Wer hat Angst vor Glitzerkram? Im Lichtenberger Juwel der Moderne niemand

Bettina Allamodas Pailletten funkeln an den Ecken und Kanten der Bauhaus-Architektur von Mies van der Rohe am Berliner Stadtrand.

Bettina Allamoda zeigt ihre Textilkunst vor dem Mies-van-der-Rohe-Haus in Hohenschönhausen.
Bettina Allamoda zeigt ihre Textilkunst vor dem Mies-van-der-Rohe-Haus in Hohenschönhausen.Wita Noack

Das schimmert und glitzert, das changiert und funkelt im missmutigen Berliner Novembergrau, sobald sich ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolken mogeln. Der fröhliche Effekt kommt von reflektierenden runden Metallteilchen, implantiert in dekorative tiefrote Stoffbahnen.

Drinnen, in den sich an die strengweißen Wände des Hohenschönhausener Mies-van-der-Rohe-Hauses schmiegenden meterlangen Netz-Gebilden, wirkt das Glimmern zauberisch. Und geradezu zeremoniell nimmt es sich draußen aus: im Garten, wo die Pailletten mit Regentropfen oder Tau besprenkelt sind und dem von der Klinkerwand der Bauhausarchitektur herab ins mit Herbstlaub übersäte Gras gespannten Gewebe das Aussehen einer majestätischen Schleppe geben. Die bewegt sich zudem ständig im Wind, das wechselnde Tageslicht verändert die Farben und weist poetisch hinunter zum im Sonnenlicht glitzernden Wasser des Obersees.

Bis März nächsten Jahres ist das Mies-van-der-Rohe-Haus samt Garten das Reich der Textil-Magierin Bettina Allamoda, geboren in Chicago, Weltbürgerin der Kunst und seit den Achtzigerjahren und ihrem Studium an der damaligen HdK, heute UdK, überzeugte Wahlberlinerin. „Außendekoration/Inneneinrichtung“, derart lakonisch nennt die temperamentvolle Deutsch-Amerikanerin ihre glitzernden Textil-Metall-Skulpturen im von Mies van der Rohe 1932 erbauten puristischen Wohnpavillon. Es war die letzte Architektur des Bauhausmeisters vor seiner Emigration aus Nazideutschland. Seine Auftraggeber hießen Lemke, ein Ehepaar, das eine große Druckerei betrieb.

Im letzten Berliner Mies-Bau saß später die Staatssicherheit

Die mit Mies und vielen linksliberalen Kunst- und Kulturleuten befreundeten Lemkes sollten wegen NS-Zeit und Krieg nur wenige schöne Jahre in dem Bauhaus-Kleinod erleben. Ab Mai 1945 wurde es rabiat als Teilkommandantur der Roten Armee besetzt. Später war das Haus Wäscherei und Materiallager für alles Mögliche. Am Ende saß darin die Staatssicherheit. Und dann, nach Mauerfall und Wiedervereinigung, bekam das Haus endlich wieder eine gebührende Aufgabe. Das Moderne-Juwel wurde kommunales Museum für Kunst und Architektur. Im Jahr 2000 investierte der Stadtbezirk Lichtenberg unter den Argusaugen des Denkmalschutzes Millionen in die Sanierung.

Blick auf das Mies-van-der-Rohe-Haus mit der textilen Arbeit ,,Outdoor Untitled/Unlimited“.
Blick auf das Mies-van-der-Rohe-Haus mit der textilen Arbeit ,,Outdoor Untitled/Unlimited“.VG BIldkunst Bonn 2023/B.Allamoda/Nick Ash

Die einst ungehobelte Nutzung und schnöde Vernachlässigung sieht man dem lichtdurchfluteten Klinker-Glas-Pavillon heute nicht mehr an. Das Haus ist gefragt in der Architektur- und Kunstwelt, aber zunehmend von Platznot geplagt. 25.000 Besucher kommen pro Jahr, zudem sind die Architektursymposien, gerade zum Thema Bauhaus und dessen Nachfolge, immer ausgebucht. Das regionale wie internationale Potenzial des „Hauses Lemke“ als Kunst/Architektur- und Mies-Zentrum – das ein weit größeres Publikum fassen könnte – ist also längst erkannt. Nur fehlten bislang die Mittel und auch der politische Wille. Das Lichtenberger Kulturamt verschleppte die seit Sommer angebotene Sonderfondsfinanzierung durch den Berliner Kultursenator Joe Chialo für den Kauf eines benachbarten, leerstehenden Kubus-Baus als dringend benötigtes Besucherzentrum. Den Termin für den Antrag ließ man im Lichtenberger Rathaus ungenutzt verstreichen.

