Samtiges Leuchten, physische Erfahrung: Wie Tamina Amadyar Malerei neu erfindet

Amadyars Malereien wirken, als könnten sie Form in Licht übersetzen. Aus ihnen hallt auch das Echo der Kunstgeschichte. Wir haben sie in ihrem Studio besucht.

Die Künsterlin Tamina Amadyar in ihrem Studio in Berlin-Kreuzberg
Die Künsterlin Tamina Amadyar in ihrem Studio in Berlin-KreuzbergEwelina Bialoszewska

Berlin-Sind diese meterhohen, samtig-leuchtenden Bilder, die Tamina Amadyar so meisterhaft malt, analoge Antipoden zum Einzug des Digitalen in die Kunst? Stehen sie für ein „Zurück“ zur Wahrheit des Materials – der Leinwand, der Farbe, der Anmut des Pinselstrichs? Eine Art künstlerisches Kontra zur Vortäuschung von Authentizität online? Diese Gleichung wäre zu einfach. Man muss sich das eher so vorstellen: Amadyars Kunst ist wie ein Bumerang: Irgendwann Mitte des 20. Jahrhunderts wurde er abgeworfen, zur Blütezeit des abstrakten Expressionismus, der Zeit Agnes Martins, Cy Twomblys, Ellsworth Kellys. Mit glühender Geschwindigkeit bewegt er sich auf die Erdumlaufbahn einer digitalen Zukunft zu, auf unsere Gegenwart, nur um, funkenschlagend, den Wiedereintritt auf die Erde zu inszenieren, in Form elektrisierender – analoger – Simplizität.

„Meine Kunst ist extrem traditionell, im malerischen Sinn“, sagt die 1989 geborene Amadyar selbst, „und natürlich kann man die Frage stellen, ob so zu Malen heute zeitgemäß ist“. Immerhin würden sich viele Künstlerinnen inzwischen in eine andere Richtung bewegen. Ihr selbst gefällt die Vorstellung, dass man ihre Bilder „in echt“ sehen muss, anstatt nur auf dem Screen, damit sich die volle Wirkung entfaltet. Temperatur, Materialität, physische Erfahrbarkeit, all das spielt in ihrer Kunst eine essenzielle Rolle. Ihre Bilder wirken, wenn man davor steht, rätselhaft reduziert. Als eröffne sich zwischen Bild und Betrachter ein auratischer Schleier, dessen Wärme grell in den Raum hineinragt und die Körper in den Gemälden in sinnstiftende Skulpturen verwandelt.

Tamina Amadyar, „eleven“, 2019, Glutin auf Leinwand, 170 x 200 cm
Tamina Amadyar, „eleven“, 2019, Glutin auf Leinwand, 170 x 200 cmGuido Baudach

Malen als Choreographie

Für das kunsthistorisch geübte Auge scheint die rothkoeske Anmutung all dessen auf der Hand zu liegen. Wie bei Rothko wirken Amadyars Bilder, als könnten sie Form in Licht übersetzen; anders als bei Rothko aber ist ihre kompositorische Strategie nicht die einer Gegenüberstellung quadratischer Figuren, sondern das unbeschwerte Ineinanderfließen letzterer. Wäre Rothko ein Fenster, mit klar definierten Außenrändern, Amadyar wäre das Prisma, das die Vorstellung klarer Strukturen invertiert: Linien und Kanten verschränken sich, schmiegen sich an, überlappen sich. Man meint, Szenen aus Joel Meierowitz‘ Fotografien zu erkennen, seine blau-pinken Wolkenlandschaften, oder seine Aufnahmen von Swimmingpools vor dem Meer. Oder aus James Turrells Lichtskulpturen, wo das Licht selbst zum Gegenstand der Betrachtung wird.

Die Assoziation mit US-Malern wie Rothko hört Amadyar nicht zum ersten Mal. Klar habe sie sich im Studium auch damit beschäftigt; genau genommen sei ihre Intention aber umgekehrt: Anders als die abstrakten Expressionisten, denen es ja darum ging, Inneres nach außen zu tragen, versuche sie, Äußeres einzufangen: eine Raumecke, eine Straßenszene oder ein Stadtbild; Dinge, die sie gesehen und gezeichnet hat, immer weiter dekonstruiert. Sie selbst vergleicht das mit einem Bühnenbild, dessen Hauptfigur die Betrachterin selbst ist. Im Malen, also in der Übertragung ihrer Bewegung auf die Leinwand, die sie auf dem Boden ihres Kreuzberger Studios ausbreitet, wird, so beschreibt sie das, ihr eigener Körperabdruck sichtbar – eine „Choreografie“.

