Loredana stickt wieder

Rätselhaft, abgründig und voller Poesie sind die Werke Loredana Sperinis. Die innovative Plastikerin überrascht in ihrer Einzelausstellung im Kunstmuseum St. Gallen mit raumgreifenden Skulpturen.

Christina Genova
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Die gebürtige Toggenburgerin Loredana Sperini stellt im Kunstmuseum St.Gallen aus (Bild: Urs Bucher (Urs Bucher))

Die gebürtige Toggenburgerin Loredana Sperini stellt im Kunstmuseum St.Gallen aus (Bild: Urs Bucher (Urs Bucher))

Eine schwarze Girlande hängt zwischen den Säulen des Kunstmuseums St. Gallen. Doch was aus der Ferne leicht und verspielt aussieht, lässt aus der Nähe den Atem stocken: Die Girlande setzt sich aus unzähligen Keramikfingern und ein paar wenigen aus Bronze zusammen. Es sind ambivalente Gefühle, welche Loredana Sperini mit dieser Arbeit weckt. Abgetrennte Gliedmassen verbindet man mit körperlicher Versehrtheit, Gewalt. Die Finger befinden sich nicht an ihrem angestammten Ort, sind vom Körper getrennt. Die Menschen, denen sie gehören, sind in ihrer Einzigartigkeit dennoch präsent – die Schönheit der fein geformten Finger mit ihren Falten und Furchen berührt.

Die Brüchigkeit der menschlichen Existenz findet bei Loredana Sperini Ausdruck in fragmentierten Körpern: Münder, Köpfe, Hände, Finger, Beine, Füsse formen sich zu surrealen, poetischen Gebilden aus Bronze, Wachs und Zement. Da streben Hände wie Äste in die Höhe, scheinen sich bald schon in die Lüfte zu erheben. Ein Mund liegt auf der Hand, Zehen und Finger verbinden sich, Gesichter sind gespalten.

Scheinbar Unvereinbares ist vereint

Die in Lichtensteig aufgewachsene Loredana Sperini verbindet in ihren Werken nicht nur gegensätzliche Gefühle, sondern auch scheinbar unvereinbare Materialien. Besonders virtuos zeigt sich dies bei ihren Wandobjekten aus Wachs und Beton. Dadurch, dass sie mehrere Schichten farbigen Wachses übereinander aufträgt, erzielt die Künstlerin eine verführerische Tiefe, die den Objekten etwas Transzendentales verleiht. Solch komplexen Materialverbindungen gehen langwierige Experimentierphasen voraus, die der Künstlerin sehr wichtig sind. Dabei ist ihre Intuition ebenso gefragt wie ihr Perfektionismus. Einflüsse des Zufalls nimmt sie dankbar in Kauf, Fehler empfindet sie als Geschenk. Zufrieden ist sie erst, wenn sie von der Suchenden zur Betrachtenden geworden ist.

Für ihre Einzelausstellung hat Loredana Sperini zahlreiche neue Arbeiten geschaffen, darunter mehrere Möbelstücke. Es sind rätselhafte, abgründige Objekte, in welchen sich Ängste, dunkle Ahnungen und Albtraumhaftes materialisieren. Ein düsterer Stuhl aus schwarzer Bronze ist mehr Grabmal als Sitzgelegenheit. Auf einem bronzenen Tisch gruppieren sich verloren ein paar Fingerfragmente, als seien sie eben erst aus der schwarzen Oberfläche aufgetaucht. Aus einer Matratze aus Wachs und Zement windet sich ein Paar Beine. Ein mit einem geometrischen Geflecht aus schwarzen Fäden bespannter Paravent strukturiert den Raum.

Keine Angst mehr vor Textilien

Für die St. Galler Ausstellung ist Loredana Sperini zu ihren Anfängen zurückgekehrt. Vor ihrem Kunststudium war die Künstlerin Textilentwerferin und Textildesignerin. Zu ihren ersten künstlerischen Arbeiten gehörten gestickte Zeichnungen. Schon lange sehnte sie sich danach, wieder mit Textilien zu arbeiten, doch wollte sie nicht als Textilkünstlerin wahrgenommen werden. Nun hat sie sich von dieser Angst befreit und stickt wieder. Textilcollagen sind entstanden, die sie in Bronze und in Beton gegossen hat.

Die Überraschung kommt zum Schluss: Die düstere, melancholische Grundstimmung der Ausstellung, die schon im Titel «True Blue» anklingt, findet im dritten und letzten Raum zu einer wohltuenden Leichtigkeit. An einer baumähnlichen Metallskulptur hängen sich sanft bewegende Stickrahmen. Es sind Traumfänger, welche Loredana Sperini mit Erinnerungsfetzen und Traumbildern bestickt hat. Schlafende, Köpfe aus Zement und Wachs, ruhen in einem schützenden Haus aus Metall. Doch auch im Traum sind sie nicht ganz befreit von Erdenschwere – sie liegen auf steinernen Kissen.

Bis 8.1.2017.

Die gebürtige Toggenburgerin Loredana Sperini stellt im Kunstmuseum St.Gallen aus (Bild: Urs Bucher (Urs Bucher))

Die gebürtige Toggenburgerin Loredana Sperini stellt im Kunstmuseum St.Gallen aus (Bild: Urs Bucher (Urs Bucher))

In ihrer St. Galler Soloschau befreit sich die 46jährige Loredana Sperini von alten Ängsten. (Bild: Urs Bucher)

In ihrer St. Galler Soloschau befreit sich die 46jährige Loredana Sperini von alten Ängsten. (Bild: Urs Bucher)