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Fragmentierte UnHeimlichkeiten

Loredana Sperini – Werkjahr für Bildende Kunst 2017

Fragmentierte UnHeimlichkeiten

2017 hat die Stadt Zürich zum fünften Mal ihr mit 48 000 Franken dotiertes Werkjahr verliehen. Mit Loredana Sperini wurde auf Antrag der Kommission für Bildende Kunst die Arbeit einer Künstlerin unterstützt, die sich konsequent den vorherrschenden Trends der Gegenwart, der Sensationslust, der Schnelllebigkeit und einem ausgeprägten Personenkult entzieht. Stattdessen rückt Loredana Sperini vor allem die Erforschung und Wiederbelebung der von ihr ausgewählten Materialien in den Vordergrund ihres künstlerischen Handelns. 

Kunst des zweiten Blicks

Was sieht man? Der Blick geht zum Betrachter selbst: Untitled, 2015, Bronze, Puppenaugen, 15 x 8.5 x 9 cm. Kunstsammlung Stadt Zürich
Was sieht man? Der Blick geht zum Betrachter selbst: Untitled, 2015, Bronze, Puppenaugen, 15 x 8.5 x 9 cm. Kunstsammlung Stadt Zürich

Manche Dinge entfalten vor allem auf den zweiten Blick ihre volle Wirkung. Loredana Sperinis künstlerische Arbeit erscheint zunächst wie formalästhetische, farben- sowie materialprächtige, und bis an den Rand der Perfektion getriebene Objekt-Kunst. Erst auf den zweiten Blick wandelt sich die fast lieblich wirkende Oberflächenstruktur ihrer (Wand-)Installationen, Kleinskulpturen, Zeichnungen, Stoff-Arbeiten und Wachs-Beton-«Malereien» in ihr Gegenteil, entwickeln ihre Exponate ein Eigenleben und produzieren dabei einen sonderbaren Sog, den Sperinis Werk insgesamt entfaltet.

Untitled, 2016 (Detail)
Untitled, 2016 (Detail), Bronze, 93 x 47 x 36 cm. Foto: Sebastian Stadler / Privatsammmlung

Eine fröhlich und sehr dekorativ anmutende Girlande etwa mutiert bei genauerem Hinsehen zu einer meterlangen Kette aufgefädelter, schwarzer, zwischendurch bronzefarbener Finger. Diese wurden, bis hin zur faltigeren Haut rund um die Gelenke, detailgenau rekonstruiert und vermitteln den Eindruck als seien die jeweils fünf aneinandergereihten Finger direkt von den Handflächen abgetrennt worden. Angesichts dieser Fingeransammlung fragt man sich plötzlich, wie viele Hände, Arme, Menschen hätten sterben müssen? Wie sich Finger am besten durchbohren lassen? Und was am menschlichen Leben eigentlich zählbar ist?

Friedlich schlummernde, im gläsernen Regal ausgestellte und aufgebahrte Antlitze erscheinen mit einem Mal wie Totenmasken des Konsums. Wächserne Hüllen, die einem zuzuflüstern scheinen, wie hohl all das ewige Wollen und Wünschen ist.

Überhaupt erinnern einen die zahlreichen Hände, Ohren und Füsse – einzelne oder vereinzelte Gliedmassen also, auf die man sich in Sperinis Arbeit immer wieder gefasst machen muss – in Zeiten eines ausgeprägten Körper-(Maschinen)-Kults an die Fragilität, fragmentarische Dysfunktionalität und Angst einflössende Gebrechlichkeit des menschlichen Körpers.

In der Summe wirkt das alles vor allem unheimlich. Unheimlich im Sinne der psychoanalytisch geschulten Kulturtheorie: Als Wiederkehr des Verdrängten, das uns Altbekanntes, heimisch und vertraut Wirkendes unversehens fremd, furchtbar und durchaus ungeheuer(lich) erscheinen lässt.

Stickgarn statt Zeichenstift

Körperteile treten hervor: Untitled, 2014, Bronze, 31 x 13 x 6 cm. Foto: Daniele Kaehr / Privatsammlung
Körperteile treten hervor: Untitled, 2014, Bronze, 31 x 13 x 6 cm. Foto: Daniele Kaehr / Privatsammlung

Loredana Sperini selbst verneint eine solche Intention ihres Arbeitens weitestgehend. Dennoch weist bereits ihre erste, um die Jahrtausendwende auf viel positive Beachtung treffende Werkreihe solche Züge des Unheimlichen auf. In minutiöser Kleinstarbeit transferierte Sperini hier Zeichnungen von Freundinnen. Stickenderweise. Schwarzer Faden auf weissem Stoff. Das Resultat wirkt – trotz, oder gerade auf Grund der hauchzarten Materialität – auf beunruhigende Weise verstörend: Kopfgeburten erheben, Gesichtszüge verdoppeln und verdunkeln sich, Körper zerbröseln – geisterhaft weben sich die so entstandenen Figurationen in die Stoffbahnen ein.

Und auch hier bleibt eine, das Werk von Loredana Sperini bestimmende Differenz zwischen Intention und Wahrnehmung vorherrschend: Keine Rede von Morbidität, Zerfall oder auf den eigenen Körper bezogenen (Überlebens-)Ängsten bei der Künstlerin. Keine Frage danach, ob ich die bin, als die ich erscheine? Oder auch, ob ich eine Frau bin, nur weil ich im Körper einer Frau geboren wurde? Stattdessen habe sie, so Sperini, vor allem der Wechsel vom einen Material zum anderen, vom Zeichenstift zum Stickgarn, die – nicht zuletzt handwerkliches Geschick erforderliche – Arbeit mit Faden und Stoff, und damit eine Art Zurückeroberung der materiellen Greifbarkeit ihres eigenen künstlerischen Tuns interessiert. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. 
  

