Klinge 2018

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DIETRICH KLINGE


Die Galerie Boisserée ist Mitglied im:

Kunsthändlerverband Deutschland (KD) e.V.

Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG) e.V.

The International Fine Print Dealers Association (IFPDA)

ISBN 978-3-938907-51-1

"Antwort Kunst stellt Fragen. Selbst wenn sich der Betrachter eines Werkes auf viele Fragen Antworten geben kann, so bleibt immer eine letzte Frage. Ein gutes Kunstwerk stellt viele Fragen. Ihre Antworten liegen im Werk selbst. Als letztes bleibt über allen jedoch die Frage bestehen." Dietrich Klinge 11

Katalogumschlag: "Huhau", Bronze 2013, 210 cm [23851]


DIETRICH KLINGE


Dietrich Klinge in seinem Atelier, Weidelbach 2013 Š Christina Roederer


DIETRICH KLINGE (geb. 1954 Heiligenstadt) Skulpturen

GALERIE

BOISSERÉE J. & W. BOISSERÉE GMBH GESCHÄFTSFÜHRER JOHANNES SCHILLING UND MAG.RER.SOC.OEC. THOMAS WEBER DRUSUSGASSE 7-11 D - 50667 KÖLN TEL. +49 - (0)2 21 - 2 57 85 19 FAX +49 - (0)2 21 - 2 57 85 50 galerie @ boisseree.com www.boisseree.com


Dietrich Klinge – Die Skulpturen Es sind Bilder des Menschen und zugleich doch nicht! Wer immer diese klingeschen Werke sieht, weiß, es sind menschliche Wesen, die in ganzer Gestalt, als Torso, kopflos, armlos, manchmal fast körperlos, schreiten, stehen, sitzen, liegen. Gleichwohl sind es nicht einfach Abbilde von Menschen. Es sind Wesen, die so und nur so, als Schöpfungen des Künstlers Dietrich Klinge entstanden sind, entstehen konnten. So, als ob er ihnen einen ganz eigenen Schöpfungsatem eingehaucht hätte. Zugleich aber tragen sie das Wissen, das Begreifen und das Erfühlen der menschlichen Figur und das Ringen um ihre Erscheinungsform seit Anbeginn aller Zeiten, seit Anbeginn des künstlerischen Schaffens in sich. Es ist als ob ein körperliches, ein sichtbares oder doch besser spürbares Verwandtschaftsverhältnis bestünde, zur ältesten, steinzeitlichen Kunst, der Venus von Willendorf, der ebenbürtigen Venus von Hohle Fels, dem Löwenmenschen aus dem Lonetal und zu den Kykladenidolen und zu den Plastiken der griechischen archaischen Klassik, zur Kunst des alten Ägyptens, Roms, des Zweistromlandes, der Kunst aus Persepolis, der Kelten, Germanen, des Ostens und fernen Ostens und Afrikas, der Romanik, Gotik, Renaissance, des Barock und Rokoko der Neuzeit, kurz jeglicher Kunst! Klinges Kunst ist nicht mehr, jedoch auch nicht weniger als eine beständige, nie endende tour d’ horizon durch die kunst-‚ kultur-, und geistesgeschichtliche Entwicklung der Menschheit, die sich in den so eigenen und im besten Wortsinne eigenwilligen Werken Dietrich Klinges zeigt. Und es scheint, als habe der Künstler einen eigenartigen Weg gefunden, lebende Wesen aus Borke, Bast und Holz und lebende Wesen aus Fleisch und Blut in seinen Skulpturen Eins werden zu lassen, zu verschmelzen in Bronze! Denn, wenn der Künstler beginnt an einem Holzstamm zu arbeiten, dann liegt oder steht vor ihm bereits eine natürliche Plastik, der Stamm. Dazu sagt Dietrich Klinge: „Wenn ich an einem Holzstamm arbeite, ist dieser, ohne dass ich etwas tue, schon eine Plastik. Es treffen sich also zwei Geschichten: die des Holzes und meine. Diese beiden wollte ich auch auf eine Ebene bringen, deshalb habe ich die Übersetzung in ein anderes Material gemacht". (Dietrich Klinge, Frankfurt am Main 2008, Seite 78). Bronze also! Es waren einst mächtige Bäume, deren Stämme die Körper der Skulpturen bilden, häufig aus ihnen herausgelöst, herausgeschnitten, häufig nur behutsam den umrindeten oder entrindeten Stamm zeigend. Es waren aber auch feine, filigrane Äste, Geäste, Astwerke, dann und wann gar Ästchen, die in die Einheit mit ihren – als Wortspiel sei es gestattet – Stammesbrüdern und -schwestern einbezogen werden. Und durch diese Verschmelzung menschlicher Körper in das Holz hinein und manchmal versehen mit sprechenden Ästen, entsteht ein symbiotisches, neues Wesen auf metaphorischer Ebene, aber auch für uns begreifbar und sichtbar, das gerade auf die in unseren Zeiten schier verlorene Einheit der Natur mit dem Menschen, der recht eigentlich und stets Teil dieser Natur ist, hinweist. Damit erfüllt sich Dietrich Klinge zunächst selbst ein Anliegen, das des humanen Seins.


