Von seinen Anhängern wird Rudolf Steiner als Prophet verehrt und von den Kritikern als esoterischer Scharlatan abgetan. Der Reformpädagoge ist 150 Jahre nach seiner Geburt weiter relevant. Damals wie heute spaltet er die Gesellschaft.
Für den Nachwuchs nur das Beste, denken sich Anhänger der Anthroposophie und päppeln ihre Kleinen mit Gemüsebrei aus biologisch-dynamischem Anbau groß. Naturkosmetik schützt vor der rauen Umwelt, bei Problemen wird neben dem Schulmediziner zur Sicherheit noch ein anthroposophischer Alternativ-Arzt gefragt. Der Platz im Waldorf-Kindergarten ist seit der Geburt sicher. Was heute als ganzheitlicher Lebensstil in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, geht auf einen Menschen zurück: Den österreichischen Anthroposophie-Gründer Rudolf Steiner.
Anlässlich seines 150. Geburtstages am Sonntag (27. Februar) rückt Steiners umfangreiches Werk 2011 in den Mittelpunkt zahlreicher Ausstellungen, Konferenzen und Feiern. Drei neue Biografien von Nicht-Anthroposophen setzen sich mit Leben und Werk des von Wissenschaftlern oft abgelehnten Multi-Gelehrten auseinander, dessen selbst entwickeltes Weltbild seit Jahrzehnten Menschen in seinen Bann zieht. Von der Medizin über Pädagogik und Landwirtschaft bis zur politischen Gesellschaftsordnung – es gibt kaum einen Lebensbereich, zu dem sich Steiner nicht geäußert hat.
Glaubenssätze statt Forschung
Geschätzte 3500 Bauernhöfe folgen weltweit den strengen Regeln seiner biologisch-dynamischen Landwirtschaft („Demeter“-Produkte). Ihre Betreiber achten neben artgerechter Tierhaltung und ökologischer Pflanzenzucht auch auf kosmische Rhythmen und wollen ihre Produkte spirituell verstehen. Auch Kosmetik- und Arzneiprodukte aus dem Hause Weleda oder Dr. Hauschka (Wala) erobern mit ihren Blütencremes und rhythmischen aufbereiteten Pflanzenessenzen den Lifestyle-Markt – unter anderem Hollywoodstar Julia Roberts outete sich als deren Fan. „Steiner scheint in der Mitte der neuen Nachhaltigkeitskultur angekommen zu sein“, schreibt die Literatur-Journalistin Iris Radisch in der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Statt auf nachvollziehbare Forschung gründen sich Steiners Erkenntnisse auf selbst zusammengetragene Glaubenssätze mit verschiedenen Anleihen von der Antike bis zu fernöstlichen Religionen. „Sein schematisch-bildhaftes Denken wird den methodischen und theoretischen Ansprüchen heutiger Humanwissenschaften nicht gerecht“, sagt Ullrich. Er beschreibt Steiner als „Selfmade-Man“, der sich vieles selbst beigebracht oder zurechtgelegt hat.