Die Künstler liefern die Hardware, träumen müssen die Besucher selber

Das Künstlerpaar Janet Cardiff & George Bures Miller baut im Basler Museum Tinguely komplexe Maschinenräume. Den Rest erledigt das Publikum.

Maria Becker 4 min
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Janet Cardiff & George Bures Miller: «Experiment in F# Minor», 2013.

Janet Cardiff & George Bures Miller: «Experiment in F# Minor», 2013.

Ian Lefebvre

Hier sollen wir ausdrücklich tun, was wir im Museum meist nicht dürfen: ein Kunstwerk anfassen. Es ist ein alter Holztisch, der vor uns steht. Seine Platte mit Farbspuren und Kerben erzählt eine Arbeitsgeschichte. Doch nicht nur das Sehen spricht hier mit. Wenn wir mit den Händen über die Fläche streichen, lösen wir Klänge aus. Sie schweben im Raum kurz auf wie Phantome und verschwinden, sobald die Berührung nicht mehr da ist. Wundersam wirkt das, als wenn man etwas zum Leben erwecken würde. Nicht allein der greifbare Gegenstand erzählt eine Geschichte, sondern der Klangraum, der uns wie eine unbekannte Sphäre umfängt.

«To Touch» heisst der klingende Tisch. Er ist eine der frühen Arbeiten von Janet Cardiff & George Bures Miller. Im Jahr 1993 entstanden, gehört das interaktive Kunstwerk zu einer inspirierenden Ausstellung im Museum Tinguely, die dem Werk der kanadischen Künstler gewidmet ist. Die beiden sind auch privat ein Paar und arbeiten seit den 1990er Jahren kongenial an der Verbindung von Klang, Bild und Imagination. Technische Perfektion und Poesie zeichnen die Werke aus, und man kann nur erahnen, welche Handschrift zu dem einen oder zu dem anderen gehört.

Janet Cardiff & George Bures Miller: «To Touch», 1993.

Janet Cardiff & George Bures Miller: «To Touch», 1993.

PD

Jeder sieht etwas anderes

Die Arbeiten von Cardiff & Miller lösen immer eine Mixtur von Wahrnehmungen aus: Hören, Sehen, Fühlen. Auch die Erinnerung spielt mit, vage und nicht wirklich greifbar. Wie so vieles nicht greifbar ist bei diesen Imaginationsmaschinen. Eigentlich möchte man lieber nicht von Maschinen sprechen, obwohl alle Werke auf komplexen technischen Installationen basieren. Eher würde man sie als Orte bezeichnen, an denen Überraschendes, Erschreckendes, Wundersames geschieht.

Die Künstler arbeiten bewusst mit der Imagination der Museumsbesucher. Ihre Arbeiten setzen etwas in Gang, was sich fast unbemerkt in ihm weiterspinnt. Was rufen die Diaprojektionen einer Reise, die Filmschnitte, die Fetzen von Musik und alltäglichen Geräuschen wach? Es sind Geschichten, Erlebtes, Gesehenes – oder, etwas weiter gefasst: Imaginationsräume. In jedem Betrachter werden es andere Räume sein. Sie sind so vielgestaltig wie der individuelle Schatz an Erinnerungen, den er in sich trägt.

Janet Cardiff & George Bures Miller: «The Muriel Lake Incident», 1999.

Janet Cardiff & George Bures Miller: «The Muriel Lake Incident», 1999.

PD

Tatsächlich hat diese Kunst viel mit dem zu tun, was vergangen ist. Cardiff & Miller setzen unsere Erinnerung wie ein selbständiges Element ihrer Werke ein. Sie beziehen sich dabei auch auf kollektive Erinnerungen: das Kino, das Theater, Reisen, Träume und Ängste. Da ist doch ein Film mit typischen amerikanischen Darstellern und einer irgendwie erkennbaren Handlung, die wir uns im Kopf zusammenbauen. Wenn wir in das Guckfenster eines Minikinos im Museum hineinblicken, erscheint alles in der Möglichkeitsform: Was geschah? Was wird geschehen? Da unsere eigene Vorstellung immer mitspielt, sind wir aktive Mitgestalter der Werke. Wir selbst sind die Traummaschinen.

Es ist nicht leicht, die Kunstform von Cardiff & Miller zu fassen. Sie schaffen Maschinen, die als wesentlichen Bestandteil etwas Immaterielles einsetzen: Klang, Geräusch, Stimme und die individuelle Phantasie. Nicht zuletzt ist die Raumwahrnehmung Teil ihrer Werke. Der Klang breitet sich aus und umfängt die Besucher als eigenständiges Element. Die choreografierte Montage von zahlreichen Lautsprechern im abgedunkelten Raum erzeugt eine eigene Physiologie des Hörens. Das ist es auch, was die Künstler möchten: den Klang wie ein skulpturales Material benutzen. In ihrem Sinne ist es die Kreation eines neuen Kunstgenres.

Fast alle Arbeiten im Tinguely-Museum sind in abgedunkelten Räumen inszeniert. Nur die Installationen selbst erscheinen im hellen Licht. Auch ist stets nur ein Werk im Raum. Das schafft eine sakrale Atmosphäre, in der die Wahrnehmung bewusst fokussiert wird. Das Lauschen ist im Vordergrund und kann durch Tasteninstrumente oder durch Berührungen gesteuert werden. Wir hören und können eigene Kompositionen kreieren. Sobald Stille eintritt, wird auch sie als selbständiges Element erfahrbar.

Janet Cardiff & George Bures Miller: «Opera for a Small Room», 2005.

Janet Cardiff & George Bures Miller: «Opera for a Small Room», 2005.

PD

Gefährdete Räume

Wie oft im späteren Werk von Künstlern werden auch die Arbeiten von Cardiff & Miller zunehmend komplexer. Sound, Licht und Skulptur fügen sich zu dystopischen Stadtsilhouetten, aus denen es keinen Ausweg zu geben scheint. So ist der Einsiedler im Outback vielleicht eine Möglichkeit, um zu überleben. Es ist ein zusammengezimmerter Holzraum im Museum, ausgestattet mit billigen Kristallleuchtern, Teppichen und unzähligen Schallplatten, die alle den Namenszug eines unbekannten Mannes auf der Hülle tragen. Cardiff & Miller haben die Plattensammlung mit Opernwerken 2005 auf einem Flohmarkt gefunden und eine imaginäre Existenz darum herum geschaffen.

Auch diese Installation ist dystopisch und wirkt gefährdet, als sei die wohnliche Sphäre nur ein dünner Schutz vor äusserer Wildnis. Wie einsam erscheint es, in aller Abgeschiedenheit die Opern zu hören. Vielleicht liebte es der Besitzer der Plattensammlung, sich in der Musik einzuschliessen wie in einer anderen Welt. Ein Schatten huscht manchmal durch den Raum.

Es ist ein Sehnsuchtsraum und zugleich ein Mahnmal für die Unmöglichkeit, die Träume als Bollwerk gegen das Aussen zu setzen. In diesem Sinne sind die Traummaschinen immer zwiespältig.

Janet Cardiff & George Bures Miller. Dream Machines. Museum Tinguely, bis 24. September. Katalog Fr. 35.–. In der Druckereihalle im Basler «Ackermannshof» ist begleitend zur Ausstellung die grosse Sound-Installation «The Forty Part Motet» von Janet Cardiff zu sehen.

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