Park Yeongtaik (in: Klinge at Roh's garden, Korea 2017, s.p.) sagt überzeugt, überzeugend und zurecht, dass Dietrich Klinges Werke „are reminiscent of a mythical and religious narrative". Und er stellt ebenso klar fest, dass die daraus erwachsende spirituelle Kraft und das auf der Ebene des Verstehens beheimatete Einfühlungsvermögen, Gegenwart und Zukunft aus der Vergangenheit heraus verstehbar, besser erlebbar im Sinne einer Verschmelzung von Leben und Kunst machen, trotz aller Gegensätzlichkeit und Spannung. Diese Spannung aber in seinen Arbeiten, diese offenen Widersprüche zerstörter und unvollkommener menschlicher Körper zeigt der Künstler in all ihrer völlig unerwarteten harmonischen Schönheit, in einer großartigen Absage an die gemeinhin vorgegebene und geforderte Perfektion des menschlichen Körpers. Dies so zu vereinen, gelingt wenigen wie Dietrich Klinge.

Atelier Dietrich Klinge, Weidelbach 2018 © Dietrich Klinge


Wenn Dietrich Klinge die Herkunft, das Geborenwerden seiner Skulpturen aus dem Holz nicht nur nicht verbirgt, sondern Holz zu Körpern, Gliedmaßen, Köpfen formt oder sie sein lässt und sie zum Leben erweckt, überträgt er gewissermaßen die Schuldlosigkeit der Pflanzenwelt hinein in die schuldbeladene menschliche Welt. So, als ob der Akt der Kunstwerdung aus dem Holz heraus eine Läuterung, ein Aufruf, eine Katharsis wäre, sein könnte, sein muss! Und nochmals: Das Unvollkommene, das Versehrte und Gestörte, ja das Zerstörte und Verrottete wird von Dietrich Klinge aus seiner existenziellen Not des Nicht-mehr-Seins erlöst. Ja, so kann man sagen! Denn all diese wertlosen Dinge, ohne Handelswert, ohne Gebrauchswert, ohne Prestigewert werden in ein neues Dasein hineingeboren. [...] Wenn der Künstler, der seine Holzarbeit stets als Vorstufe zur fertigen bronzenen Skulptur betrachtet, diese verachteten Einzelteile in einen neuen, skulpturalen Zusammenhang fügt, schneidet, pflockt und diesen dann in Bronze gießt, so erhält die Skulptur, aus dem Zerfall entstanden, eine neue Identität im bronzenen Körper. Fast ist man versucht an die christliche Lehre der Auferstehung von den Toten zu denken, denn der zerfallende Leib, die morschen, verrotteten Knochen sollen danach bekanntermaßen am Jüngsten Tage in neuer Herrlichkeit wieder auferstehen, in ungeahnter Schönheit.

Atelier Dietrich Klinge, Weidelbach 2018 © Dietrich Klinge


Werkstatt Dietrich Klinge, Weidelbach 2018 © Dietrich Klinge

Dietrich Klinge gelingt es stets, seine torsohaften Gestaltungen als vollendet und ja als vollkommen, als der ldee der Schönheit verpflichtete Werke zu erschaffen. Der fehlende Arm, der fehlende Kopf, der fehlende Körper werden vom Betrachter – als ginge ein innerer Zwang vom Kunstwerk aus – auf einer tiefen, menschlichen Ebene hinzugedacht, hinzugefühlt. Das rational festzustellende Fehlen von Körperteilen der Skulptur löst sich auf, denn auf der emotionalen, man darf auch wagen, auf der seelischen Ebene zu sagen, entstehen im Betrachter neue Bilder. Er löst die vom Künstler beabsichtigte Spannung in seinem Inneren auf, indem er, das was nicht vorhanden ist, hinzuzieht, hinzufühlt und so stets am Akt der Vollendung des Kunstwerks Beteiligter ist.

