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Städtereisen Atlanta

Scarlett O’Haras Spuren sind „Vom Winde verweht“

Wer in der Hauptstadt von Georgia nach Überbleibseln des Welterfolgs sucht, findet zwar nicht Tara, lernt aber anderes. Zum Beispiel, dass Margaret Mitchell den Bestseller auf einer Müllhalde schrieb.

Das Haus ist ein Überlebenskünstler, genau wie die Heldin des Buches, das dort entstand: Scarlett O’Hara. Zweimal brannte es ab, zweimal wurde es wieder aufgebaut. Heute kommen gut einhundert Besucher täglich, aus der Stadt, dem Land und der ganzen Welt. Die Rede ist vom Margaret-Mitchell-Haus in Atlanta, Georgia.

Hier, in dem dreistöckigen Haus aus rotem Backstein an der Peachtree Street, Verkehrs- und Lebensader der Stadt, schrieb die Journalistin und Schriftstellerin Margaret Mitchell zwischen 1926 und 1932 große Teile ihres berühmten Bürgerkriegs-Epos „Vom Winde verweht“.

Das Buch wurde 1936 veröffentlicht, 1937 mit dem Pulitzer-Preis gekürt und 1939 verfilmt. Buch und Film gehören bis heute zu den erfolgreichsten Vertretern ihrer Zunft.

„Viele Besucher sind überrascht, wie klein das Haus ist“, sagt die Museumsführerin. „Sie haben eine Plantage erwartet. So wie Tara im Film.“ Tatsächlich steht das Mitchell-Haus etwas verloren zwischen den Wolkenkratzern im Businessviertel von Midtown Atlanta.

Als das Haus zu Olympia brannte

Das letzte Mal brannte das Haus vor den Olympischen Spielen 1996; angeblich hatten Immobilienspekulanten ihre Hände im Spiel. Andere sahen gar den Geist von Margaret Mitchell am Werk, die sich zeitlebens gegen den Fankult um „Vom Winde verweht“ gewehrt hatte.

Jedenfalls gab es für die Renovierung eine großzügige Spende des deutschen Autobauers Daimler-Benz. Eine lohnende Investition: Denn das „Scarlett-Business“ boomt in Atlanta unverdrossen, auch 76 Jahre nach Erscheinen des Buches. „Vom Winde verweht“ ist die größte Touristenattraktion der Stadt, neben der Studiotour von CNN, dem Markenmuseum von Coca-Cola und dem Georgia Aquarium, weltgrößtes seiner Art (31.000 Kubikmeter).

Um es gleich zu sagen: Wer Tara sucht, das prachtvolle Herrenhaus der O’Haras mit den blitzweißen Säulen, der wird in Atlanta nicht fündig werden. Und auch sonst nirgendwo.

Denn Tara existierte nur in der Fantasie der Autorin. Tatsächlich wurde das Filmepos in Hollywood und nicht in Georgia gedreht. Tara war in Wahrheit eine Fassade aus Sperrholz und Pappmaschee, und die alten Eichen wurden mit simplen Telefonmasten nachgebaut.

Reporterin in Männerkleidung

Der Besucher mag jedoch bei der Suche nach den Spuren von Tara auf andere Geschichten stoßen. Auf die der Autorin selbst zum Beispiel. Margaret Mitchell wurde 1900 als Tochter eines Rechtsanwalts in Atlanta geboren.

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Sie war ein wildes „Flapper-Girl“, also ein Mädchen mit einem flatterhaften Wesen, und brach mit Freude die Konventionen der konservativen Südstaaten-Society. Sie arbeitete als Reporterin in Männerkleidung für die Tageszeitung „Atlanta Journal“ und heiratete nach kurzer Ehe mit Berrien „Red“ Upshaw, einem Ex-Footballspieler und Schwarzhändler, den Journalisten John Marsh.

Im Souterrain des Hauses mit der Adresse 990 Peachtree Street wohnte sie mit ihrem zweiten Mann zur Miete, in einer feuchten, düsteren Wohnung mit niedrigen Decken. Mitchell nannte das Apartment abfällig „The Dump“, die Müllhalde.

Heute ist die Wohnung mit Möbeln und Accessoires der Epoche, mit Fotos und Erinnerungsstücken der Autorin ausgestattet. Auf einem Holztisch steht eine Remington-Reiseschreibmaschine, ähnlich dem Modell, auf dem Mitchell ihren Roman schrieb – rückwärts übrigens; das letzte Kapitel verfasste sie zuerst.

Das Premieren-Kino gibt es nicht mehr

Feuer scheint der natürliche Feind der historischen Spuren von „Vom Winde verweht“ zu sein. Auch das Loew’s Grand Theatre, in dem die große Filmpremiere von „Vom Winde verweht“ stattfand, brannte 1978 nieder und wurde schließlich abgerissen. Heute steht an seiner Stelle der Georgia Pacific Tower, ein Büroturm.

Fast im alten Glanz erstrahlt dagegen das „Georgian Terrace Hotel“, wenige Meilen südlich des Margaret-Mitchell-Hauses. Hier, im großen Ballsaal, fand einst die Premierengala von „Vom Winde verweht“ statt, und auf der ausladenden Terrasse kann der Besucher heute bei frittierten Okraschoten, Pekannüssen und Mint Julep, dem süßen Cocktail des Südens, einen Hauch des glamourösen Flairs erahnen, der 1939 durch Atlanta geweht haben muss.

