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Kultur H. R. Giger

Der Mann, der das Alien auf die Welt brachte

Spätestens seit Ridley Scott eine seiner Figuren auf der Kinoleinwand verewigte, ist der Schweizer Künstler H. R. Giger ein Massenphänomen. In Frankfurt sind jetzt die Zeichnungen und Skulpturen des "Alien"-Erfinders zu sehen. Für viele ist Giger allerdings ein überschätzter Pornograf.

Ein roter, fleckiger Gummiball mit Füßen, der hüpft und kitzelt – so sah das Alien in John Carpenters Science-Fiction-Satire „Dark Star“ aus dem Jahr 1974 noch aus. Als „Exot“ wurde Alien etwas hilflos in der deutschen Synchronisation übersetzt. Das sollte sich schnell ändern. Wer heute „Alien“ hört, hat die Kreatur vor Augen, die H. R. Giger für Ridley Scotts Film „Alien“ (1979) schuf.

Der Schweizer Neo-Surrealist hatte sich zwar bereits als Zeichner fantastischer Welten einen Namen gemacht und Ausflüge ins Filmdesign unternommen („Swissmade“, „Dune“), aber mit einem Anruf aus Hollywood hatte der damals 39-Jährige nicht gerechnet. 1980 erhält er für seine Arbeit den Oscar für die besten visuellen Effekte.

Derart berühmt geworden, schuf er weitere Filmdesigns, für „Poltergeist II“, „Species“ und den dritten Teil der Alien-Saga – alle im unverwechselbaren Giger-Stil. Denn Giger ist Kunst, das zeigt jetzt das Deutsche Filmmuseum Frankfurt am Main in der Schau „H.R. Giger. Kunst – Design – Film“.

Allein 35 Originalgemälde haben die Ausstellungsmacher zusammengetragen. Dazu zahlreiche Skulpturen, Requisiten, Kostümteile sowie Modelle der Alien-Kreatur. Auch einer der Harkonnen-Stühle ist dabei, den Giger 1976 für den Bösewicht in dem Film „Dune“ entworfen hat. David Lynch hat das Projekt 1984 allerdings ohne den Schweizer realisiert.

Was macht Gigers Alien – das grausame Geschöpf mit dem langen Hinterkopf, dem vorschnellenden Gebiss im Gebiss und dem geschmeidig-drahtigen Körper – so faszinierend? Vielleicht ist es seine Widersprüchlichkeit. Es ist zu gleich schleimig und metallen, sexy und tödlich, Mann und Frau, Insekt und Maschine.

Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek bewertet die Figur in ihrem Aufsatz „Ritterin des verlorenen Platzes“ als klassisches Monster – und als Rückschritt gegenüber einem Film wie „Metropolis“. Dort sei die anonyme Macht, die die heutige Gesellschaft prägt, in kafkaeske Bilder gekleidet worden. In Ridley Scotts „Alien“ werde die Bedrohung wieder konkret und „reine Natur“.

Diese Interpretation trifft Gigers Kunst nicht ganz. Der gelernte Industriedesigner nennt seine Geschöpfe, die er ab 1966 zeichnet, „Biomechanoide“, eine Mischung aus Organischem und Technischem.

Unübersehbar im Film: Der Pilot des Alien-Wracks ist mit der Maschine, die er bedient, regelrecht verwachsen. Die Landschaft, die das Wrack umgibt, erinnert an Knochen. Und die höhlenartigen Korridore, die die Aliens bewohnen, nehmen fleischige, gebärmutterartige Züge an. Dazu gesellen sich sexuelle Anspielungen wie die phallische Zunge oder die vaginaartigen Eier.

Schon vor „Alien“ zeichnete Giger eine Gebär- und Kriegsmaschine, in der Embryonen im Magazin einer Waffe stecken. In seinen biomechanischen Land schaften weiß der Betrachter nicht, ob er Wirbelsäulen oder Munitionsgurte sieht.

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Die Vermählung von Natur und Technik ist weder die Angst vor dem einen, noch vor dem anderen. Gigers Biomechanoide zeigen hingegen, dass der (menschlichen) Natur selbst etwas Maschinenhaftes, Mechanisches innewohnt. Penetration, Geburt, Arterhalt – die „Alien“-Themen – sind immer auch gewaltvoll.

LSD-Guru Timothy Leary zählte Giger wie Hieronymus Bosch oder Pieter Breughel zur „Magiergesellschaft“, die die „rohe-Leidenschaft- Fleisch-Realität“ offenbaren. Der Regisseur Oliver Stone sagt, dass niemand die „Seele modernen Menschseins“ treffender darstelle. Und Satanisten und Gothics verehren in Giger ihren morbiden Meister. In Amerika kursiert gar eine Übersetzung der Initialen H. R. als Horror Rex. Tatsächlich stehen sie für den Vornamen Hansruedi.

Besonders verrückt nach Gigers Kunst sind die Japaner, die einen eigenen Fanclub gründeten. 1988 waren sie es, die eine erste Giger-Bar in seinem Stil eröffneten, die allerdings wieder schließen musste. Anderen war soviel Sex und Tod auf einmal allerdings zuviel: Gigers Poster „Landschaft“, das 1985 einem Album der US-amerikanischen Band Dead Kennedys beilag, erinnerte zu eindeutig an einen Geschlechtsakt und wurde zensiert.

Mehr Erfolg hatte er mit dem Cover für Blondies „KooKoo“ und für Emerson, Lake & Palmers „Brain Salad Surgery“. Beide zählte das Magazin „Rolling Stones“ zu den 100 besten Plattencovern. Der heutige Betrachter von Gigers Kunst hat es nicht leicht. Totenköpfe, weiße, idealisierte Frauenkörper, mehr oder weniger eindeutige Geschlechtsteile provozieren nicht mehr.

Vielleicht liegt die Ermüdung auch an der Airbrush-Technik. Giger selbst hat festgestellt, dass sie durch ihre Verwendung als Fantasy-Auto-Lackierart an Reiz verloren hat. Mehr noch: In den Neunzigerjahren wurde die fantastische Kunst auf T-Shirts, Postern, Kalendern verkitscht und verramscht.

Fraglich bleibt, in welcher Form Gigers Kunst die Horrorszenarien des 21. Jahrhunderts befruchten wird. Ob die Motive wie hübsch gestaltete Ausgeburten männlicher Fantasien endgültig von der Popkultur verdaut oder dem Menschen auch künftig als genialer Blick auf die grausam-mechanische Fleischlichkeit der Natur in ihren Albträumen begegnen werden? Die Besucher im Filmmuseum Frankfurt müssen sich entscheiden.

Filmmuseum Frankfurt/M, bis 17. Mai; Katalog 14,90 Euro. Begleitet wird die Ausstellung von einer Filmreihe.

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