(Alfred Meyerhuber, in: MISCELLANEA, Dietrich Klinge: Gemischtes, Vermischtes, Verzetteltes, Freshup! Publishing, Alfred Meyerhuber, 2018, S. 33f)


1. "Fig. 15 (schweben)", Bronze 1998, 46,5 x 50,2 x 28 cm [23836]


2. "Figur 39", Bronze 1999, 22 cm [23361]

3. "Figur 44", Bronze 1999, 21,5 cm [23360]


"Meine Eltern machten sich Sorgen um mich, weil ich nur dasaĂ&#x; und Ăźber einen langen Zeitraum beobachtete. Mein Bruder war sehr sportlich, aber solche Dinge haben mich in meiner Jugend nicht interessiert." Dietrich Klinge 1

4. "GroĂ&#x;e Fahme", Bronze 1999, 130 cm [23358]



"Wenn ich die Bronzeplastik sehe, sehe ich nicht mehr das Holzmodell." Dietrich Klinge 2

5. "Torso Roes XI", Bronze 1999/2016, 133 cm [23775]



Holzmodel zu "Torso Fahme", Bronze 1999/2016/2017

6. "Torso Fahme", Bronze 1999/2016/2017, 145 cm [23362]



"Das Holz erzählt viele Geschichten, das Wachsen des Baumes ßber einen langen Zeitraum. Sein Holz, das ich benutze, zeigt die Zeit des Lebens des Baumes und mein Werk in diesem Holz." Dietrich Klinge 3

7. "Mesola", Bronze 2000, 110 cm [23778]



8. "Hand 2002", Bronze 2002, 46 cm [23842]


9. "Kopf 166", Bronze 2002, 28 cm [23844]

10. "Kopf 176", Bronze 2002, 27 cm [23838]


"Wenn ich an einem Holzstamm arbeite, ist dieser, ohne dass ich etwas tue, schon eine Plastik. Es treffen sich also zwei Geschichten: die des Holzes und meine. Diese beiden wollte ich auch auf eine Ebene bringen, deshalb habe ich die Ăœbersetzung in ein anderes Material gemacht." Dietrich Klinge 4

11. ohne Titel (Jaan), Bronze 2002, 177 cm [23359]



12. "Figur 95", Bronze 2003, 17 cm [23028]


13. "Figur 89", Bronze 2003, 22 cm [23029]


14. "FuÃ&#x; II", Bronze 2005, 28,5 cm [23846]

15. "Kruzifix II", Bronze 2003, 180 cm [23834]



16. Entwurf für eine große Figur V (EV), Bronze 2004, 238 x 211 cm [23852]



17. "Hand 42-43", Bronze 2005, 33 x 27 x 21,5 cm [23840]


18. "Hand 44-45", Bronze 2005, 31,5 x 29 x 21,5 cm [23841]


"Ich habe eine starke Affinität zu unserem Zeitalter, aber ich denke ebenso an andere Räume, andere Epochen. Das ist nur ein anderer Dialog." Dietrich Klinge 5

19. "Roes III", Bronze 2009, 164 cm [23853]



20. "Fig. 207", Bronze 2010, 8 x 21 x 14,5cm [23847]


21. "Metamorph IV", Bronze 2010, 84 x 200 cm [23854]


22. "Kopf eRBe 12", Bronze 2012, 46 cm [23837]

23. "Huhau", Bronze 2013, 210 cm [23851]



24. "Kopf Huhau", Bronze 2013, 68 cm [23849]


25. "Kopf Konznow cogitar", Bronze 2013, 69 cm [23777]


26. "Kopf 223", Bronze 2013, 31 cm [23025]

27. "Kopf 236", Bronze 2014, 28,5 cm [23843]


28. "Kopf 239", Bronze 2014, 29 cm [23024]


"Vielleicht können Sie meine Skulpturen nicht verstehen, aber vielleicht können Sie sie fühlen." Dietrich Klinge 6

29. "Stele F.H.-B", Bronze 2014, 187 cm [23774]



"Vom Kunstwerk geht eine Idee aus. Diese ist wie eine Linse, die ein Bild aus der Ferne bricht und in einem Brennpunkt, das ist der Mensch, sammelt." Dietrich Klinge 7

30. "Fig. 291-292", Bronze 2015, 12,4 x 50,7 x 16,5 cm [23848]



31. "Kopf 251", Bronze 2016, 24 cm [23839]

32. "Kopf 242", Bronze 2015, 40 cm [23022]



