Der Streamingdienst HBO Max nimmt „Vom Winde verweht“ aus dem Programm – wegen rassistischer Vorurteile.

Es ist einer der erfolgreichsten Filmklassiker aller Zeiten. Der erste Film der Geschichte, der mit Oscars förmlich überhäuft wurde (acht Trophäen in einer Zeit, als es noch viel weniger Kategorien gab als heute). Und einer, der obendrein einen uramerikanischen Stoff behandelt. Handelt „Vom Winde verweht“ doch nicht nur von der Liebe zwischen Scarlett O’Hara und Rhett Butler. Sondern auch vom traurigsten Kapitel der US-Geschichte, dem Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden. Wobei Scarlett O’Hara als verwöhnte Südstaatentochter auf der historisch falschen Seite steht.

„Vom Winde verweht“: Vorurteile, die in Hollywood leider gang und gäbe waren

Der Film auch? Der Streamingdienst HBO Max hat am Dienstag bekannt gegeben, dass er das Monumentalepos von 1939 aus seinem Programm nimmt. Weil der Film ethnische und rassistische Vorurteile zeige, „die leider in der amerikanischen Gesellschaft gang und gäbe waren“, wie ein Sprecher sagte. Zuvor hatte John Ridley, Drehbuchautor des Sklavendramas „12 Years a Slave“, von HBO gefordert, den Film aus dem Angebot zu nehmen.

„Es ist ein Film, der in den Momenten, in denen er nicht ohnehin den Horror der Sklaverei ignoriert, einige der schmerzhaftesten Stereotype über People of Color verbreitet“, schrieb Ridley in der „Los Angeles Times“. HBO, das zum Medienkonzern Warner Media gehört, hat darauf nun reagiert. Wohl auch angesichts der anhaltenden Anti-Rassismus-Proteste nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd durch Polizeigewalt.

Kein Zugang zur Oscar-Verleihung

Die Kritik an dem Film zielt auf die in der Tat mehr als fragwürdige Darstellung von Sklaven, die hier ganz zufrieden in ihren unfreien Verhältnissen leben und loyal zu ihren Peinigern stehen: als mütterliche Trösterin wie Scarletts Kindermädchen – die nicht mal einen Namen hat, sondern Mammy gerufen wird–, oder aber als tölpelhafte Lachnummer mit Kieksstimme.

Dabei wollte sich die Traumfabrik bei „Vom Winde verweht“ noch besonders modern und liberal präsentieren. Weil Hattie McDaniel, die die Mammy spielte, als erste Afroamerikanerin mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Als beste Nebendarstellerin. Sie durfte dennoch, wegen ihrer Hautfarbe, während der Preisverleihung nicht mit all den weißen Stars im Saal sitzen. So offen war Hollywood dann doch nicht.

Erstes Großprojekt von Hollywood, aber zutiefst rassistisch: „Geburt einer Nation“ von D.W. Griffith (1915). .
Erstes Großprojekt von Hollywood, aber zutiefst rassistisch: „Geburt einer Nation“ von D.W. Griffith (1915). . © picture alliance / Everett Collection | Courtesy Everett Collection

„Diese rassistischen Darstellungen waren damals falsch und sind es auch heute noch, und wir waren der Meinung, dass es unverantwortlich wäre, diesen Titel ohne eine Erklärung und eine Anprangerung dieser Darstellungen im Programm zu behalten“, erklärte der Sprecher von HBO Max weiter.

Der Fall Floyd hat alten Forderungen nach tiefgreifenden Reformen bei der US-Polizei neuen Auftrieb gegeben. Und eine Rassismus-Debatte auch in anderen Ländern entfacht. Aber deshalb einen Klassiker in den Giftschrank stellen? HBO Max ist eine noch junge Plattform, man könnte dies als Marginalie abtun. Aber womöglich macht das Beispiel Schule. Und auch andere Filme könnten auf dem Prüfstand landen.

Nun sind diskriminierende Darstellungen jedweder Art immer ein Übel, das sauer aufstößt. Und einem auch liebgewordene Filme madig machen kann. Das berüchtigtste Beispiel ist D.W. Griffiths „Geburt einer Nation“, 1915 die erste Großproduktion von Hollywood, aber eben auch das erste Paradebeispiel rassistischen Darstellungen. Rassismus gehört leider schon seit den Anfängen zur Filmindustrie dazu. Und natürlich ist es richtig und wichtig, wenn man bei neuen Filmproduktionen genau hinschaut, ob da rassistische Klischees bedient werden.

