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Literatur „Vom Wind verweht“

Politisch korrekter Rassismus

Redakteur Feuilleton
Vivien Leigh in "Vom Winde verweht" Filme / Einzeltitel: "Vom Winde verweht" (Gone with the Wind) (USA 1939; Regie: Victor Fleming; Buch: Sidney Howard nach dem Roman von Margaret Mitchell). - Szene mit Vivien Leigh und Hattie McDaniel. - | Vivien Leigh in "Vom Winde verweht" Filme / Einzeltitel: "Vom Winde verweht" (Gone with the Wind) (USA 1939; Regie: Victor Fleming; Buch: Sidney Howard nach dem Roman von Margaret Mitchell). - Szene mit Vivien Leigh und Hattie McDaniel. - |
"Vom Winde verweht", der Film: Vivien Leigh als Scarlett O'Hara und Hattie McDaniel als Mammy
Quelle: picture-alliance / akg-images
Ein fehlender Buchstabe und viele böse Wörter: 70 Jahre nach dem Tod der Schriftstellerin Margaret Mitchell wird ihr Erfolgsroman „Gone With the Wind“ neu ins Deutsche übersetzt. Ohne das Wort Neger. Besser wird das Buch dadurch nicht.

Im Sommer 1949 wurde Margaret Mitchell in Atlanta auf dem Weg zum Kino angefahren. Sie verstarb fünf Tage später. Weitere siebzig Jahre später sind die Rechte an ihrem Roman „Gone With the Wind“ erloschen, nach dem Pulitzerpreis von 1937, dem vier Stunden langen Film von 1939 und dreißig Millionen Buchverkäufen, einschließlich der deutschen Übersetzung aus der Nazizeit von Martin Beheim-Schwarzbach als „Vom Winde verweht“.

„Vom Wind verweht“ heißt die gemeinfreie, dem heutigen Zeitgeist angepasste Neuausgabe von Andreas Nohl und Liat Himmelheber. Mit dem kleinen E am Ende ist nicht nur ein Ornament der deutschen Poesie verschwunden. Die Geschichte von Scarlett O’Hara und Rhett Butler aus den Südstaaten Amerikas zur Zeit des Bürgerkriegs wirkt durch die sachlichere Sprache weniger romantisch. Neger, negros, gibt es keine mehr auf der Plantage und im Herrenhaus, sie sind jetzt Schwarze oder Sklaven. Nigger sind sie, wenn sich Weiße abfällig über die Schwarzen äußern oder wenn sich Schwarze selbst bezichtigen, aus Spaß oder aus Stolz, wie es die Rapper heute tun. Sie rollen nicht mehr mit den Augen, sie reißen die Augen auf. Die Lippen sind nicht wulstig, sondern voll.

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Korrekte Sprache war immer ein Akt des Anstands. Anständiger wurden die Verhältnisse durch angemessenere Wörter nie. Mammy, die gutmütige schwarze Dienerin, wird allerdings auch durch die Wörter nicht zur literarischen Figur. Mammy ist einfach da, als lebendes Inventar. Sklaven sind dumm, faul und gefährlich, auch wenn sie im Deutschen heute der Grammatik halbwegs mächtig sein dürfen.

Es bleibt, selbst ohne kleines E, ein fürchterliches Buch. Es ist kein Epos wie Fontanes „Vor dem Sturm“ und „Krieg und Frieden“ von Tolstoi, so hätten es die Übersetzer gern im Nachwort. Es ist eines dieser Bücher, die man nicht mehr lesen kann, auch nicht als Sezessionsschmöker, als Dokument. Nach Margaret Mitchells Tod hat Billie Holiday in „Strange Fruit“ über Lynchmorde gesungen, Colson Whitehead hat in „Underground Railroad“ über die Sklaverei geschrieben, und in Charlottesville marschiert wieder der Ku-Klux-Klan.

Quelle: WELT AM SONNTAG

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern Sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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