"Giotto konnte noch Engel malen, Engel als Verbindung von Irdischem und Himmlischem, Diesseitigem und Göttlichem. Bruegel, zweihundertfünfzig Jahre später, konnte das nicht mehr. Bruegel malte einen stürzenden Ikarus in einer Landschaft, in der alles andere völlig normal weiterging, während Ikarus ins Meer abstürzte. Heute trifft Ikarus auf was? Oder: Was ist Ikarus?" Dietrich Klinge 8

33. "Büste Daphne XI", Bronze 2017, 95 cm [23776]



34. "Hand 105", Bronze 2017, 6,5 x 29 x 13 cm [23845]

35. "Ihh-Skulptur", Bronze 2017, 188,5 cm [23850]



"An der Form festgemachter Inhalt: Formalismus. Am Stil festgemachter Inhalt: Stilistik. Beides sind Kategorien der Ware wie der Kunstgeschichte, nicht des Kunstwerkes." Dietrich Klinge 9

36. "Kopf Fisigria I", Bronze 2017, 53 cm [23835]



"Viele Außenstehende denken, ich arbeite schnell. Dass aber von der Vorstellung einer Idee bis hin zum fertiggewordenen Bild, der fertiggewordenen Plastik ein enormer zeitlicher Prozess im Nachdenken über und in der Modifikation der Sache vergeht, übersehen die meisten. Zwischen Idee und fertigem Werk liegt ein Prozess der Gärung. Er gleicht jenem, in dem eine Raupe frisst und frisst, sich dann verpuppt, bis schließlich als letztes die Imago erscheint. Dass meist Verpuppung und Schlüpfen der Imago als eigentlicher Schaffensprozess angesehen wird, ist falsch. Viel wichtiger sind die Prozesse, die zur Realisierung hinführen – sie sind das Notwendige." Dietrich Klinge 10

37. "La Girafe", Bronze 2017, 230 cm [23833]



Dietrich Klinge vor seiner Mßhle, Weidelbach 2018 Š Christina Roederer


Dietrich Klinge Dietrich Klinge wurde 1954 in Heiligenstadt geboren, sechs Kilometer östlich der Grenze, des damals geteilten Deutschlands. Der kulturell interessierten Welt ist die Stadt bekannt als der Geburtsort des Renaissance-Bildhauers Tilman Riemenschneider. Klinges Eltern arbeiten im eigenen Schuhgeschäft. Sein älterer Bruder ist unternehmungslustig und gesellig, während er selbst ruhig und introvertiert ist. "Meine Eltern machten sich Sorgen um mich, weil ich nur dasaß und über einen langen Zeitraum beobachtete. Mein Bruder war sehr sportlich, aber solche Dinge haben mich in meiner Jugend nicht interessiert." Die Familie ist katholisch, mehrere Familienmitglieder wurden Priester; wodurch eine Situation entsteht, die der Künstler später als "fundamentalistisch in einer erzprotestantischen Region" bezeichnet. Klinges Großmutter mütterlicherseits lebt im "Westen" in Fritzlar. Die Mutter fährt oft über die Grenze, um ihre Familie zu besuchen und kehrt mit Lebensmitteln und für das tägliche Leben notwendigen Dingen zurück. Im Jahre 1958 beschließen die Eltern, in den Westen zu fliehen. Der Vater und die Jungen reisen mit einem Tagesvisum aus. Die Mutter bleibt zunächst zurück, um nicht das Misstrauen der Grenzbeamten zu wecken. Kurze Zeit später folgt sie der Familie auf Umwegen. Die Familie trifft sich im Hause der Großmutter in Fritzlar wieder. Klinge genießt die Zeit, in der die Familie bei der Großmutter lebt. Die romanischen Figuren am Dom zu Fritzlar hinterlassen bei ihm einen bleibenden Eindruck. Im Jahre 1960 zieht die Familie nach Stuttgart, wo Klinges Vater im Büro der Schuhfabrik Mercedes arbeitet. Seine Mutter findet eine Stelle bei der Post. Sie leben in einem Wohnblock, zusammen mit 25 kinderreichen Familien. In dieser unruhigen Atmosphäre beginnt der stille und nachdenkliche Sechsjährige seine Odyssee in die bildende Kunst. Klinge erinnert sich: "In dieser Zeit begann ich unentwegt zu zeichnen und das schönste Geschenk meiner Kindheit, an das ich mich erinnern kann, war ein Zeichenbuch." Er ist fasziniert von einer gerahmten Reproduktion von Dürers "Betende Hände", die im Schlafzimmer seiner Eltern hängt. "Ich ging in die Bücherei neben der Schule und lieh mir Bücher über diesen Künstler aus und begann, seine Kupferstiche und Holzschnitte zu kopieren und Bücher über Rembrandt zu lesen." Die Reproduktion der Bilder; die ihn