Rassismus-Vorwurf gegen den Oscar

Solcher Kritik musste sich kürzlich kürzlich etwa die französische Komödie „Hereinspaziert“ stellen, weil sich Sinti und Roma darin verunglimpft sahen. Selbst gegen „Green Book“, den Oscar-Sieger von 2019, gab es Rassismus-Vorwürfe, obwohl er die Rassentrennung der 60er-Jahre aufgearbeitet hat – aber nicht aus der Perspektive eines Schwarzen, sondern der seines weißen Chauffeurs. 2016 wurde sogar ganz Hollywood Rassismus vorgeworfen („#OscarsSoWhite“), weil bei den Oscars mal wieder nur weiße Filmschaffende nominiert waren.

Whitewashing: In der Manga-Verfilmung „Ghost Shell“ wurde die asiatische Heldin von Scarlett Johansson verkörpert.
Whitewashing: In der Manga-Verfilmung „Ghost Shell“ wurde die asiatische Heldin von Scarlett Johansson verkörpert. © Paramount Pictures | Credit: Paramount Pictures

Zwiespältig aber wird die Diskussion, wenn es einerseits als Fortschritt angesehen wird, wenn asiatisch- oder afro-amerikanische Schauspieler Rollen spielen dürfen, die für Weiße angelegt waren, es aber andererseits Shitstorms hagelt, wenn etwa eine Scarlett Johansson 2017 die Hauptrolle in der Manga-Verfilmung „Ghost Shell“ spielt, die in der Vorlage eindeutig eine Asiatin war. Der Vorwurf hier lautet „Whitewashing“. Und ganz schwierig wird es, wenn man mit dem heutigen, glücklicherweise viel offeneren und diversen Blick Werke von einst kritisiert. Wird da vielleicht in vorauseilendem Gehorsam der Political Correctness auch überreagiert?

Auch bei „Pippi Langstrumpf“ wurde schon gestritten

In den 70er-Jahren entzündete sich eine Rassismus-Debatte an „Pippi Langstrumpf“, dem Kinderbuch, mit dem Generationen aufgewachsen sind. Dort werfen sich bei einem Besuch in Afrika schwarze Kinder der Titelheldin vor die Füße. Das wurde als koloniale Geste kritisiert, obwohl Pippi diese Art der Unterwerfung sofort konterkariert, indem sie sich gleichfalls zu Boden wirft und das Ganze als Spiel deklariert.

Vor elf Jahren wurde die deutsche Übersetzung überarbeitet, die Bezeichnung „Neger“ entfernt und Pippis Vater vom „Negerkönig“ zum Südseekönig umdeklariert. Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach sprachen sich jedoch 75 Prozent der Befragten für die Beibehaltung der Originalbezeichnung aus. Sind Pippi-Leser alle Rassisten?

Welcher Film ist als Nächstes an der Reihe?

Wenn man „Vom Winde verweht“ nun in den Giftschrank stellt, was kommt dann als Nächstes? Der Filmklassiker „Othello“, weil Meisterregisseur Orson Welles selbst die Hauptrolle spielte? Vielleicht auch alle Eddie-Murphy-Filme, weil er letztlich ganz alte Stereotype des komischen Schwarzen bedient hat – wenn auch diesmal nicht aufgezwungen, sondern aus eigenem Willen? Letztlich ist gerade ein Klassiker wie „Vom Winde verweht“ ein hervorragend geeignetes Lehr- und Anschauungsmaterial, an dem man etwa mit Schulklassen über überalterte und verkommene Weltanschauungen diskutieren könnte.

Und letztlich entscheidet in der Branche auch heute noch immer der Kommerz über die Moral. Auch bei HBO Max. Bei der erst kürzlich gestarteten Streaming-Plattform soll der Film nämlich zu einem späteren Zeitpunkt zurückkehren. Im Rahmen einer Diskussion über den historischen Kontext. So hätte man den Film auch gleich anbieten können. Knickt da die junge Plattform bei jeder Kritik, die ihr entgegenweht, gleich ein? Oder wird gar eine aktuelle und zwingend notwendige gesellschaftliche Debatte gar benutzt, um die neue Plattform ins Gespräch zu bringen?