Maria Hassabis "On Stage" im Tanzquartier Wien
Markus Gradwohl

Mit gleich zwei Uraufführungen in Folge schwingt sich das Tanzquartier Wien in den Dezember. Die eine, Maria Hassabis Solo "On Stage", überzeugte ihr Publikum am Freitag, die andere, ein weiteres Stück der "L.I.F.E"-Serie von Liquid Loft, folgt am Donnerstag. Die 1973 im zypriotischen Nikosia geborene Griechin Hassabi ist Choreografin und bildende Künstlerin in Personalunion. Zuletzt hat sie in Wien bei den Festwochen 2021 den Hauptraum der Secession mit ihrer Performance-Installation "Here" gefüllt. Davor waren ihre Arbeiten unter anderem im Pariser Centre Pompidou, dem New Yorker MoMA und bei der Kasseler Documenta 14 präsent.

Jetzt wird abermals klar, dass diese brillante Performerin bisher nicht ohne Grund mit Preisen überhäuft wurde. Für "On Stage" braucht sie nichts als ein wenig raffinierten Sound (Stavros Gasparatos), ein delikates Lichtkonzept (Aliki Danezi Knutsen), die leere Bühne der Museumsquartier-Halle G und ihren eigenen Auftritt, um das Publikum eine Stunde lang völlig in ihrem Bann zu halten.

Statue aus Finsternis und Licht

Zu Beginn taucht die von ihr verkörperte Frau wie eine Statue aus der Finsternis ins Licht. Gekleidet in Jeans und Blouson, deren blau-weiße Verwaschenheit einen Blick auf dunstiges Gewässer suggerieren, nimmt sie eine herausfordernde Pose ein: die Hände in den Hosentaschen, erhobener Kopf, Stand- und Spielbein lässig gegrätscht. So steht sie in ihren brandroten Schuhen die ganze Zeit über in der Bühnenmitte: als ein sich permanent verwandelndes Tableau vivant im Sound wie von über eine Landschaft fauchendem Wind, der sich mit momenthaftem Flüstern und vorbeiziehenden Musikfetzen mischt.

Ikonisch wirkende Körperhaltungen wie von klassischen Skulpturen, aus Renaissance- und Barockgemälden, Modefoto-Shootings oder manierierten Filmen werden in einer Mischung aus Stolz und Hingabe am Rand der Ekstase lebendig. Den nüchternen Ausgleich in dieser atemberaubenden Inszenierung schaffen das coole Kostüm und die geheimnisvolle Distanziertheit dieser Figur. Wenn Hassabi die Hände vor ihren Körper hält, scheint ihr die Zeit durch die Finger zu rinnen. Und wenn sie diese Finger an den Leib presst, hält sie ihre Gefühle im Zaum – gerade noch. Immer an der Kippe, knapp vor der Eruption.

So demonstriert die Künstlerin, wie sich eine weibliche Figur in unserer zerrissenen Gegenwart souverän und ohne Arroganz oder Eitelkeit als Antipodin des grassierenden Ungeists in Szene setzen kann. Und, wie es inmitten zappeliger Ideenarmut immer noch möglich ist, ganz neue Saiten im Tanz aufzuziehen. Ganz leicht hätte die Performerin bei "On Stage" in den Kitsch, etwa in Form eines Butô-Verschnitts, abgleiten können. Wer darauf wartet, wird gründlich enttäuscht. Und das Publikum war in der Uraufführung voll dabei: Während der stillen Momente des Stücks hätte man eine Stecknadel fallen gehört. (Helmut Ploebst, 25.11.2023)