faszinieren, zeichnet Klinge hauptssächlich in SchwarzWeiß, im Gegensatz zu den Bildern anderer Kinder sind Klinges Bilder kleinformatig. Mit vierzehn beginnt er nach der Schule im Jugendhaus Drucke herzustellen, Holz zu bearbeiten und mit Emaille zu experimentieren. Er beschafft sich Kupferplatten und beginnt zu Hause mit der Kaltnadel zu arbeiten. Aus einer alten Wäschemangel baut er seine erste Druckerpresse. Dieser Erfindungsreichtum bleibt Kennzeichen seines späteren Werks. Nicht nur die klare Linienführung der historischen Bilder, die er kopiert, bleiben unauslöschlich in seiner Erinnerung, sie dienen ihm auch als Zeugen des unendlichen Dramas menschlichen Lebens, das er bald aus erster Hand erfahren sollte. Mit achtzehn wird er während eines längeren Aufenthalts in Indien, Nepal und Sikkim Zeuge der extrem schwierigen Lebensbedingungen und des menschlichen Leids in diesen Ländern. Diese Erfahrungen außerhalb seiner eigenen Kultur stellen für seine Vorstellungen von Leben und Tod, Imagination und Realität eine Herausforderung und gleichzeitig eine geistige Erweiterung dar. Als er nach Deutschland zurückkehrt, arbeitet er auf einem Schrottplatz und bereitet sich auf die Aufnahmeprüfung für Stuttgarts angesehener Kunstakademie der "Staatlichen Akademie der Bildenden Künste" vor. Im Juni 1973 wird er an der Akademie angenommen und beginnt im Oktober 1973 sein Studium. Bald entdeckt Klinge, dass das universitäre Umfeld völlig anders ist, als er es sich vorgestellt hatte. Die meisten Studenten stammen aus der oberen Mittelschicht und nur wenige haben eine Vorstellung von den größeren Zusammenhängen in der Welt. Seine Erfahrungen in Asien und bei seiner Arbeit auf dem Schrottplatz grenzen ihn von den anderen ab. Davon unberührt, konzentriert er sich auf sein Grundstudium und beginnt, wieder Radierungen zu schaffen. Peter Grau ist sein erster Zeichenlehrer. Günter Böhmer und sein Nachfolger, Rudolf Schoofs, lehren ihn freie Grafik. Im Jahre 1979 schafft Klinge seine erste Steinskulptur und eine Zeit lang gestaltet er eine Arbeit pro Monat. Obwohl er das Studium für Zeichnung und Grafik im Jahre 1980 abschließt, schreibt sich Klinge noch im selben Jahr für den Studiengang "Bildhauerei" unter der Leitung von Herbert Baumann und Alfred Hrdlicka ein. Dieses Studium schließt er im Jahre 1984 ab.


Klinge studiert mehr als ein Jahrzehnt an der Akademie und verdient sich in dieser Zeit seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs und harter körperlicher Arbeit. Wenn man sich mit ihm über diese Zeit unterhält, betont er, dass er alle sich ihm bietenden Ausstattungen der Akademie intensiv genutzt hat. Trotz seiner großen Experimentierfreude im künstlerischen Bereich und der Entdeckung neuer Ausdrucksmöglichkeiten hat er sein Werk erst 1989 ausgestellt. "Während dieser Zeit habe ich die Entscheidung getroffen, ausschließlich für mich selbst zu arbeiten." Eine persönliche Entscheidung, um sich technisch und stilistisch weiterentwickeln zu können. In der Mitte der 80iger entstand ein umfassendes grafisches Werk "Trilogie ÖK" 1982-1985. Es ist ein epischer Zyklus von 183 Radierungen aufgeteilt in acht Kapitel. Die komplexe, narrative und persönliche Ikonographie lässt sich am besten mit den eigenen Worten des Künstlers, "ein Versuch die Welt zu verstehen", beschreiben. Zahlreiche Merkmale dieses Werkes weisen auf die innovative Entwicklung der nächsten zehn Jahre im Œuvre Klinges hin. Die klare Linienführung und Kontur, Verknüpfung von Form und Inhalt in den Darstellungen, die einfühlsame Verbindung zwischen Bildsymbolik und verwendetem Material ist überzeugend. In besonderer Weise ist das wachsende Bewusstsein für die Ausdruckskraft des menschlichen Bildes hervorzuheben. Menschen werden in ihrer Isolation und Eindimensionalität, Unfähigkeit ihren Zustand zu verändern, dargestellt. Aber die Kraft der sie begrenzenden Linien und ihre Stellung im Bild, lassen sie zu einer Quelle geballter Energie und großer Emotionen werden.