Trouvaillen auf dem Flohmarkt

Untitled, 2016, Wachs, Zement, Pigment, 30 x 21 x 4,5 cm. Foto: Sebastian Stadler / Privatsammlung
Untitled, 2016, Wachs, Zement, Pigment, 30 x 21 x 4,5 cm. Foto: Sebastian Stadler / Privatsammlung

Im Zuge eines durch die Landis+Gyr-Foundation ermöglichten Residency-Aufenthalts in Berlin begegnet Sperini dann 2006 – auf einem seit Jahrzehnten betriebenen Flohmarkt am Arkonaplatz im Prenzlauerberg – dem Stand einer alten Frau. Und dort zahlreichen, auf den ersten Blick niedlich, auf den zweiten Blick skurril wirkenden Nippes-Figürchen. Traurig dreinblickende Schlappohrhunde. Gartenzwerge mit ausgehöhltem Blick. Soldaten-Figürchen. Artig anmutende Puppengestalten. Allesamt aus dem Berlin des 2. Weltkriegs stammend.

Eingedenk deren Herkunft zerschlägt Sperini die gefundenen Porzellanfiguren und verbindet sie – unter Schwärzung spezifischer Stellen–zu neuartigen, skulptural anmutenden Sondergeschöpfen. Tierliche Kreaturen, die von gegenwärtigem Vergangenem erzählen, von verdrängter, grauenvoller und bis heute unabgeschlossener Geschichte. Niedliche Wesen, die einen mit ihren tausend (un-)heilvollen (Augen-)Blicken das Fürchten lehren (können). 

Die Erfahrung mit den in Berlin aufgestöberten und zu neuem Leben erweckten Nippes-Figuren begründen in Sperini den Wunsch, eben solche «Objets-trouvés» selbst zu kreieren.
Ein Begehren, das sich durchaus als «männlich» labeln liesse. Andere wiederum behaupten – insbesondere in Bezug auf das Arbeiten mit Stoff und Stickgarn –, Loredana Sperini produziere originär «weibliche» und an «weiblichen» Materialien orientierte Kunst.

Richtiger ist wohl, dass Sperinis Kunst das Werk einer Frau ist, die sich in einem immer noch von Männern dominierten Kunstsystem schon seit Jahrzehnten behauptet. Die sich mit beeindruckender Stringenz, Konsequenz, Ernsthaftigkeit, und vor allem unter Einsatz ihres grossen handwerklichen Könnens an den von ihr gewählten Materialien abarbeitet; und dabei den von ihr bevorzugten Stoffen – dem Wachs, Beton, der Bronze oder auch dem Spiegelglas – zu sonderbar und surreal anmutenden, nicht selten dreidimensional in den Raum wachsenden, und von gewissen Unsicherheiten begleiteten Auftritten verhilft.

Wachs und Beton

Untitled, 2011, Wachsmalerei auf Holz, 45 x 33 x 3,5 cm. Foto: Daniele Kaehr / Privatsammlung
Untitled, 2011, Wachsmalerei auf Holz, 45 x 33 x 3,5 cm. Foto: Daniele Kaehr / Privatsammlung

Wie etwa den in den letzten Jahren  entstandenen und auf der antiken Technik der Enkaustik beruhenden, zu kompakten Rechtecken gegossenen Wachs-Beton-«Malereien» – deren Farbigkeit, Vielschichtigkeit und vom Beton getragene Beständigkeit nicht über das so leicht dahinschmelzenden Wachs und damit über die eigentliche Unbeständigkeit und Fragilität dieser Werkreihe hinwegtäuschen können.

Die Angst vorm Scheitern, das Scheitern selbst, sei dabei, so Sperini, eine ihrer ständigen Wegbegleiterinnen.
Unter Umständen ist es gerade diese Risikobereitschaft, die Loredana Sperinis Arbeiten ihre Glaubwürdigkeit verleiht. Sich in Zeiten eines so genannten «kognitiven Kapitalismus» den nach schnellen «Ergebnissen» rufenden Gesetzen des Kunstmarktes zu entziehen, sich auf Grundlage einer geradezu provozierenden Langsamkeit der künstlerischen Erforschung von Materialien zu verschreiben – und dennoch auch als in Galerien vertretene Künstlerin zu reüssieren, erfordert zumindest nicht nur Mut, sondern auch eine einigermassen grosse Portion an Chuzpe und Beharrlichkeit.

Mit Loredana Sperini fördert die Stadt Zürich das Schaffen einer Künstlerin, die weder ihre Persönlichkeit noch ihren Erfolg, sondern primär ihr künstlerisches Forschungsinteresse und damit einhergehend ein ausgeprägtes ästhetisches Produktionsbedürfnis in den Vordergrund ihres Handelns rückt. Sympathisch. Unaufgeregt. Und mit einer bewundernswerten Aufrichtigkeit.

Text: Verena Nora Doerfler
 
 

Wo alles entsteht: Das Atelier der Künstlerin. Foto: Loredana Sperini
Wo alles entsteht: Das Atelier der Künstlerin. Foto: Loredana Sperini

  

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