boykottieren, ist heute so realistisch wie die Erwartung, dass sie das Essen einstellen, um gegen die Lebensmittelindustrie zu protestieren. Sich von Facebook abmelden zu können sei letztlich ein Privileg, hieß es diese Woche in einer vielkopierten Nachricht auf Twitter. Im Zeitalter der Mobilität sind immer mehr Menschen auf die digitalen Kanäle angewiesen, um ihre oft weit entfernten sozialen Beziehungen aufrechtzuerhalten. Und außerdem: Man hat ja nichts zu verbergen.

Doch was man besser verborgen hätte, stellt sich oft erst im Nachhinein heraus. Per App mit dem Rauchen aufhören? Sicher eine gute Idee. Außer man hat sich dazu mit dem Google-Konto angemeldet, und die Suchmaschine weiß jetzt, dass und wie viel man mal geraucht hat. Gesundheitsdaten von der Handy-App auswerten lassen? Kann problematisch werden, wenn nicht nur Jogging-Werte, sondern auch Infos über Krankheiten von Supersuchmaschinen im Netz abgegriffen werden. Erst am Donnerstag wurde bekannt, dass die Daten von 150 Millionen Kunden, die eine App des US-Sportausrüsters Under Armour genutzt haben, bei anonymen Hackern gelandet sind. Solche Skandale häufen sich. Aber wer zieht daraus Konsequenzen?

In den 1980er-Jahren löste eine banale Volkszählung in der Bundesrepublik einen kleinen Volksaufstand aus. Heute liefern Menschen intimste Informationen über ihr Leben - Vorlieben, Bewegungsprofile, Trennungen - bereitwillig Privatunternehmen aus, die so transparent wirken wie Kafkas Schloss. Das blinde Vertrauen in Datenkonzerne sagt einiges darüber aus, wie sehr sich die Gesellschaft durch den Dataismus des Silicon Valley verändert hat. Er beruht auf dem Glauben, dass der freie Strom der Daten eine Art Grundrecht ist, ja mehr noch: ein Baustein für eine transparentere und gerechtere Gesellschaft. Doch das Gesellschaftsbild, das sich dahinter verbirgt, erntet auch Kritik. Der Dataismus definiere den Menschen, seine Gefühle, Regungen und Träume, als Summe der Datenströme, die ihn durchziehen, schreibt der Historiker und Philosoph Yuval Noah Harari. Wir seien auf dem besten Weg vom homozentrischen zum datazentrischen Weltbild.

Erstes Opfer ist die Arbeit. Im Zuge der Automatisierung wird man sich bald von dem liberalistischen Dogma des 19. Jahrhunderts verabschieden müssen, wonach der Mensch erst durch Arbeit zum Menschen wird. Schon heute können Algorithmen nicht nur Wahlverhalten vorherbestimmen; sie finden auch heraus, mit wem man sich am besten paaren sollte. Längst ist eine Gesellschaft denkbar, die es zur Norm erhebt, dass Beziehungen nur noch im Internet angebahnt werden.

Politischer Kern des Dataismus ist die Forderung nach Informationsfreiheit. Jeder soll alles wissen können. Wozu das führen kann, hat Dave Eggers in seinem Buch "The Circle" prognostiziert, in dem er beschreibt, wie ein Super-Internetkonzern, eine Mischung aus Facebook, Google und Apple, die Welt beherrscht. Die Vision von Transparenz mündet dort im gläsernen Bürger, der nichts mehr geheim halten darf. In dieser Welt ist Informationsfreiheit das Gegenteil von Meinungsfreiheit.

Doch der Facebook-Skandal scheint Sensibilität dafür geweckt zu haben, dass das Heil vielleicht nicht in der totalen Digitalisierung liegt. Sollte sich der kritische Konsument beim Datenkonsum nicht ebenso wählerisch verhalten wie beim Lebensmittelkauf? Sollte man nicht genau abwägen, wann man das Digitale nutzt und wo man lieber analog bleibt? Eine Forderung an die Politik könnte daher lauten, sie solle dem Individuum den Freiraum erhalten, in dem er nicht von Google, Facebook oder ihren Nachfolgern zu einem bestimmten Wahl- oder Kaufverhalten oder Lebensstil genötigt werden kann. Gemäß der Erkenntnis, dass der Mensch mehr ist als die Summe seiner Daten.

© SZ vom 31.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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