(Joseph Antenucci Becherer, in: Between Silence and Strength, The sculpture of Dietrich Klinge, Ausstellungskatalog Frederik Meijer Gardens and Sculpture Park, Grand Rapids, Michigan, 3. Juni – 9. September 2005 l anschließend Museum Küppersmühle Sammlung Grothe, Duisburg, Seite 13 ff)


Atelier Dietrich Klinge, Weidelbach 2018 Š Dietrich Klinge


Biographie

Einzelausstellungen

1954 1958 1960 1972 1973 1979 1980 1984 1989 1994 1999

2017 2016 2015 2014 2013 2012 2011 2010 2009 2008 2007

Geburt in Heiligenstadt/Landkreis Eichsfeld in Thüringen Flucht der Familie aus der DDR nach Fritzlar Umzug nach Stuttgart; Entstehung erster Zeichnungen und Drucke Längerer Aufenthalt in Indien, Nepal und Sikkim Studium der freien Graphik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart bei den Professoren Peter Grau, Gunter Böhmer und Rudolf Schoofs Schaffung der ersten Steinskulptur Abschluss in Zeichnung und Graphik; noch in demselben Jahr Aufnahme des Studiums der Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart bei den Professoren Herbert Baumann und Alfred Hrdlicka Abschluss des Studiums; fortan als freischaffender Künstler tätig Erste Werkausstellung in Stuttgart Felix-Hollenberg-Preis für Radierung Umzug nach Weidelbach/Mittelfranken

Heute lebt und arbeitet Dietrich Klinge in Weidelbach.

Christian-Daniel-Rauch-Museum, Bad Arolsen "Projectspace Daegu", Bode Galerie, Daegu (KR) Place de Clairefontaine, Luxemburg (LU) Skulpturenmeile Ansbach, Ansbach Bode Galerie, Nürnberg Skulpturen in St. Sebald und St. Egidien, Nürnberg Galerie im Venet-Haus, Neu Ulm "Projectspace Daegu", Bode Galerie, Daegu (KR) Schloss Slavkov, Austerlitz (CZ) Angela Berney Fine Arts, Basel (CH) Kreuzgang des Baseler Münsters, Basel (CH) Englische Kirche, Bad Homburg Städtische Galerie Tuttlingen, Tuttlingen Ateliergalerie Oberländer, Augsburg Galerie Schrade mit Christopher Lehmpfuhl, Schloss Mochental, Ehingen (Donau) "Blickachsen 9", Kloster Eberbach, Eltville (Rheingau) Bode Galerie, Nürnberg Sebastianskapelle, Ulm Galerie Schrade, Schloss Mochental, Ehingen (Donau) Städtische Galerie Tettnang mit Raimund Wäschle, Tettnang Jardins du Manoir d'Eyringnac, Perigord (F) Frankreich Château de Biron, Perigord (F) Galerie Terminus mit Eckhard Kremers, München Es Baluard Museu d'Art Modern i Contemporani de Palma, Palma de Mallorca (E) Ateliergalerie Oberländer, Augsburg Galerie Schrade, Schloss Mochental, Ehingen (Donau) Neue Galerie Landshut mit Michael Jochum, Landshut Musei della Maremma, Provincia di Grosseto (I) Galerie Terminus, München Galerie Orangerie-Reinz, Köln Galerie Bäumler, Regensburg Ateliergalerie Oberländer, Augsburg Galerieverein Leonberg mit Michael Storz, Leonberg Galerie von Braunbehrens, München


2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000

DIE GALERIE mit Eckhard Kremers, Frankfurt am Main Museum Küppersmühle, Sammlung Grothe, Duisburg Galerie Orangerie-Reinz, Köln Frederik Meijer Gardens & Sculpture Park, Grand Rapids, Michigan (USA) Gertsev Gallery mit Christina Roederer, Moskau (RU) Worthington Gallery, Chicago (USA) Galerie Brusberg Berlin, Berlin Galerie von Braunbehrens, München Donna Tribby Fine Art, West Palm Beach (USA) Galerie Schrade, Schloss Mochental, Ehingen (Donau) Galerie Weise, Chemnitz Stadtkirche Darmstadt, Darmstadt Galerie Schrade, Karlsruhe Galerie Orangerie-Reinz mit Christina Roederer, Köln DRK Krankenhaus Westend mit Rolf Szymanski, Berlin Galerie Bäumler, Regensburg Galerie von Braunbehrens, München Galerie Kunst Mammern mit Burkhard Held, Mammern (CH) Kamp’s Galerie, Keitum, Sylt Galería Joanna Kunstmann mit Christina Roederer, Palma de Mallorca (E) Art Selection Gilg, Zürich (CH) Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg im Breisgau Museum im Prediger, Schwäbisch Gmünd Galerie im Prediger, Schwäbisch Gmünd Galerie Schrade, Schloss Mochental, Ehingen (Donau) Galerie Titan, Frankfurt am Main Wessenberg Galerie mit Alexej von Jawlensky, Konstanz Ateliergalerie Oberländer mit Ulrike Kirbach, Augsburg Stiftung für Bildhauerei, Berlin Galerie von Braunbehrens, München Galerie Orangerie-Reinz, Köln

