zum Hauptinhalt
Bunte Stapelware: Die Installationen von Manfred Pernice und Bettina Allamoda beschäftigen sich mit den Wechselwirkungen von Alltag und Kunst.

© Manfred Thomas

Ausstellung auf der Freundschaftsinsel: Von der Schönheit übersehener Objekte

Manfred Pernice und Bettina Allamoda spielen in ihrer Ausstellung mit der Geschichte des Pavillons auf der Freundschaftsinsel.

Wo ist die Kunst, könnte man beim Betreten des Pavillons auf der Freundschaftsinsel fragen. Denn auf den ersten Blick wirkt der gläserne Raum mitten im Grünen sehr aufgeräumt. Ein paar bunte kleine Tonnen stehen herum, von einem Betonsockel aus schwingt sich ein himmelblaues Tuch in Richtung Decke. Für eine Ausstellung aber, die sich „expo“ nennt, in Anspielung auf die großen Weltausstellungen, die sich seit der Industrialisierung als Leistungsschauen für technische und kunsthandwerkliche Errungenschaften etabliert haben, wirkt der große helle Raum seltsam leer. Es lohnt sich aber zu verweilen, sich vielleicht auf die geschwungene Skulptur von Manfred Pernice zu setzen – ja, das ist erlaubt – und die Installationen und Collagen ein wenig auf sich wirken zu lassen. Dann entdeckt man nach und nach, wie komplex diese Gegenwelt ist, die Pernice und Bettina Allamoda hier entworfen haben.

„Für mich ist die Ausstellung ein Entspannungsangebot“, sagt Gerrit Gohlke – und er muss es wissen, er hat sie schließlich kuratiert. Mit Entspannung meint er aber nicht, die Sinne auszuschalten und ein Nickerchen zu machen. Ihm geht es um eine Art Befreiung von der Strenge des Raumes, von den dem Gesetz der Moderne – form follows function – folgenden Elementen Stahl, Glas und Beton. Ein Raum, so Gohlke, der fordert, die Dinge in eine bestimmte Ordnung zu bringen. Doch die Installationen von Bettina Allamoda und Pernice widersetzen sich jeder Ordnungserwartung – obwohl sie weder klein noch filigran sind, scheinen sie eher mit dem Raum zu spielen, als ihm eine neue Ordnung aufzuzwingen.

Und das, obwohl Bettina Allamoda selbst Ordnungselemente für ihre Arbeiten verwendet – wie die sogenannte Crash Barrier, eine spezielle Form von Absperrgitter, wie sie bei Konzerten verwendet wird. Die 1964 in Chicago geborene Künstlerin spielt mit dem Industriemobiliar, indem sie es neu zusammenschraubt. Die Crash Barrier wirken hier wie monströse Staffeleien für Bilder-Fundstücke, die ihrerseits auch Industrieüberbleibsel sind. Aus den Beständen des Optischen Museums Jena hat Bettina Allamoda Drucke aus dem VEB Carl Zeiss bekommen – knallbunte, grafische Muster etwa oder Kopien von Multispektral-Fotografien, die Landschaften nicht nur abbilden, sondern Erhebungen und Mulden mit herausarbeiten und für den Laien ohnehin wie abstrakte Reliefs wirken. Im Museum an die Wand gehängt, verliert die Abbildung des Baikalsees ihre – ursprünglich industrielle – Funktion dann komplett. Sie wird zu einem rein ästhetischen Objekt ohne erkennbaren praktischen Nutzen – man könnte also sagen, zu Kunst.

Dieses Prinzip funktioniert auch andersherum: Bettina Allamodas kleine Collage alter Fotos zeigt, wie große Kunst ihre Wirkung in einem eher alltäglichen Umfeld verändert: Etwa das Wohnzimmer des New Yorker Kunstsammlers Ben Heller, in dem zwei – inhaltlich wie formale – große Bilder von Jackson Pollock quasi zu dekorativen Raumteilern werden. Ebenfalls entweiht, weil aus dem musealen Kontext genommen, ist eine frühe Arbeit von Gerhard Richter aus dem Jahr 1962: Das opulente Panoramabild zierte die Wand im Foyer des Hygienemuseums in Dresden. Inzwischen habe Richter, heute einer der teuersten lebenden Maler, veboten, diese frühe Arbeit, oder auch nur Fotos von ihr, auszustellen, sagt Gohlke.

Mit den Widersprüchen jongliert auch Manfred Pernice. Denn er holt Dinge in den Ausstellungsraum, die andere übersehen oder am liebsten verschwunden sähen: Die dreieckigen Blumenkübel aus Beton etwa, die vor dem Potsdamer Fachhochschulgebäude stehen. „Die Gebäude der Fachhochschule hätte Pernice glaube ich am liebsten auch noch hier herüber auf die Freundschaftsinsel geschafft“, sagt Gohlke. Dabei gehe es dem Künstler nicht um die Rettung bedrohter Objekte, ihn interessiert, wie Dinge die im öffentlichen Raum zwar einen Nutzen erfüllen aber oft übersehen werden, in einem anderen Zusammenhang wirken. Und das lässt sich klar beantworten: schön, und gar nicht aus der Zeit gefallen.

Mit ihnen korrespondieren die bunten Tonnen, mal gestapelt, mal nebeneinander aufreiht. Wer die kleine Collage von Zeitungsartikeln an der Wand aufmerksam betrachtet – oder sich einfach erinnern kann – erkennt in ihnen das Logo der „X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ von 1973. Die waren überhaupt der Grund, warum der Pavillon auf der Freundschaftsinsel gebaut wurde. Wie sehr – oder wenig – diese Weltfestspiele, die zum uneingestandenen Alptraum der DDR-Kontrollorgane wurden, da sie sich zu einem „Woodstock des Ostens“ verselbstständigten, dem weltumfassenden „Expo“-Anspruch gerecht wird, mag jeder selbst entscheiden: Pernice hat in einem seiner Elemente zwei Bildbände versteckt: einen zu den Jugendfestspielen und einen zur Expo von 1814 in Lyon. Das ist der Trick dieser Ausstellung: Man muss sich hineinwagen und ein bißchen suchen – dann entdeckt man mit etwas Glück eine ganze Welt.

Die Ausstellung „expo“ ist bis zum 11. Mai im Pavillon auf der Freundschaftsinsel immer dienstags bis sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false