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Kunst und Architektur Enthüllung

Die Lebenslügen des Jahrhundertkünstlers Beuys

Der Jahrhundertkünstler Joseph Beuys erschuf sich nicht nur in seiner Kunst, sondern auch in den Geschichten über sich seine eigene Welt. Eine neue Biografie widerlegt seine Märchen.

Dass von der Kunst Heilkräfte ausgehen würden, wenn man sie nur inständig genug betrachtete, so recht hat man es nie glauben wollen. Aber in die Sprechstunde zu Joseph Beuys ging man dann doch. Und nun stellt sich heraus, dass der Wunderdoktor nicht einmal eine Approbation gehabt hat.

Der Künstler und Provokateur - „Beuys“

Die Dokumentation blickt auf das Werk des Künstlers Joseph Beuys zurück. Was wollte der Mann mit der Fettecke? Und was soll Kunst, wenn nichts dabei herauskommt?

Quelle: Piffl Medien

Hans-Peter Riegel hat eine überaus verdienstvolle Beuys-Biografie geschrieben. Hat sich keiner der verfeindeten Nachlass-Parteien zugeschlagen, klug herausgehalten aus den fortdauernden Kämpfen um Erbe und Legende. Und wie er verwehten Spuren nachgeht und jedes Detail der überlieferten Beuys-Erzählung noch einmal prüft, das ist beste kunsthistorische Kriminalistik.

Dabei braucht er keiner alten Liebe abzuschwören, muss sich nicht auflehnen gegen einen übermächtigen Vater. Anders als alle Chronisten zuvor gehört er einer Generation an, die im Faszinationsnetz Beuys schon nicht mehr gefangen war und heute frei ist für die unbeteiligte Neugier. Was war es denn, was die Leute so sehr gegen den Mann mit dem Hut aufbrachte und andere zu unerbittlichen Verehrern, treuen Jüngern, lebenslangen Aposteln machte? Und wie ist es zugegangen, dass der heilige Jupp vom Niederrhein zu einem der umstrittensten Künstler in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden konnte?

Ein Lehrer sagte falsch für ihn aus

Man weiß nun wirklich alles. Dass Beuys vor dem Abitur die Oberschule verlassen hat. Dass ihn die Düsseldorfer Kunstakademie ohne Schulabschluss nicht hätte aufnehmen dürfen, wenn es nicht die eidesstattliche Falschaussage eines befreundeten Lehrers gegeben hätte. Dass ihm eine Niere entfernt werden musste und er gerne Burger bei McDonald’s aß. Dass die Anglerweste, die später zum Standard-Outfit gehörte, von Frau Eva stammte, die ein gutes Gespür dafür hatte, dass ihr Mann in den Schneider-Anzügen keinem Fotografen auffallen würde.

Auch liest man mit Staunen, wie der Künstler – kaum auf dem Markt – ziemlich gerissen und ziemlich rücksichtslos seine frühen Galeristen Alfred Schmela und René Block gegeneinander ausgespielt hat. Und alle Erinnerung an den sanften Mann sperrt sich gegen die jähe Begegnung mit dem begeisterten Hitlerjungen, der „im September 1936 am Sternmarsch zum 8. Reichsparteitag der NSDAP“ teilgenommen und sich freiwillig für zwölf Jahre zum Kriegsdienst verpflichtet hat und zur Luftwaffe wollte, es aber nur zum Bordfunker schaffte.

Riegel argumentiert behutsam. Aber ihm ist schwer zu widersprechen, wenn er aus den gesammelten Dokumenten schließt: „Wer sich entscheidet, eine derart lange Zeit als Soldat zu verbringen, dem kann eine grundsätzliche Akzeptanz für das Militärische unterstellt werden.“ Was von späteren Selbsterklärungen nur gestützt wird. Tatsächlich hat sich Beuys nie kritisch über die Gewalterfahrung des deutschen Angriffskrieges geäußert, scheint noch in den Siebzigerjahren die Kameradschaftstreffen seiner ehemaligen Einheit besucht zu haben. Ein zumindest befremdlicher Widerspruch zum Friedensangebot, das der nimmermüde Prediger der Menschheit mit seinen fett- und filzhaltigen Kunstzeichen machen wollte.

Beuys’ Mythos aus dem Krieg

Dass der Kampfflieger, der unbedingt an die Front wollte, in seiner Ju 87 auf dem Blindflug Richtung Sewastopol nicht abgeschossen wurde und schwer verletzt liegen blieb, bis ihn Tartaren gefunden und in ihrer Jurte gesund gepflegt haben, das ist schon seit Längerem bekannt. Nicht erst Hans-Peter Riegel hat Beuys’ Märchen von seiner wundersamen Errettung auf der Krim enttarnt. Aber akkurater ist die „Bruchlandung“, für die „fliegerisches Unvermögen die Ursache“ gewesen war, noch nicht rekonstruiert worden.

Beuys kam ins Feldlazarett, aus dem er nach rund drei Wochen entlassen wurde. Erzählt hat er, und hat es immer wieder nacherzählen lassen, dass er nach zwölf Tagen Bewusstlosigkeit von den Nomaden aufgefunden worden sei: „Sie rieben meinen Körper mit Fett ein, damit die Wärme zurückkehrt, und wickelten mich in Filz ein, weil Filz die Wärme hält.“ Lakonisch fügt der Biograf an, dass es seit den Dreißigerjahren keine nomadisierenden Tataren mehr auf der Krim gegeben habe.

Beuys, der angeblich gegen Kriegsende beschlossen habe, Künstler zu werden, blieb Soldat, bis ihn die Briten gefangen nahmen und ihn nach ein paar Monaten wieder freiließen. Dass er irgendwie kriegsversehrt gewirkt habe, berichten Freunde, hätte man nicht sagen können. Auch hat man vom späteren Künstler nie gehört, dass er sich vom Krieg distanziert hätte, dass ihm seine Hitler-Nachfolge peinlich gewesen wäre.