1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1990 1989

Galerie Bäumler, Regensburg Sammlung Dahlström, Weinheim Galerie Titan, Frankfurt am Main Galerie Orangerie-Reinz, Köln Galerie von Braunbehrens, München Galerie Kerkhoff, Verl Ateliergalerie Oberländer, Augsburg Kilianskirche Heilbronn, Heilbronn Galerie Fahlbusch, Mannheim Mannheimer Kunstverein, Mannheim Sebastianskapelle Ulm, Ulm Galerie von Braunbehrens, München Kulturzentrum Templin mit Werner Liebmann, Templin IG-Metall Galerie, Frankfurt am Main Galerie Brusberg Berlin mit Werner Liebmann, Berlin Städtische Museen Heilbronn, Heilbronn Galerie im Heppächer, Esslingen Galerie von Braunbehrens, München Städtische Galerie Albstadt, Albstadt Galerie Brusberg Berlin, Berlin Ateliergalerie Oberländer, Augsburg Sammlung Dahlström, Weinheim Galerie im Heppächer, Esslingen Galerie Brusberg Berlin, Berlin Galerie im Heppächer, Esslingen Galerie Fahlbusch, Mannheim Ateliergemeinschaft Wilhelmstraße 16 e.V., Stuttgart


Atelier Dietrich Klinge, Weidelbach 2018 Š Dietrich Klinge


Sammlungen Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart Städtische Kunsthalle Mannheim, Mannheim Staatliche Graphische Sammlung München, München Städtische Museen Heilbronn, Heilbronn Städtisches Museum Albstadt, Albstadt Museum im Prediger, Schwäbisch Gmünd Regierungspräsidium Stuttgart, Stuttgart Regierungspräsidium Karlsruhe, Karlsruhe Staatliches Vermögens- und Hochbauamt der Universität Ulm, Ulm Stadt Schwäbisch Gmünd, Schwäbisch Gmünd Muzeum Belden an Zee, Scheveningen, Niederlande Frederik Meijer Gardens and Sculpture Park, Grand Rapids (USA) Gateway Foundation, St. Louis, Missouri (USA) Museum am Dom, Würzburg HDI Haftpflichtverband der deutschen Industrie, Hannover Krankenhausgesellschaft Ehingen, Ehingen (Donau) St. Johannis Stift Haug, Würzburg Daimler Benz, Stuttgart Baden Württembergische Bank, Stuttgart Landesbank Berlin, Berlin Mannheimer Versicherung, Mannheim Gewerbepark Regensburg, Regensburg The Roland Berger Strategy Consultants Collection, Düsseldorf Diözese Würzburg, Stift Haug, Würzburg Sammlung Südwest-Park, Nürnberg Sammlung Andrej Gertsev, Moskau (RU) Sammlung Peter Fisher, St. Louis (USA) Sammlung Norbert Dahlström, Frankfurt Sammlung Grothe, Duisburg Sammlung Piepenbrock, Berlin Sammlung Knauthe, Berlin Sammlung Welle, Paderborn Sammlung Maggi, Italien (I) Sammlung Dickert, Capolona (I) Sammlung Hurrle, Durbach Sammlung Dr. Christine Hieronymus, Regensburg Sammlung Rahm, Zürich (CH) Sammlung Suter, Zürich (CH)