Margaret Mitchell starb 1949 beim Überqueren der Peachtree Street. Sie liegt auf dem Oakland Cemetery begraben, dem ältesten Friedhof der Stadt, 1850 in viktorianischem Stil erbaut. Mit einer Größe von fast 36 Hektar findet sich hier eine der üppigsten Grünflächen von Atlanta.

Hinter den Steinmauern, im Schatten der alten Eichen, der duftenden Magnolien und der Hartriegelsträucher, sind die Geräusche und Gerüche der Metropole ausgeblendet; der zitternde Gesang der Zikaden übertönt das Dröhnen der Überlandstraßen, die sich unweit des Friedhofs kreuzen.

Mausoleen neben Armengräbern

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Oakland Cemetery spiegelt dabei auf beeindruckende Weise die ambivalente Geschichte von Atlanta wider: Hier gibt es ausladende Mausoleen reicher Familien; dort liegen anonyme Armengräber, vor allem in der „Schwarzen Sektion“, die noch aus der Zeit der Rassentrennung stammt; und auf einem Feld erinnern 7000 Gefallene der Konföderiertenarmee an den Sezessionskrieg aus der Zeit von 1861 bis 1865.

Die Suche nach Entstehungsort und Schauplatz von „Vom Winde verweht“ wäre nicht vollständig ohne einen Abstecher nach Jonesboro, in eine Kleinstadt 30 Kilometer südlich von Atlanta.

Jonesboro rühmt sich, die „offizielle Heimat von ,Vom Winde verweht‘“ zu sein. Tatsächlich besaßen Mitchells Großeltern, die Fitzgeralds, ein Landhaus nahe Jonesboro. Margaret verbrachte dort als Kind ihre Sommer.

Im ehemaligen Eisenbahndepot von Jonesboro ist das Museum „Road to Tara“ untergebracht, das Memorabilia aus Buch und Film zur Schau stellt – sei es das dunkelgrüne Samtkleid, genäht aus den Faltenvorhängen von Tara, oder eine Sammlung internationaler Erstausgaben von „Vom Winde verweht“. Rund 20.000 Besucher kommen jedes Jahr nach Jonesboro, sagt Rebekah Cline vom örtlichen Tourismusbüro.

„Wo ist Tara?“

Deren häufigste Frage laute: „Wo ist Tara“? Cline, die mit einem Southern Twang spricht, dem lang gezogenen, vokalreichen Akzent der Südstaatler, beantwortet die Frage über einen eleganten Umweg: „Als ,Vom Winde verweht‘ gedreht wurde, kamen die Filmleute aus Hollywood nach Jonesboro. Sie fotografierten unsere Häuser und bauten sie als Kulissen nach.“

Und so liegt Tara eben doch in Jonesboro, irgendwie. Die verschiedenen Vorbilder für Hollywood-Tara lassen sich bei einer Fahrt durch die Stadt bestaunen.

Zum Beispiel Stately Oaks Plantation, die auf einer sattgrünen Lichtung in einem kleinen Eichenwald liegt. 1839 im neoklassischen Stil erbaut, mit weißen Säulen und einer breiten Veranda, diente die Plantage während des Bürgerkriegs als Quartier für Truppen des Südens wie des Nordens. Von allen schmucken Antebellum-Häusern in und um Jonesboro komme dabei Stately Oaks Plantation „der Vorstellung, die wir von Tara haben, sicher am nächsten“, sagt Rebekah Cline.

Zu schmucklos für Hollywood

Kein Wegweiser, kein Reiseführer und keine Landkarte erwähnen dagegen jenes Haus, das wohl Margaret Mitchells ganz persönliches Tara war: das Fitzgerald-Haus, das Landhaus ihrer Großeltern. „Es sah wie ein Bauernhaus aus, viel zu klein und schmucklos für Hollywood“, sagt Gary Gabriel, Hobbyhistoriker aus Jonesboro.

Überhaupt spricht man in Jonesboro nicht gern über das Fitzgerald-Haus. Das Grundstück ist heute im Besitz der Talmage-Familie. Herman Talmage war in den 40er- und 50er-Jahren Gouverneur von Georgia und ein glühender Verfechter der Rassentrennung.

Die Familie wolle keine Scarlett-Pilger, erklärt Cline. Außerdem sei das Haus verfallen und von einem Tornado verwüstet. „Das ist ein Stück verlorener Geschichte.“ Sie zuckt mit den Schultern. Eine Adresse hat sie nicht.

Ruinen auf einem Feld

Wer jedoch hartnäckig weiterfragt, in einem der Antiquitätenläden, den Cafés oder bei der örtlichen Wahrsagerin, die gelangweilt vor ihren Tarotkarten sitzt, bekommt doch einen Tipp.

Wirft man dann, nach langer Suche, einen Blick auf das ehemalige Fitzgerald-Haus, oder vielmehr: das Grundstück, findet man nichts als eine Ahnung von Margaret Mitchells Ur-Tara. Reste von Ruinen auf einem Feld, hinter dichtem Gras und dunklen Bäumen. Auch diese Spuren: vom Winde verweht.

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