Maya Schweizer in der Villa Stuck: Schwierige Erinnerung

"Stimmen" aus der Vergangenheit: Die Villa Stuck zeigt Filme von Maya Schweizer.
| Roberta De Righi
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Ein Standbild aus Maya Schweizers Video "A Tall Tale", das derzeit in der Villa Stuck am Friedensengel zu sehen ist.
Ein Standbild aus Maya Schweizers Video "A Tall Tale", das derzeit in der Villa Stuck am Friedensengel zu sehen ist. © Courtesy Maya Schweizer und ASPN Galerie Leipzig, Maya Schweizer und VG Bild-Kunst, Bonn 2020

All die Bilder werden verschwinden", überschreibt die französische Schriftstellerin Annie Ernaux ihren Roman "Die Jahre" und will die Zeit zwischen 1940 und 2000 festhalten; nicht als persönliche Erinnerung, sondern als Chronik ihrer Generation. Sie schildert individuelle Entwicklung vor dem Hintergrund gesellschaftlichen Wandels.

Die Film-Künstlerin Maya Schweizer bezieht sich explizit auf Ernaux und geht genau umgekehrt vor: Sie sucht Bilder für die verschwindende Erinnerung. Unter dem Titel "Stimmen" zeigt die Villa Stuck jetzt elf Filme bzw. Video-Installationen von Maya Schweizer, die 1976 bei Paris geboren wurde, in Leipzig und Berlin studierte und sich in einem Oeuvre zwischen Dokumentation und Experiment mit der Beschaffenheit von Gedächtnis und Gedenken auseinandersetzt.

Überlebensgeschichte ihrer jüdischen Großmutter

In "Passing Down, Frame One" rekonstruiert sie die Überlebensgeschichte ihrer jüdischen Großmutter. In "Der sterbende Soldat von Les Milles" lässt sie ihre Kamera rund um die Gedenkstätte "Le Camp des Milles" bei Aix-en-Provence schweifen: Eine im Zweiten Weltkrieg als Internierungslager genutzte Ziegelfabrik, wo unter anderem Lion Feuchtwanger interniert war - und von wo aus unter dem Vichy-Regime mehr als 2.000 Juden nach Auschwitz deportiert wurden. Schweizer zeigt eine Collage des Ortes und der Gedenktafeln, aber auch das Kriegerdenkmal auf dem Dorfplatz.

Viel Raum hat bei ihr die Gegenwart, etwa die Kugeln des Pétanque-Spiels und ihre tätowierten Spieler - Motive, die in diesem Kontext unterschwellig "Gewalttätigkeit" transportieren.

Ob der Vesuv in "Insolite" oder das verfallende Herrenhaus in "A Tall Tale", Schweizer hat ein Gespür für Sujets und Schauplätze, die als Sinnbilder stehen können. Und sie reichert sie mit Duras-Zitaten und Sequenzen aus der Film-Geschichte an.

Ihre Vorgehensweise ist "assoziativ", wie sie im Gespräch mit Villa-Stuck-Direktor Michael Buhrs bekennt. Einer Treppenhaus-Spirale folgt eine Schnecke, zwischen porösen Mauern, Wasserläufen und Nebenschwaden tauchen staubende Boviste, Mollusken aller Art, Spinnen und Käuze auf.

Die Filmemacherin erzeugt subjektive, bildliche Assoziationsketten wie auch im jüngsten, 2020 eigens für die Villa Stuck entstandenen Film "Voices and Shells". Da befindet man sich anfangs in Münchens Kanalisation. Die Stadt als Körper - man steigt quasi in die Unterwelt des Bewusstseins hinab und lauscht einer flüsternden Stimme. Der aktuelle Blick auf die Fassaden der NS-Bauten am Königsplatz wird durch historische Fotos ergänzt.

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Schweizer baut stets Found-Footage-Material mit ein. Später sieht man flatternde Flugblätter im Lichthof der Universität, Schneetreiben über dem Königsplatz, Flammen. Die Bücherverbrennung kommt dann von selbst in den Sinn.

Das Suggestive dieser Bilder-Folgen ist packend, aber auch problematisch. 70 Jahre nach Ende des Dritten Reichs wird die Erinnerungsarbeit immer subjektiver. Auch bei Maya Schweizer schiebt sich ihr freier Bilder- und Gedankenfluss so vor den historischen Hintergrund, dass der - wenn überhaupt bedachte - Adressat leicht untergeht.

Man fragt sich, was steht hier im Mittelpunkt? Die Schrecken der Geschichte oder das künstlerische Genie, das diese verarbeitet?


Villa Stuck, bis 24. Januar, Di bis So 11 bis 18, am ersten Freitag im Monat bis 22 Uhr

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