Sammlung Galerie Peter Bäumler, Regensburg Sammlung Dr. Priller, Nürnberg Sammlung Tolsdorff, Bad Honnef Sammlung Rudolph, Berlin/Hannover Sammlung Busche/Birkner, Rahden Sammlung Lederer, Neu-Isenburg Sammlung Rugo, Düsseldorf Sammlung Patt, Köln Sammlung Osmers, Bremen Sammlung Maurer, Boppard Sammlung Werner und Barbara Heckl, Neusäß Sammlung Dr. Bernhard Schaub, Landshut Sammlung Wolfgang Reichert, Augsburg Sammlung Manfred Jena und Dr. Uschi Nissen, München Sammlung Werner Schneider, Senden Sammlung Heinze, Ulm/Senden, Stadtbergen/Augsburg Sammlung Franz Träger, Augsburg Sammlung Wilhelm F. Walz, Stadtbergen Sammlung H. und R. Bühler, Königsbrunn Sammlung Gernot Günther, Augsburg Sammlung Albrecht, Gersthofen Sammlung Konrad und Irene Oberländer, Stadtbergen Sammlung Christel und Uwe Herrnsdorf, Limburg Privatsammlung, New York (USA) Privatsammlung, Nürnberg Privatsammlung, Genf (CH) Privatsammlung, Paris/Genf/Beaulieu-sur-Mer (F)/(CH) Privatsammlung, Siegburg Mr. und Mrs. Christopher Murphy III at Suite Museum of Art, University of Notre Dame, Indiana (USA) Sammlung Nihues, Bad Wiessee und Palm Beach (USA) Lafontsee, Grand Rapids, Michigan (USA) Henk und Liesl Meijer, Grand Rapids, Michigan (USA) Private Collection, Chicago (USA) Kirk and Lori Franke, Fort Lauderdale (USA) Collection Padnos, Holland (USA) Verschiedene Privatsammlungen in Europa, die nicht genannt werden wollen.


Herausgeber, digitale Scans, Photographie der Exponate und Satz: Thomas Weber, Galerie Boisserée Photographie der Exponate: Dietrich Klinge, Weidelbach Texte: Alfred Meyerhuber, Ansbach Joseph Antenucci Becherer, Grand Rapids, Michigan (USA) Katalogisierung der Exponate und Zitate von Dietrich Klinge: Mona Fossen, Galerie Boisserée 1, 2, 3 Joseph Antenucci Becherer, Between Silence and Strength, The sculpture of Dietrich Klinge, Ausstellungskatalog Frederik Meijer Gardens and Sculpture Park, Grand Rapids, Michigan, 3. Juni – 9. September 2005 l anschließend Museum Küppersmühle Sammlung Grothe, Duisburg, S. 13, S. 29, S. 29 | 4 Alfred Meyerhuber, MISCELLANEA, Dietrich Klinge: Gemischtes, Vermischtes, Verzetteltes, Freshup! Publishing, Alfred Meyerhuber, 2018, S. 33 | 5, 6 Joseph Antenucci Becherer, Dietrich Klinge, Kloster Eberbach, Ausstellungskatalog Blickachsen 9, Skulpturen in Bad Homburg und Frankfurt RheinMain, 26. Mai bis 6. Oktober 2013, Stiftung BLICKACHSEN gGmbH, Bad Homburg v.d. Höhe, Freshup! Publishing, S. 9, S. 10 | 7, 8, 9, 10, 11 Dietrich Klinge, Bilder, aus Bildern, über Bilder, Aus den Notizbüchern ausgewählt und herausgegeben von Martin Schneider, Stuttgart 1996 (XXXIII) (XXVII) (XXIV) (XXIII) (XXV)

Fotographie von Dietrich Klinge: Christina Roederer, Weidelbach Fotographie Atelier bzw. Werkstatt Dietrich Klinge: Dietrich Klinge, Weidelbach Farbkorrektur: Urszula Neuss, Grafische Werkstatt, Druckerei und Verlag Gebrüder Kopp GmbH & Co. KG, Köln Druck und Herstellung: Grafische Werkstatt, Druckerei und Verlag Gebrüder Kopp GmbH & Co. KG, Köln ISBN

978-3-938907-51-1

© 2018 Galerie Boisserée, Köln und Dietrich Klinge, Weidelbach © 2018 Christina Roederer, Weidelbach

GALERIE

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Wir laden Sie ein, unsere Homepage zu besuchen:

www.boisseree.com Auf dieser informieren wir Sie umfassend über die aktuelle Ausstellung und unsere geplanten Aktivitäten. Neben der derzeitigen Ausstellung können Sie sich auch die vergangenen mit nahezu allen bzw. zahlreichen ausgestellten Exponaten ansehen. Den Bestand der Galerie bemühen wir uns, Ihnen relativ aktuell zu präsentieren. Auf der Homepage besteht für Sie auch die Möglichkeit, sich in unsere Newsgroup per E-Mail einzutragen. Wir werden Sie dann mit unserem Newsletter vorab über kommende Ausstellungen und das Galerieprogramm informieren. Über den virtuellen Besuch unserer Galerieräume, aber insbesondere über Ihren persönlichen Besuch freuen wir uns.


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