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Slam-Poetin Julia Steiner im Interview«Panikattacken sind quasi die negative Version eines Orgasmus»

Julia Steiner hat sich im letzten Jahr einen Namen in der Slam-Szene gemacht. 

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Wer sich in der deutschsprachigen Slam-Szene umhört, stösst schon sehr bald auf den Namen Julia Steiner. Die 23-jährige Poetin aus Luzern hat bereits zahlreiche Erfolge gefeiert. Dazu gehören der Auftritt im Finale der deutschsprachigen Slam-Meisterschaften und der Sieg am Oltner Kabarett-Casting mit ihrem eigenen Soloprogramm. Auch wird sie diesen Sonntag im Rahmen des Literaturfestivals Zürich als Spoken-Word-Künstlerin auftreten.

Dabei macht sie Slam-Poetry erst seit knapp einem Jahr. Im Juli des vergangenen Jahres sah die damalige Germanistikstudentin eine Nachricht in einer Whatsapp-Gruppe, in der gewöhnlich Infos zu Slams verschickt werden. Es wurde nach jemandem gesucht, der kurzfristig an einem Slam-Abend in Olten einspringen könnte. Steiner setzte sich hin, schrieb drei Texte, trug diese am selben Abend vor – und gewann den ersten Platz. 

Ihre Texte kommen an. Einen besonderen Eindruck hinterlassen die Bühnenpräsenz der jungen Künstlerin und die überraschende Ehrlichkeit ihres Schreibens. In ihren Texten thematisiert sie beispielsweise ihre Angststörung und die damit verbundenen Panikattacken. 

«Ich glaube, einer der schlimmsten Aspekte einer Angststörung ist die damit verbundene Scham», so Steiner. Dabei spiele auch die gesellschaftliche Stigmatisierung eine Rolle. «Wenn psychische Gesundheit zum Thema wird, wird meistens der Fokus darauf gelegt, wie man darüber hinweggekommen ist. Es wird selten darüber gesprochen, wie scheisse die Momente sind, in denen die Symptome den Alltag einschränken.» Man merkt ihr die Angststörung nicht an – als extrovertierte Künstlerin, die gern auf der Bühne steht, erfüllt sie nicht wirklich das Stereotyp einer Person, die seit fast zehn Jahren unter der Krankheit leidet. Umso wichtiger ist es ihr, dass sie ihr Leben damit transparent macht. 

«Es ist mir wichtig, dass ich einen Raum schaffe, in dem man zusammen lachen kann, nachdem man beinahe miteinander geweint hat.»

Julia Steiner

Dank Medikation und regelmässiger Therapie seien ihre Panikattacken nicht mehr so einschränkend wie früher, sagt Steiner, doch erlebt sie sie immer noch. «Panikattacken sind quasi die negative Version eines Orgasmus. Sie kommen sehr plötzlich und blockieren das ganze System.» Nach einer Panikattacke fühle sie sich zwar nicht mehr so ausgelaugt wie früher, angenehm sei das trotzdem nicht. 

Es sind genau diese Momente, in denen Steiner nach dem Stift greift. «Meine liebsten Texte entstehen meist unter dem direkten Einfluss von Emotionen, unter welchen auch immer. Wenn sie schön sind, aber auch, wenn sie nicht schön sind. Auch das Präsentieren auf der Bühne erlaubt mir, solche Emotionen zu verarbeiten», sagt sie. 

Neben ihrer Angststörung haben allerlei andere Themen Platz, wie ihre Bisexualität, ihr Alltag als Masterstudentin oder ihr ehemaliger Beruf als Sekundarschullehrerin. Das alles mit Witzen, mit denen sie sich selbst auf die Schippe nimmt. Als Teilnehmerin der SRF 3 Comedy Talent Stage machte sie dieses Jahr ihre Anfänge als Stand-up-Comedian.

«Viele meiner Texte leben vom Humor. Es ist mir wichtig, dass ich einen Raum schaffe, in dem man zusammen lachen kann, nachdem man beinahe miteinander geweint hat», sagt die junge Künstlerin. So erzählt sie vor Hunderten Zuschauern von ihren Erfahrungen auf Tinder-Dates mit «Gym-Bros» und Konfrontationen mit ihrer älteren Nachbarin. 

Die gebürtige Luzernerin ist heute im Kreis 4 in Zürich wohnhaft. 

Den Themen sind keinen Grenzen gesetzt, denn die Slam-Bühne ist für Steiner ein «safe space», ein Ort, an dem sie sich sicher fühlt und einfach sie selber sein kann. Steiner ist nämlich mit der Bühne aufgewachsen: Ihr Vater, der starb, als sie 6 Jahre alt war, arbeitete als Theaterregisseur. Die Tochter war oft an Proben und Vorstellungen und machte bald schon selbst bei Produktionen mit; Schauspiel wurde so zum Teil ihres Lebens.

Im Gespräch erzählt sie von seinem hinterlassenen Tagebuch, das ihr von ihrer Mutter zum 18. Geburtstag geschenkt wurde. Dort drückte er aus, was heute auch für sie selbst klar ist: Julia gehört auf die Bühne. Nach dem Tod ihres Vaters fing sie an zu schreiben: Briefe an ihn, Geschichten über fiktive Personen, Fantasiewelten. Erst vor wenigen Jahren wurde ihr Schreiben autobiografisch. Autorin werden, Bücher schreiben, das wollte sie schon immer. «Ich dachte aber nie, dass ich das wirklich mal schaffen könnte. Jetzt merke ich, dass das doch Realität werden kann.» 

Denn obwohl die Künstlerin nach zwölf Monaten viele Erfolge feiern kann, hat sie immer noch grosse Ziele. Im nächsten Frühjahr tourt sie mit Slam- und Comedy-Texten ihres Soloprogramms «Warum du morgen noch leben könntest» durch die Deutschschweiz. «Ich möchte in den nächsten Jahren meine Kunst mit so vielen Menschen wie möglich teilen. Das kann in einer kleinen Bar sein oder auch im Hallenstadion», sagt Julia Steiner. «Denn solange mir die Welt zuhören will, biete ich mich und meine Texte gern an.»

«Words on Stage», So, 16.7., 20.30 Uhr, Alter Botanischer Garten, Talstrasse 71

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