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Ex-Problemschule Neukölln will Rütli-Campus klonen

Schüler traten Türen ein, bewarfen ihre Lehrer, zündeten Knallkörper: Die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln machte bundesweit Schlagzeilen. Jetzt entsteht dort mit vielen Millionen Euro eine Bildungsoase, die als Vorbild für andere Schulen dienen soll. Doch hätten pädagogische Klone eine Chance?
Von Tina Friedrich
Neue Quartierssporthalle auf dem Campus Rütli: Einstige Problemschule als Modell

Neue Quartierssporthalle auf dem Campus Rütli: Einstige Problemschule als Modell

Foto: Wolfgang Kumm/ dpa

Die Schüler in der gut gefüllten, neuen Multifunktionshalle brechen in spontanen Jubel aus. Sie applaudieren nicht für einen Popstar, nicht für einen Schauspieler, nicht für ein Model. Sie bejubeln ihre Schulleiterin, als sie das Podium betritt. Cordula Heckmann strahlt. Zum "Kultur-, Bildungs- und Bewegungsort" soll die neue Halle werden. "Gibt's hier kein W-Lan?" ruft jemand, einige lachen.

Ein Jahr lang wurde die neue Halle gebaut und an einigen Stellen ist noch nicht jedes Deckenpanel verlegt, hier und da fehlt noch ein Spiegel über dem Waschbecken. An diesem Tag an der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln spielen die kleinen Baustellen keine Rolle.

Der Campus Rütli, wie die Schule sich jetzt nennt, war lange eine pädagogische Baustelle, an der vieles ausprobiert wurde - und vieles mittlerweile ziemlich gut funktioniert. Deshalb soll das Konzept Rütli jetzt geklont werden. Aber kann in anderen schwierigen Nachbarschaften funktionieren, was hier gelang?

Noch vor wenigen Jahren stand der Name Rütli für alles, was schief läuft an Schulen in Problemkiezen. Die Lehrer schrieben einen Brandbrief, klagten über Gewalt, Aggression und Ignoranz: Sie berichteten von Schülern, die Türen eintraten, ihre Lehrer mit Gegenständen bewarfen und Knallkörper zündeten, und sie forderten die Auflösung der Hauptschule. Es war ein Hilferuf, über den fast alle Zeitungen in Deutschland schrieben.

Wie die Rütli-Schule zum Vorbild werden soll

So kam der Berliner Senat kaum umhin, die Schule ins Programm zu nehmen, als sie sich 2008 um das Modellprojekt Gemeinschaftsschule bewarb. Die ehemalige Hauptschule schloss sich mit einer Realschule, einer Grundschule und zwei Kindergärten zusammen, das Land investierte Millionen Euro, es gibt Kooperationen mit Jugendclubs und Musikschulen, es entstand eine Bildungsoase mitten in Neukölln.

Jetzt, zur Einweihung der neuen Multifunktionshalle, klopfen sich die Beteiligten auf die Schulter. Weniger Schulabbrecher als im Durchschnitt, steigende Anmeldezahlen auch aus deutschen Familien, ein erster Abiturjahrgang der gymnasialen Oberstufe im übernächsten Schuljahr.

Gewissermaßen ein zweites Rütli soll jetzt im Süden Neuköllns entstehen: Dort sollen die Walt-Disney-Grundschule, die Liebig-Oberschule und das Oberstufenzentrum Lise Meitner zu einem neuen Campus zusammenwachsen. Schon heute werben alle drei Schulen auf ihren Webseiten damit. "Im Herbst 2013 startet der erste Jahrgang der Gemeinschaftsschule", kündigt Franziska Giffey an, die Neuköllner Bezirksstadträtin für Bildung.

Allerdings gehört zu den Erfolgsfaktoren auf dem Campus Rütli eine Ressource, die sich nicht einfach an andere Schulen übertragen lässt: das Engagement von Lehrern, Schulleitern, Eltern, Bezirkspolitikern und ihren Mitarbeitern in der Verwaltung, die alle an die Idee glaubten. Und ein Netzwerk aus Unterstützern sowie die mediale Aufmerksamkeit.

Vieles hängt am Personal

Den Schülern ist klar, was ihre Schulleiterin hier mit aufgebaut hat, auch deswegen jubeln sie. Und Cordula Heckmann wiederum hatte ziemlich freie Hand, als es um das Lehrerkollegium ging: "Es war den Lehrern damals freigestellt, ob sie diesen Weg mitgehen möchten oder lieber im alten Schulsystem bleiben. Rund ein Drittel hat sich bewusst dagegen entschieden."

Klar, der Umbau zum Campus sei ein Versuch gewesen, sagt Heckmann. Aber es habe sich gelohnt. Ihr Rezept: Kinder und Eltern ernst nehmen, sie einladen in die Schule, auch wenn gerade keine Probleme zu besprechen sind, immer wieder den Dialog suchen. Aber auch: Deutliche Worte finden, wenn einmal etwas nicht so läuft, wie es soll. "Freundliche Klarheit" nennt sie das. "Die Schüler wissen das auch." 750 Kinder und Jugendliche gehen heute auf dem Campus Rütli zur Schule.

Auch Neuköllns umstrittener Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) ist bei der Eröffnung der neuen Halle dabei. Auch er spricht über das Zusammenspiel der richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort: "CR steht für Campus Rütli, aber Insider wissen, dass es eigentlich Christina Rau heißt." Die Frau des ehemaligen Bundespräsidenten hatte dazu beigetragen, dass die Schule neue Partner fand, etwa Stiftungen. Denn 6 Millionen Euro hat alleine der Bau der Halle gekostet, bezahlt vom Senat, zum Teil gefördert durch Gelder aus den EU-Regionalfonds. Weitere 30 Millionen Euro werden noch in die nächsten Bauabschnitte fließen. In vier Jahren soll dann alles fertig sein.

All das lässt sich kaum auf jede Problemschule übertragen. Schon vor Jahren monierten andere Neuköllner Schulleiter: Sie wünschten dem Leuchtturm-Projekt Rütli zwar viel Erfolg, aber sie selbst hätten eben keine Stiftungen, die ihnen jeden Wunsch von den Lippen ablesen würden.

Doch auch sie werden gespannt nach Süd-Neukölln blicken, wo für das Jahr 2014 der erste Spatenstich für den Rütli-Klon geplant ist. Ein Berliner Architekturbüro hat sich mit einem Entwurf für das Oberstufenzentrum durchgesetzt, die TU Berlin ist bei dem neuen Campus-Projekt mit an Bord, ebenso ein Wohnungsbau-Unternehmen. Gute Kontakte eben.