Tamina Amadyarin in ihrem Kreuzberger Studio
Tamina Amadyarin in ihrem Kreuzberger StudioEwelina Bialoszewska

Tamina Amadyarin arbeitet auch figürlich mit Acryl und Aquarell

Das Studio der Künstlerin liegt in einem versteckten Hinterhof der Kreuzberger Oranienstraße, zwischen SO36, Roses Bar und einer unscheinbaren Moschee. Etwas spröde-industriell wirkt dieser Hinterhof, ein bisschen, wie man sich das Kreuzberg der 80er und 90er Jahre heute vorstellt. In dem Gebäude ist an diesem Tag niemand außer Amadyar selbst anwesend, durch die viereckigen Rasterglasfenster ihres Studios im obersten Stockwerk bricht weiches Licht in den offenen Raum.

Da sie sowieso die meiste Zeit allein im Studio verbringe, sei Corona für sie keine fundamentale Umstellung gewesen, sagt Amadyar. Tatsächlich hatte sie zwischen der Einzelausstellung bei ihrer Berliner Galerie Guido Baudach im September vergangenen Jahres und all dem, was sonst noch so anfällt, durch Corona endlich mal das Gefühl gehabt, einfach mal machen und sich ausprobieren zu können. Neben ihren charakteristischen Malereien, die sie seit knapp zehn Jahren malt, arbeitete sie auch figürlich mit Acryl und Aquarell – sie versuchte Bilder zu malen, als wäre es wieder das erste Mal. Teile dieser Bilder soll man im Mai in Karlsruhe sehen können.

Gelb taucht als Farbe immer wieder auf

„Am Ende habe ich gemerkt, dass ich an die Grenze des Materials stoße“, sagt sie. Acryl könne die Sättigung und das Leuchten, das für sie so essenziell ist, einfach nicht richtig einfangen. Wie sie dieses Leuchten erzeugt? Amadyar mischt ihre Farben selbst an. Sie nutzt das pure Pigment, das sie dann verdünnt und mit Hasenleim verrührt – eine Technik, die schon im Mittelalter verwendet wurde und die ihren Gemälden ihre ganz eigene, energetisch-granulöse Textur verleiht. Auch aus dem Material hallt also das Echo der Kunstgeschichte. Beim Hasenleim etwa denkt man an Dürers Feldhasen von 1502, ein Aquarell, welches das Tier als Tier in den Blick nahm und so die anthropzentrische Sehweise seiner Epoche relativierte. Oder an Beuys‘ toten Hasen, dem der Künstler einst in einer Performance die Kunst erklärte.

Wie auch Beuys studierte die in Kabul geborene Amadyar in Düsseldorf. Zwischenzeitlich übernahm sie für zwei Jahre eine Gastprofessur in Karlsruhe. Davon erzählt sie mit einer Selbstverständlichkeit, die für eine Anfang-30-jährige-Künstlerin fast ungewohnt wirkt, aber nie überheblich: „Im Fokus steht für mich, mit meiner Arbeit voranzukommen“, sagt sie, „das Gefühl zu haben, dass ich mich weiterentwickle“.

Hinter ihr lehnt ein Kunstwerk, dessen gelbe Farbe den hellsten Punkt im Raum markiert. Gelb tauche immer wieder bei ihr auf, sagt sie. Diese spezifische Wärme und Energie des Gelben sei inzwischen schon fast ein eigenes Thema in ihrer Arbeit. Im Bestfall passiere beim Betrachten der Farben etwas, das sich auf mehreren Sinnesebenen abspielt. Doch nicht nur die Sinne, auch die Vorstellungen von Zeitlichkeit verfließen beim Betrachten ihrer Bilder. Amadyars Kunst wirkt zugleich klassisch und völlig neuartig. Was ist das, in einem Wort? „Malerei“.

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Samstag am Kiosk oder hier im Abo.