Stella Hamberg mit „Corpus“ im Arp MuseumIm Duett mit Licht und Bronze

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Stella Hamberg

Rolandseck – Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck hat sich in diesem verrückten, unberechenbaren Pandemiejahr Großes vorgenommen: Direktor Oliver Kornhoff hat für 2021 nicht nur das Motto „Fantastisch plastisch“ ausgegeben, er zeigt ab Ende Juni auch noch den wohl bedeutendsten Meister des Fachs: Den großartigen Auguste Rodin, der sich einem Wettstreit mit dem Hauspatron Hans Arp auf der Beletage des Meierbaus stellt. Ein Leckerbissen. Richard Meier, Architekt des Neubaus, den er eigentlich als durchlichtete Villa für Skulpturen konzipiert hat, wird sich, wenn er davon erfährt, nicht nur über dieses Gipfeltreffen freuen, sondern auch über das, was ein Stockwerk höher ab Sonntag als Ouvertüre gegeben wird (leider vorerst nur digital): Die in Berlin lebende Bildhauerin Stella Hamberg zeigt in dem beachtlichen Vorspiel unter dem Titel „Corpus“, wie abenteuerlich Plastik und Skulptur sein können, sensibilisiert das Publikum schon mal für das Doppel Rodin/Arp.

Und das tut sie in einem quasi entkernten, riesigen Loft mit Tageslicht aus allen Ecken. Die vergangenen Jahre war die sogenannte Arp-Etage mit Einbauten, Trennwänden und Kojen derart zugestellt, dass man hier die Großartigkeit von Meiers Architektur nur erahnen konnte. Jetzt atmet der Raum Freiheit und Licht. Möge es so bleiben! Hamberg stellt sich in der von Jutta Mattern kuratierten Schau der Dominanz des Raumes selbstbewusst und souverän. Sie bespielt das Loft mit 21 großen Skulpturen und zwei Wandreliefs. Und freut sich daran, wie das wechselnde Tageslicht immer wieder neue Effekte auf die Oberflächen der Bronzen zaubert. Das Licht modelliert quasi mit der Bildhauerin um die Wette. Licht und Bronze, das ist wie ein Duett, das stets für überraschende Momente sorgt. 

Der Zauber der Bildhauerei

Da wirkt die Oberfläche mal unruhig pulsierend, mal geschlossen. Licht und Schatten lassen die dreidimensionale Kunst quasi lebendig werden. Im Umrunden der Arbeiten gewinnt der Besucher neue Perspektiven und Ansichten, alles scheint im Wandel zu sein. Das ist das Geheimnis, der Zauber, das Spannende bei der Bildhauerei.

Hamberg (Jahrgang 1975), die bei Martin Honert Bildhauerei in Dresden studiert hat und zu den Künstlern der Berliner Galerie Eigen + Art gehört, zeigt in ihrer ersten umfassenden Soloschau Werke, die 2007 bis 2021 entstanden. Drei Bronze-Gruppen sind zu sehen, die „Trance“ genannten, glattpolierten androgynen Torsi, drei eher realistisch anmutende Ganzfiguren-Bildnisse stiller, in sich gekehrter Figuren und ein breites Feld expressiver, wilder Arbeiten. Das reicht vom fantasy-artigen, überlebensgroßen „Berserker“ auf der Terrasse hinter dem Museum und einem janusköpfigen Wesen auf dem Balkon mit Blick auf Rhein und Siebengebirge bis zu Körperfragmenten, einem kauernden Krieger und erstarrten Ornamenten, die in den Raum zu greifen scheinen.

Die ursprünglich in Gips oder in Ton modellierten Plastiken – was jeweils einen unterschiedlichen Charakter der „Außenhaut“ erzeugt – demonstrieren, welche gestalterischen Mittel die Bildhauerei hat. Oberflächen erscheinen lebendig und geradezu malerisch wie mit einem Pinsel aktiviert, Mutationen jeglicher Art sind möglich. Das zeigt sich besonders in der Arbeit „Hund“, ein dreiköpfiges Fabelwesen, das nicht nur je nach Perspektive seine Erscheinungsweise ändert, sondern tatsächlich aus verschiedensten Wesen kombiniert zu sein scheint. Ähnlich ambivalent kommt „das ist das“ daher, ein riesiges, mit Zähnen bewaffnetes, aufgesperrtes Maul, das den Betrachter in der Schwebe lässt: Erleben wir entfesselte Aggression oder herzzerreißenden Schmerz? Oder ist das überinterpretiert und wir blicken „nur“ in einen Abgrund?

Hambergs Ansatz mutet konservativ an, zumindest widmet sie sich klassischen Bildhauer-Themen wie Porträt, Reiterstandbild, Torso und Rundrelief (Tondo). „Diese Sujets haben es verdient, neu bearbeitet zu werden“, meint Hamberg, „und heutige Künstler haben die Pflicht, sich dem Alten zu stellen“. Hambergs Interpretation ist vital, buchstäblich zupackend: Die unglaubliche Energie, die sie beim Arbeiten in den Gips oder Ton hineingesteckt hat, gibt die Bronze im lichtdurchfluteten Meierbau wieder ab. Eine durchweg gelungene Ouvertüre zu Rodin und Arp.

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