Die Mär vom genialen Pädagogen

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Aber wann haben die nach dem Krieg Geborenen so etwas wie Scham bei den Vätern erlebt? Man sollte jetzt aus Joseph Beuys nicht einen unverbesserlichen Nazi und in der Wolle gefärbten Gewaltmenschen machen. „Warum sprach Beuys nie … vom Sterben und Töten, von Furcht und Entsetzen“, fragt Hans-Peter Riegel und erwartet keine Antwort. Beuys ist 1986 gestorben. Nie hat die Beuys-Generation Antworten gegeben. „Wollte sich der ehemalige Kriegsfreiwillige seine verfehlten Hoffnungen, die Niederlage nicht eingestehen? War es die Unaussprechlichkeit des traumatisierenden Erlebens, die ihn mit anderen Kriegsteilnehmern verband?“

Nicht weniger spannend, wie Riegel die bis heute sorgsam kultivierte Mär vom genialischen Pädagogen Beuys dekonstruiert. Der Einfluss, den der Akademieprofessor auf die jungen Kunstadepten seiner Klasse hatte, war in der Tat beträchtlich. Wer stark genug war – wie Imi Knoebel, Blinky Palermo, Katharina Sieverding oder Ulrike Rosenbach – konnte sich durchsetzen. Andere verfielen dem Meister mit Haut und Haaren oder zerbrachen an der gnadenlosen Autorität.

Auch sein Düsseldorfer Kollegium muss der auftrumpfende Lehrer bis aufs Blut gereizt haben. Jahrelang hatte sich Beuys seine Kurzzeitverträge gleichsam ertrotzt, indem sich gutwillige Direktoren für ihn verwandten und beim Kultusministerium als Gutachter vorstellig wurden, wo die Skepsis gegenüber dem mit skandalisierten Fluxus-Aktionen in die Schlagzeilen geratenen Künstler immer größer wurde.

Wie Beuys seine Freunde ausnützte

Zuletzt hielt er sich an keine Regel mehr und strapazierte die Lehrordnung derart, dass der Eklat unvermeidlich wurde. Wenn man das alles noch einmal vorgeführt bekommt, wie strategisch Beuys den Bruch ansteuerte, wie er Freunde ausnützte und düpierte, dann wachsen doch die Zweifel, ob man sich seinerzeit nicht etwas arglos mit dem Opfer einer kunstfernen Bürokratie solidarisiert hat, als der ratlose Wissenschaftsminister Johannes Rau am 10. Oktober 1972 die fristlose Kündigung unterschrieb.

Den eigentlichen Gewinn jedoch zieht man aus dem minutiösen Nachbau der anthroposophischen Kulisse, vor der Beuys’ Werk spielt. Es gibt dazu nicht wenige Detail-Untersuchungen, aber keine hat so überzeugend nachweisen können, wie Beuys ins Kraftfeld von Rudolf Steiners spekulativer Philosophie und Ethik geriet, wie er diese seltsame Mischung aus spirituellem Universalismus und Menschenerziehung, die Zusammenschau von Engel und Erde, von Erkenntnis und Erlösung von Werkbeginn an für sich fruchtbar machte, dass es nicht falsch ist, wenn man seine alchemistisch wirkenden Aktionen, seine magischen Ding-Arrangements und hermetischen Installationen als Versinnlichungen einer anthroposophischen Gnosis beschreibt.

Wohl wird man die Beuys-Interpretation noch einmal ganz neu angehen müssen. Riegel liefert dazu eine eindrucksvolle Vorstudie, die bereits weit über die anthroposophischen Hinweise hinaus reicht, die der Basler Museumsmann Dieter Koepplin, einer der besten Werkkenner, gegeben hat.

Emphase für Beuys lässt nach

Es hat gar nicht ausbleiben können, dass bei der Neuerzählung des Lebens die Würdigung des Werks zu kurz kommt. Riegels „Beuys“ ist keine Werk-Biografie. Sie versammelt die Fakten, die man bislang nicht zur Kenntnis genommen hat oder nicht zur Kenntnis nehmen wollte, und stellt mit nicht gelinder Verwunderung fest, dass Beuys’ Behauptung, ein allgemeines naturwissenschaftliches Studium begonnen zu haben, jeglicher Realität entbehrten.

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Das ist gut so, und die Verwunderung ist verständlich. Aber sie ist auch ein wenig blind für den Umstand, dass es bei Beuys keine Realien gibt, keine Tatsachen, weder falsche noch richtige, dass alles von Anfang an und mehr und mehr Poetisierung einer Kunst- und Künstlerbehauptung gewesen ist, die mit dem Ausdruck des Schmerzensmannes und der Gebärde des begnadeten Schamanen die zerfallene Welt mit dem heiligen Klebstoff Kunst kitten wollte.

Wohl wahr, der Abstand ist groß geworden. Man versteht die Emphase nicht mehr so gut. Das Beuys-Feuer scheint heruntergebrannt, in der Asche sehen die hinterlassenen Kunstdinge noch grauer aus, als sie es in den popbunten Sechziger- und Siebzigerjahre auch schon waren. Dass sie noch immer Kraft haben, davon kann man sich auch und gerade nach der Lektüre von Hans-Peter Riegels ergiebiger Recherche in der Beuys-Abteilung des neu eröffneten Münchner Lenbachhauses überzeugen. Heilkräfte erwartet niemand mehr.

Hans-Peter Riegel: Beuys. Aufbau Verlag. 28 Euro, 595 Seiten, ISBN 978-3351027643 (erscheint am 20. Mai)

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