Vor wenigen Tagen aber beschloss die Bezirksverordnetenversammlung, das Bezirksamt müsse „unverzüglich alle erforderlichen Schritte unternehmen, um den Ankauf des Architektenhauses Kubus des Büros Barkow Leibinger zu ermöglichen sowie den Unterhalt besagten Gebäudes durch bezirkliche Mittel zu finanzieren“. Wie schnell aber mahlen die Mühlen der Bürokratie?

So gesehen passt das Schimmern und Funkeln von Allamodas Pailletten-Bahnen und deren ästhetischer Dialog mit den rötlichen Bauhaus-Klinkern gut zu den neugeweckten Hoffnungen für das Mies-van-der-Rohe-Haus. Es ist ein Stück Berliner Erbe der Moderne, deren Protagonisten von den Nazis in die ganze Welt vertrieben wurden. Dieses Erbe am Hohenschönhausener Obersee wurde zum Glück nicht zerstört durch Hitlers Stigmatisierung der modernen Kunst, durch Krieg und den kaum an der Bauhausidee interessierten DDR-Pragmatismus.

Allamoda sagt über ihre elegant-poppige „Dekoration“, sie „kontere“ das Erbe der Moderne mit Glitzer und Glamour. Darum nennt sie ihre skulpturalen Textilbahnen „Windfang mit Durchblick“, „Monument/Konfektion IV“ oder „Red Stretch (sparkle)“. So definiert sie die Mies-Architektur auf ihre Weise. Als ein „Kontern“ kann ich allerdings nicht empfinden, was ich sehe: eher ein zärtliches Schmücken durch die Glitzer-Bahnen, fast ein Liebkosen der kühlen rechten Winkel des Mies-Baus und der alles Geschnörkel und Überflüssige abweisenden Ecken und Kanten dieser minimalistischen Formen.

Ein Haus mit großem Garten für Kunst und Gesellschaft

Dekorative Elemente waren in der Avantgardezeit der Moderne ja als Kitsch verpönt. Das scharfzüngige Traktat „Ornament und Verbrechen“ des Architekturpioniers Adolf Loos von 1913 wider die „Vergeudung edlen Materials, gegen leere Ornamente und unnötigen Aufputz“ hatte bekanntlich kompromisslose Nachwirkung auch für Architekturen des deutschen Bauhaus wie die niederländische „de Stijl“-Bewegung, obwohl die Idee ja Kunst und Alltag vereinen wollte. Allerdings unter dem Diktat des Purismus. Gegentendenzen gab es nur peripher. Erst die Pop Art und die Postmoderne brachen das geradezu calvinistische Dekorationsverbot auf.

Ausstellungsansicht mit Allamodas Textil-Installation ,,Monument/Konfektion Series“, 2006/2023 
Ausstellungsansicht mit Allamodas Textil-Installation ,,Monument/Konfektion Series“, 2006/2023 VG BIldkunst Bonn 2023/B.Allamoda/Nick Ash

Spannungsgeladen ist also gerade auch in diesem Kontext die unideologische, populär wirkende Kunst Bettina Allamodas. Zur Vernissage, als es gerade mal nicht regnete, konnte ich in den Mienen des zahlreich gekommenen Publikums lesen, dass fast alle großen Spaß daran hatten, wie die Künstlerin doch in sanfter Provokation mit den verdrängten, aber auch ästhetischen Potenzialen der Hoch- wie der Trivialkultur spielt. Sie zeigt uns, dass ein öffentliches Haus wie dieses ganz verschiedene Rollen zu erfüllen vermag, diverse „Kleider“ tragen kann und mancherlei „Schmuck“: edlen  wie auch lustigen, nichtelitären Glitzerkram.  

Allamoda markiert uns mit mutiger Geste ein Haus mit großem Garten für Kunst und Gesellschaft, in dem der ästhetische Fachmann staunt und der Laie sich wundert. Und in das alle gern wiederkommen möchten.

Bettina Allamoda: Außendekoration/Inneneinrichtung. Mies-van-der-Rohe-Haus, Hohenschönhausen, Oberseestr. 60. Bis 3. März 2024, Di–So 11–17 Uhr, Eintritt frei