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Allein daheim

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"Foto", eine Skulptur von Martin Honert.
"Foto", eine Skulptur von Martin Honert. © MMK

Zuhause bedeutet Geborgenheit, Liebe und Gemeinschaft. Das merkt man oftmals erst, wenn vieles davon fehlt – wie in Werken einer Schau, die Schüler im Museum für Moderne Kunst zu dem Thema kuratiert haben.

Zuhause bedeutet Geborgenheit, Liebe und Gemeinschaft. Das merkt man oftmals erst, wenn vieles davon fehlt – wie in Werken einer Schau, die Schüler im Museum für Moderne Kunst zu dem Thema kuratiert haben.

Florian mag den kleinen Jungen, der mutterseelenallein am Tisch sitzt. Deswegen wollte der 15-Jährige, dass er Gesellschaft bekommt, sein Blick nicht länger ins Leere gehen muss. Er wird also von Bildern mit Menschen umgeben, die sich in Arm nehmen, die Essen haben, er darf das Dschungelbuch im Fernsehen schauen. Alles sind Kunstwerke aus dem Bestand des Museums für Moderne Kunst (MMK), die Schüler der Ludwig-Börne-Schule in Frankfurt aus etwa 400 Objekten ausgesucht und zum Thema „Zuhause“ in neuen Zusammenhang gestellt haben.

Florian fasziniert auch die Vorgeschichte des Kleinen. Der Künstler Martin Honert verwendete ein Familienfoto als Vorlage, auf dem alle am Tisch in die Zeitung vertieft sind. Nur er selbst, damals fünf Jahre alt, konnte noch nicht lesen und blickt daher direkt in die Kamera. Die Installation, die aus dieser Situation entstand, gehört zu den besonders unmittelbar wirkenden Arbeiten der Schau. Schmerzhaft muss man die Einsamkeit fühlen, die auch in anderen Arbeiten ein Thema ist.

Zuhause kann man eben auch sehr allein sein. Die junge Frau beim Staubsaugen beispielsweise auf einem Foto von Paul Almasy oder die leeren Behausungen des Konzeptkünstlers Florian Slotawa. Er hat versucht, es sich in Hotelzimmern gemütlich zu machen, in denen Menschen der mobilen Gesellschaft heutzutage oft einen Großteil des Jahres verbringen. Aus Matratzen, Decken, Stühlen und Kissen hat er ambivalent wirkende Höhlen gebaut, sie fotografiert und am Morgen die Spuren wieder verwischt. Auf den Fotos sind sie verlassen, erinnern aber gleichzeitig an einen großen Spaß der Kinderzeit. „Ich musste sofort an früher denken“, erklärt der 15-jährige Giuseppe, was ihn an den Fotos besonders anspricht.

Erster Kontakt mit zeitgenössischer Kunst

Die Ausstellung gehört zu dem preisgekrönten Kunstvermittlungsprojekt „Show Up! 2011“ des MMK. Seit August haben 16 Schülerinnen und Schüler mit Lehrer Torsten Stüben das Thema ausgearbeitet. Sie besuchen eine „SchuB-Klasse“, in der Schülern, die bisher wenig erfolgreich im Unterricht waren, wieder Spaß am Lernen und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten vermittelt werden soll.

Zum Projekt gehört auch ein Videoguide, bei dem die Mädchen und Jungen vor der Kamera ihre Vorstellungen von zuhause und den Bezug der Kunstwerke erklären sowie Passanten interviewen. In Teams kümmerten sie sich um Pressearbeit, Kunstvermittlung und die Ausstellungseröffnung.

Dabei sind manche zum ersten Mal mit zeitgenössischer Kunst in Berührung gekommen. Tuana war ziemlich skeptisch. „Ich habe mir das total langweilig vorgestellt, nur Bilder anschauen“, sagt die 16-Jährige. Trotzdem hat sie sich nun 80 Stunden lang mit den Objekten und ihrer Präsentation beschäftigt. Tuana hat „Das Kinderzimmer“ von Hans-Peter Feldmann sehr berührt, ein Foto zweier Mädchen, das eine ist nur noch als ausgeschnittene Kontur und an seinem Schatten zu erkennen. „Es könnte die Schwester sein“, sagt Tuana, „die jetzt ganz allein ist.“

Zuhause macht auch Arbeit. Wer es schön haben will, muss pflegen, Pflanzen zum Beispiel. Dem 14-jährigen Alessandro hat als augenzwinkernder Appell das Projekt von Cornelia Schmidt-Bleek besonders gut gefallen. Die Künstlerin sammelte verkümmerte Zimmerpflanzen in Berlin, fotografierte sie und stellte einen Satz des Besitzers dazu. Ein entlaubter Bonsai ist Alessandros Lieblingsfoto. Dazu gesellen sich Vasen von Anna & Bernhard Blume, die eigentlich Teil einer anderen Installation des Künstlerpaares sind.

Readymades von Andreas Slominski ergänzen den Aspekt der Heimpflege: Ein zum Kunstobjekt erhobener Handfeger und eine aus verschiedenfarbigen Spültüchern formvollendet aufgeschichtete Skulptur. „Wir haben uns sehr große Freiheiten bei den Konstellationen genommen“, sagt Jule Hillgärtner, Kunstvermittlerin im MMK.

Zuhause ist auch der Bereich, in dem einem keiner reinreden darf, sagt Marc, in dem man auch mal Partys feiern kann, wie die brillant leuchtenden Fotoarbeiten von Stefan Exler andeuten. Menschen liegen in Schlafsäcken im Chaos herum. Doch der erste Eindruck täuscht erneut. Die Medikamente neben dem Bett lassen eine andere Interpretation des schlafenden Mannes offen.

Auch hier genau die richtige Dosis Unbehagen, neue Gedanken zu einem Thema anzustoßen, zu dem jeder was zu denken und zu fühlen hat.

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